Kinotipps für Berlin: Thematisch beharrlich

Das Festival „Woche der Kritik“ nutzt die neuen Möglichkeiten für ein kleines Programm mit Publikum unter freiem Himmel.

„FREIZEIT oder: das gegenteil von nichtstun“ (R: Caroline Pitzen​) Foto: OKNO/Markus Koob

Wie die Berlinale selbst musste auch die Woche der Kritik, die seit einigen Jahren auf Initiative von Vorstandsmitgliedern des Verbandes der Deutschen Filmkritik zeitgleich mit dem großen Berliner Festival stattfindet, in diesem Jahr aufgrund der Pandemie zunächst auf eine Online-Ausgabe Ende Februar ausweichen.

Nun möchte man aber die augenblicklichen Möglichkeiten nutzen, wenigstens ein Abendprogramm mit Publikum im Freiluftkino Hasenheide anzubieten. Zum Einsatz kommen dabei Suneil Sanzgiris „Letter From Your Far-off Country“, ein indischer Kurzfilm über eine Genealogie politischen Engagements, sowie „FREIZEIT oder: das gegenteil von nichtstun“ von Caroline Pitzen.

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Pitzens Film, der im Rahmen des Meisterschüler*innen-Studiums bei Thomas Arslan an der UdK entstand, zeigt junge Menschen in Berlin, die sich über jene Themen und Probleme unterhalten, die ihre Generation aktuell umtreibt: Gentrifizierung ihrer Kieze, Sexismus, Feminismus, Mitbestimmung, politisches Engagement, die Anforderungen der Leistungsgesellschaft.

Wie positioniert man sich da in unserer Gesellschaft? Dass es sich nicht um einen hundertprozentigen Dokumentarfilm (aber was ist das überhaupt?) handelt, verdeutlicht dabei die Inszenierung, aber auch das thematische Beharren auf historischen Verweisen.

Die Jugendlichen lesen Tucholsky und den kommunistischen Autor Ronald Schernikau, sie zitieren „Das kommunistische Manifest“ und schauen den Filmklassiker „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“ an, für den Brecht gegen Ende der Weimarer Republik einst das Drehbuch schrieb.

Und sie fragen sich etwa, warum die meisten Hausbesetzer der 80er-Jahre heute längst ihre Wohnungen gekauft haben. Ist das nicht Verrat an den Idealen? Aber wie wird man selbst in zwanzig Jahren mit Vierzig wohl denken? Das ist Denkstoff also auch für jene, die im Engagement der Jugend zwar die eigenen Erfahrungen gespiegelt sehen, aber der Zeit des Aktionismus längst entwachsen sind.

Der Abspann listet die jungen Leute mit Rollennamen auf, die Dar­stel­le­r:in­nen aber auch als Mitglieder eines „Komitees für Stoffentwicklung“: Die Themen sind also genuin, inwiefern die eingenommenen Positionen und geschilderten Erlebnisse komplett authentisch sind, lässt der Film jedoch offen.

Das ist dann ein spannendes Thema für die anschließende Diskussion, die Caroline Pitzen mit der Regisseurin Angelika Levi und dem Leiter des IDFA-Festivals Orwa Nyrabia führen wird (8. 6., 21.45 Uhr, Freiluftkino Hasenheide).

Auf ein ganz anderes Publikum zielt vermutlich ab, wer ein neues Freiluftkino vor der feudalen Kulisse des Schlosses Charlottenburg eröffnet. Das jedenfalls macht die Yorck-Kinogruppe am selben Abend mit einer Vorpremiere von Thomas Vinterbergs vielfach prämierter Satire „Der Rausch“ (als regulärer Kinostart wird momentan der 22. 7. genannt), die thematisch hier doch ganz gut passt.

Vier ehemals engagierte und mittlerweile längst frustrierte Lehrer machen in „Der Rausch“ ein Trink-Experiment, wollen Leben und Arbeit fortan nur noch mit einem konstanten Alkohol-Level führen. Das geht nicht wirklich gut, soviel kann man an dieser Stelle schon mal sagen (8. 6., 21.30 Uhr, Sommerkino Schloss Charlottenburg).

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Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

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