das ding, das kommt
: Pharaonen-Träume in der Leinestadt

Als „geistigen Orientierungspunkt“ entwarf Bernhard Hoetger 1919 die 35 Meter hohe TET-Säule für die Bahlsen-Stadt Foto: Abb.: HAWK Hildesheim

Großindustrielle ­Allmachtsfantasie mischt sich mit Orientalismus, „das Zeitalter der Wissenschaft kollidiert mit magischem Denken und taumelt in Richtung Okkultismus“: Um die „TET-Stadt“ geht es am kommenden Mittwoch in der Veranstaltungsreihe „Fabrikanten der Wirklichkeit“ des Kunstvereins Hannover. Das mit den „Fabrikanten“ stimmt dann auf besondere Weise: Es war ja der Keksfabrikant Hermann Bahlsen, der in den späten 1910er-Jahren eine, eben, Backwarenfabrik errichten lassen wollte mitsamt einer Wohnstadt für bis zu 2.000 Menschen.

Solche Projekte gab es auch anderswo, also kapitalistische Patriarchen, die, kein bisschen selbstlos, ihre Arbeiter_innen mit kurzen Wegen und halbwegs die Arbeitskraft erhaltenden Hygieneverhältnissen, tja, beschenkten. Aber nirgendwo sonst sollten solche Projekte aussehen wie in Hannover: In nicht immer harmonischer Zusammenarbeit mit dem Bildhauer Bernhard Hoetger wollte Bahlsen da verewigen, wie sich ein Fieberkranker das alte Ägypten vorgestellt haben mag.

Rechtfertigt sich ein Produktname wie „Afrika“ – soeben geändert, was den Online-Mob gerade SEHR aufregt – über den von dort bezogenen Kakao, liegt die Pharonenbegeisterung noch mal anders. 1904 hatte Bahlsen eine neue Verpackung eingeführt, die für nie dagewesene Frische des verpackten Gebäcks sorgen sollte: die „TET-Packung“, eingedeutscht abgeleitet von einer Hieroglyphe mit der Bedeutung „ewig dauernd“. Grafisch sind ihre Elemente – Oval, Schlange, Halbkreis und drei Punkte – bis heute Teil der Selbstdarstellung des Konzerns.

Es dauerte damals fast zehn Jahre, bis ein Bauantrag gestellt wurde. Bahlsen und Hoetger entzweiten sich über ästhetische, aber auch Machbarkeitsfragen; ein Hoetger’sches Modell bezeichnete der Keksmagnat 1917 als „Idee“, deren „praktische Ausführung“ sei aber „ausgeschlossen“. Dazu soll Herman Bahlsen sich am Mittwoch klärend äußern können: Der 1919 Verstorbene sei „höchstselbst eingeladen“, erklären der Kunstverein und der Mann hinter der Reihe, der ehemalige Villa-Minimo-Stipendiat Till Wittwer. Sein Erscheinen indes habe Bahlsen „aber noch nicht bestätigt“. Alexander Diehl

Fabrikanten der Wirklichkeit: „Fabrikantenphantasien. Architektur und Kontrolle“, Mi, 23. 6., 19 Uhr, Zoom (Zugangsdaten https://t1p.de/c1e0; Meeting-ID: 861 5520 9349; Kenncode: 230871)