Abschlussbericht zum Finanzskandal: Wirecard spaltet Große Koalition

Im Bundestagsgremium zum Bilanzskandal setzt sich die CDU von der SPD ab – und erhebt schwere Vorwürfe gegen Finanzminister Scholz.

Beginn der Befragung als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Bilanzskandal Wirecard.

Befragung eines Zeugen im Untersuchungsausschuss zum Bilanzskandal Wirecard im April Foto: Christoph Soeder

BERLIN taz | Wer trägt die politische Schuld am größten Bilanzbetrug in der deutschen Wirtschaftsgeschichte – und was können wir aus dem Wirecard-Skandal lernen?

Antworten auf diese Fragen wurden am Dienstag bei der Übergabe des 4.500 Seiten dicken Abschlussberichts des parlamentarischen Untersuchungsausschusses an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) vom aufziehenden Wahlkampf vernebelt. Am Ende gab es mindestens vier verschiedene Meinungen: Die der Union, die der SPD, die der Opposition aus FDP, Grüne und Linken – und die der AfD.

Die CDU nutzte die Gelegenheit, um sich von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz abzusetzen. Die Wirecard-Affäre sei ein „multiples Aufsichtsversagen unter den Augen des Finanzministeriums“, der zuständige Minister trage dafür die Schuld, sagte der Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss, Matthias Hauer (CDU). Den Rücktritt von Scholz forderte er – anders als die AfD-Fraktion – aber nicht. Scholz hätte den für die Finanzaufsichtsbehörde Bafin zuständigen Staatssekretär im Ministerium, Jörg Kukies, „freistellen sollen“, sagte Hauer. „Diese Kraft bringt Scholz nicht auf.“

EY-Wirtschaftsprüfer in der Kritik

Auch in der Kritik: Die Wirtschaftsprüfer von EY, die die Bilanzen des Finanzdienstleisters jahrelang unbeanstandet durchgewunken hatten, obwohl ein Teil des angeblichen Geschäfts faktisch nicht existierte. Alles sei „ein Zeugnis des Versagens von Abschlussprüfern“, so Hauer. EY habe den Berufsstand „in Verruf gebracht“, fügte Fritz Güntzler (CDU) hinzu. Die SPD schob die Schuld fast ausschließlich den Prüfern zu: Für ihn eine der wichtigsten Erkenntnisse aus neun Monaten Untersuchungsausschuss, sagte SPD-Obmann Jens Zimmermann.

Florian Toncar, FDP-Obmann

Es sei bedauerlich, dass Top-Politiker der Bundesregierung sich „nicht einmal zu einer lauen Form der Selbstkritik“ hätten bewegen lassen

Vor fast genau einem Jahr hatte der gerade in den DAX aufgestiegene Konzern aus Aschheim bei München zugeben müssen, dass 1,9 Milliarden Euro in den Bilanzen fehlen, wenig später rutschte Wirecard in die Pleite. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Geldwäsche gegen Manager des Konzerns, der einstige Finanzvorstand Jan Marsalek ist flüchtig. Tausende Anleger erlitten Verluste, weil die Aktie abstürzte.

Nicht fit für das digitale Zeitalter

„Man hätte es viel früher erkennen können“, sagte FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. Durch den Skandal sei ein wirtschaftlicher Schaden von fast 30 Milliarden Euro entstanden. Es gebe eine politische Verantwortung des Finanzministeriums, das für die Finanzaufsicht Bafin und die Anti-Geldschwäsche-Einheit FIU zuständig ist. Beide Stellen hätten sich nicht rechtzeitig um Aufklärung bemüht. Es sei bedauerlich, dass Top-Politiker der Bundesregierung sich „nicht einmal zu einer lauen Form der Selbstkritik“ hätten bewegen lassen, sagte Toncar.

Der Obmann der Linken im Ausschuss, Fabio De Masi, erklärte, die deutschen Aufsichtsbehörden seien nicht fit für das digitale Zeitalter. „Aber diese Milliardenlüge, diese Illusionsfabrik Wirecard, war auch nur denkbar, weil sie sich ein politisches Netzwerk organisiert haben.“ Über die Bafin sagte De Masi, diese habe die Aufsicht über Wirecard nicht nur schleifen lassen, sondern das Unternehmen auch noch aktiv schützen wollen.

Die Wirtschaftsprüfer von EY hätten jahrelang „die kritische Grundhaltung“ vermissen lassen, betonte Lisa Paus, Grünen-Obfrau im Untersuchungsausschuss. Als die Bafin schließlich eingegriffen habe, sei dies mit einer „Wagenburg-Mentalität“ geschehen. Die Bafin hatte Journalisten der Financial Times angezeigt, die auf Probleme bei Wirecard hingewiesen hatten.

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