Gipfeltreffen Biden und Putin: Erste Annäherungen in Genf

Beim ersten Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin wurde mehr vereinbart, als zuvor erwartet worden war.

Der russische Präsident Wladimir Putin und US-Präsident Joe Biden sitzen bei ihrem Treffen vor Bücherregal, Landesflaggen ihrer Länder und einem Globus

Sprachen über zwei Stunden unter vier Augen: Joe Biden und Wladimir Putin Foto: Mikhail Metzel/Pool Sputnik Kremlin/dpa

GENF taz | US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin haben bei ihrem Gipfeltreffen am Mittwoch zumindest einige Grundvoraussetzungen für eine künftig vielleicht wieder verbesserte Beziehung zwischen den USA und Russland geschaffen. Dreieinhalb Stunden lang führten beide intensive Gespräche – davon über zwei Stunden unter vier Augen und Ohren.

Die kurzfristig konkreteste Maßnahme ist die von Putin angekündigte Rückkehr des US-Botschafters nach Moskau sowie seines russischen Amtskollegen nach Washington. Die beiden Diplomaten waren im Februar nach Bidens „Killer“-Vorwurf an Putin und der Verhängung gegenseitiger Sanktionen abgezogen beziehungsweise ausgewiesen worden.

Mittel- bis längerfristig zu verbesserten Beziehungen beitragen könnten die von den beiden Präsidenten vereinbarten gemeinsamen Arbeitsgruppen zur Bearbeitung und – hoffentlich – Überwindung zentraler Konfliktpunkte. Mit­ar­bei­te­r:in­nen der beiden Außenministerien sowie Militärs sollen sich über künftige Verhandlungen zur atomaren Rüstungskontrolle verständigen sowie über Maßnahmen zur Cybersicherheit, um Cyberwar und Hackerattacken zumindest durch Vereinbarungen einzugrenzen.

Dazu präsentierte Biden dem russischen Präsidenten nach eigener Darstellung gestern „eine Liste mit 16 besonders sensiblen Infrastruktureinrichtungen, die künftig grundsätzlich tabu sein sollten für Cyberangriffe“, darunter etwa Wasser- und Stromleitungen oder Atomkraftwerke.

Arbeitsgruppen auf Ministeriumsebene

Putin sprach sich in seiner Pressekonferenz zwar auch grundsätzlich für Vereinbarungen zur Cybersicherheit aus, ging auf Bidens Liste aber nicht ein. Stattdessen widersprach er ausführlich allen westlichen Vorwürfen zu von russischem Territorium ausgehenden Cyberangriffen und Hackerattacken und siedelte deren Ursprung und Ausgangspunkte stattdessen „hauptsächlich in den USA sowie in Großbritannien und einigen lateinamerikanischen Ländern“ an.

Eine vereinbarte Arbeitsgruppe zwischen den Außenministerien in Moskau und Washington soll sich auch um die Freilassung inhaftierter Russen in den USA sowie US-Amerikanern in Russland kümmern. Das alles sind mehr konkrete Ergebnisse, als im Vorfeld des Gipfels erwartet worden war.

Biden sprach von unterschiedlichen Zeiträumen zwischen drei, sechs oder zwölf Monaten, nach denen man überprüfen müsse, ob die gemeinsamen Arbeitsgruppen Ergebnisse erbracht haben, die zu der von seiner Administration angestrebten Wiederherstellung einer von Russland in den letzten Jahren angeblich verletzten „strategischen Stabilität“ führen.

Was genau Biden mit diesem Begriff meint, erläuterte er nicht. Angesprochen auf diese Zielsetzung Washingtons erklärte Putin auf seiner Pressekonferenz, die „strategische Stabilität“ sei in den vergangenen 20 Jahren in erster Linie von den USA gefährdet worden, angefangen mit der Aufkündigung des bilateralen Raketenabwehrvertrages ABM durch Präsident George W. Bush im Jahr 2002 bis hin zum Austritt der Trump-Administration aus dem INF-Mittelstreckenvertrag und dem Open-Skies-Abkommen über vertrauensbildende Maßnahmen im Luftraum.

Beim Thema Menschenrechte bleiben größere Differenzen

Beim Thema Ukrainekonflikt bekannten sich die beiden Präsidenten fast wortgleich dazu, den „mit dem Minsker Abkommen eingeschlagenen diplomatischen Weg zu einer Lösung“ weiter verfolgen zu wollen. Hinter dieser Sprachregelung verbergen sich allerdings weiterhin sehr unterschiedliche Vorstellungen.

Biden betonte ausdrücklich die „Unverletzlichkeit der Grenzen der Ukraine“, ohne allerdings die Rückgabe der von Russland 2014 annektierten Krim zu fordern. Putin ging auf diese Frage überhaupt nicht ein, sondern kritisierte stattdessen, die USA und andere westliche Länder hätten 2014 „den illegalen Sturz der Regierung in Kiew“ betrieben. Die Frage eines Beitritts der Ukraine zur Nato sei zwar angesprochen worden, aber darüber gäbe es „nichts weiter zu diskutieren“.

Am schärfsten klangen die Gegensätze zwischen den beiden Präsidenten zumindest auf ihren getrennten Pressekonferenzen beim Themenkomplex Menschenrechte und innerstaatliche Opposition. Biden rügte den Umgang der Regierung Putin mit dem inhaftierten Kremlkritiker Alexej Nawalny. Putin versuchte die Verurteilung und Inhaftierung damit zu rechtfertigen, dieser habe mit seiner Reise nach Deutschland eine Straftat begangen.

Auf mehrfache Fragen der Jour­na­lis­t:in­nen nach der Menschenrechtssituation in Russland reagierte Putin unter anderem mit Hinweisen auf die Lage in den USA. Er verwies unter anderem darauf, dass dort im Januar 400 Anhänger von Biden-Vorgänger Donald Trump wegen einer „friedlichen Demonstration vor dem Kapitol verhaftet“ worden seien.

Putin lobt Biden: „Konzentriert, erfahren, ausgewogen“

Biden wies derartige Vergleiche als „lächerlich“ zurück. Er habe Putin zu verstehen gegeben, dass die USA Menschenrechtsverletzungen in Russland weiter anprangern würden. „Es geht nicht darum, Russland anzugreifen, wenn sie Menschenrechte verletzen.“ Es gehe darum, „demokratische Werte zu verteidigen“.

Mehrfach pries Biden sich selbst und das amerikanische Volk als der weltweit führende Vorkämpfer für die universell gültigen Menschenrechtsnormen.

Trotz aller sachlichen Kontroversen seien ihre Gespräche „konstruktiv verlaufen“, versicherten beide Präsidenten. Putin betonte, es habe „keinerlei Feindseligkeit“ gegeben. Biden und er hätten „eine gemeinsame Sprache“ gesprochen.

Biden erklärte: „Der Ton des ganzen Treffens war gut, positiv. Es gab keine schrillen Aktionen. Wenn wir nicht gleicher Meinung waren, haben wir es gesagt, aber nicht in einer hitzigen Atmosphäre“. Auf Frage nach seinem „Killer“-Vorwurf an den russischen Präsidenten, versicherte Biden, Putin habe sich mit seinen Erklärungen zu dieser Äußerung „zufrieden gegeben“.

Umgekehrt lobte der Kremlchef seinen zehn Jahre älteren Counterpart in Washington jetzt vor über 1.500 Jour­na­lis­t:in­nen aus aller Welt als „sehr konzentiert, erfahren, sehr ausgewogen, mit großen Qualitäten und moralischen Werten“. Sämtlich Eigenschaften, über der der einst von Putin geschätzte Biden-Vorgänger Donald Trump nicht verfügte.

Für Befremden unter den über 1.500 Me­di­en­ver­tre­te­r:in­nen aus aller Welt, die zum Gipfel nach Genf angereist waren, sorgten die unterschiedlichen Formate der beiden Pressekonferenzen: US-Präsident Biden erteilte auf seiner Pressekonferenz ausnahmslos Journalisten von US-Medien das Wort, deren Namensliste ihm vorlag. Diese Journalisten stellten ihm ausnahmslos Fragen zum von den USA und anderen westlichen Staaten kritisierten Verhalten Russlands und zu den Maßnahmen, mit denen die Biden-Administration darauf reagieren wolle. Putin hingegen musste bei seiner für alle Gip­fel­be­richt­erstat­te­r:in­nen offenen Pressekonferenz fast ausschließlich auf harte, kritische Fragen westlicher Journalisten zu seiner Politik reagieren.

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