Höchststrafe für Messerangriff

Ein Islamist ermordet 2020 einen Mann in Dresden, verletzt dessen Partner schwer. Nun wurde er zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Das homophobe, islamistische Weltbild benennt der Richter deutlich

Der Täter folgte mit seiner Tat einem „selbst gezimmerten Zerrbild Gottes“, so der Dresdner Richter

Aus Dresden Konrad Litschko

Oliver L. hat es zu keinem der Verhandlungstage ins Dresdner Gericht geschafft, auch am Freitag nicht. Zu dem Tag, an dem Abdullah al-H. vom Oberlandesgericht zu lebenslanger Haft verurteilt wird, mit besonderer Schwere der Schuld. Für eine Tat, die Richter Hans Schlüter-Staats „fassungslos“ machte. Vor einem dreiviertel Jahr stach der Islamist al-H. mit einem Messer auf Oliver L. und seinen Partner Thomas L. in Dresden ein. Der 54-jährige überlebte schwer verletzt – Thomas L. nicht.

Die Teilnahme am Prozess wäre eine zu große Belastung für Oliver L. gewesen, sagt sein Anwalt Maximilian Klefenz. „Es hätte eine Retraumatisierung gedroht. Aber er hat die Verhandlung sehr intensiv verfolgt.“ Den ungebrochenen Extremismus des al-H., die fehlende Reue. Klefenz zeigt sich deshalb erleichtert über das Urteil, Oliver L. solle „ein bisschen Frieden und Ruhe“ finden.

Die Tat vom 4. Oktober 2020 war – neben der religiös motivierten Ermordung einer afghanischen Asylsuchenden durch ihren Mann in Cottbus – der einzige islamistische Mord im vergangenen Jahr in Deutschland. Und sie war die erste hierzulande, die sich explizit gegen Homosexuelle richtete.

Oliver L., ein Kölner Lohnbuchhalter, und sein Partner Thomas L., ein Werbetechniker, waren seit acht Jahren ein Paar, wollten zusammenziehen. Am 4. Oktober 2020 waren sie als Touristen in Dresden, sie hatten Räder dabei, besuchten einen Weinberg, gingen abends in die Altstadt etwas essen. Als plötzlich Abdullah al-H. von hinten auf sie einstach.

Er habe erst an einen kumpelhaften Klaps gedacht, sagte Oliver L. als Zeuge im Prozess, zugeschaltet per Video. Dann aber sah er den Angreifer, trat nach ihm, bis dieser wegrannte. Beide Opfer gingen zu Boden, schwer verletzt, Blutlachen bildeten sich. Oliver L. habe immer wieder nach Thomas L. gerufen, erinnerte er sich. Doch sein Partner starb wenig später im Krankenhaus, in seinem Rücken steckte noch eine 20 Zentimeter lange Klinge. Er war verblutet. Oliver L. überlebte nur dank einer Notoperation.

Seit April stand Abdullah al-H. für diese Tat vor Gericht. Ein 21-jähriger Syrer mit wuscheligen Locken und flaumigem Bart, 2015 nach Deutschland gekommen und hier radikalisiert, offenbar über das Internet. Erst fünf Tage vor der Tat war er aus dem Gefängnis entlassen worden, dort saß er wegen Propaganda für den IS. Behörden überwachten ihn sogar, konnten den Mord jedoch nicht verhindern. Nach der Tat war al-H. zunächst flüchtig. Eine DNA-Spur am Schuh von Oliver L. überführte ihn schließlich.

Einem forensischen Psychia­terhatte sich Abdullah al-H. nach seiner Festnahme für gut sechs Stunden anvertraut. Er habe schon in der Haft beschlossen, „Ungläubige“ zu töten, sagte der 21-Jährige. Deshalb habe er kurz nach der Entlassung zwei Messersets gekauft und sei in der Tatnacht durch die Stadt gelaufen, habe schließlich die beiden Männer entdeckt, die vertraut und gelöst gewirkt hätten – und hat zugestochen. Homosexuelle dürfe man töten, sie seien „Feinde Gottes“, da dieser nur Beziehungen zwischen Mann und Frau vorsehe, sagte al-H. dem Psychiater. Und er würde wieder „Ungläubige“ töten. Dann aber entschlossener, nach Beratung mit dem IS.

Richter Schlüter-Staats ist die Abscheu über diese Tat anzumerken. Sie mache fassungslos mit Blick auf die Opfer, aber auch auf die Beweggründe des Täters, sagt er. Abdullah H. habe die Opfer als „Repräsentanten einer als ungläubig verhassten, offenen Gesellschaft“ gesehen, er habe sie angegriffen, weil er sie für homosexuell hielt, weil sie anders waren als er. Schlüter-Staats spricht beißend von einer „religiösen Verblendung“ des Angeklagten, einem „selbst gezimmerten Zerrbild Gottes“ mit „absurden, gotteslästerlichen Maßstäben“. Abdullah al-H. habe geglaubt, mit seinem „Dschihad“ trotz eigener Sünden ins Paradies zu kommen. Aber es sei das Töten von Unschuldigen gewesen, die nichts anderes taten, als anders zu leben als er. „Das ist nur Egoismus und hat nichts mit Gott zu tun“, stellt der Richter klar.

Schlüter-Staats attestiert al-H. eine „tief verwurzelte Homophobie“. Doch es hätte alle treffen können, die al-H. für „Ungläubige“ hält: „Im Prinzip war es ihm egal, wen er tötet.“ Der Angeklagte reagiert auf diese Worte nicht, schaut nur starr in den Saal. Den gesamten Prozess hatte er geschwiegen, ihn teilnahmslos verfolgt. Er verlasse sich auf Gott, was er im Gericht sage, spiele keine Rolle, merkte er in seinen letzten Worten an.

Auch am Urteilstag erhebt er sich nicht, als die RichterInnen den Saal betreten. „Das ist für ihn ein irdisches Gericht, das er ablehnt“, sagt sein Verteidiger Peter Hollstein. Ihm blieb am Ende nur, für eine Verurteilung von al-H. nach Jugendstrafrecht zu plädieren – da der 21-Jährige sein Tun noch nicht überschaue.

Schlüter-Staats folgt dem nicht. Das Bild, ob der Angeklagte noch als Jugendlicher zu sehen sei, sei „ambivalent“. Aber al-H. trete schon länger „reflektiert“ auf, mit verfestigter Ideologie, zeige keine offene Entwicklung mehr. Deshalb sei er nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen. Er halte den Mord bis heute für richtig, wolle weitermorden. Deshalb werde die lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld verhängt, vorbehaltlicher Sicherungsverwahrung. Wie es aussehe, sei al-H. noch lange für die Allgemeinheit gefährlich.

Ganz am Ende wendet sich Schlüter-Staats noch einmal persönlich an den Verurteilten. Auch er selbst sei ein gläubiger Mensch, sagt der Richter und al-H. wendet ihm nun immerhin den Blick zu. „Das aber, was Sie getan haben, ist wahrhaft gotteslästerlich. Eine Sünde, die kaum zu übertreffen ist. Was wäre das denn für ein zwergenhafter, rachsüchtiger Gott, der es nötig hätte, dass ein Herr al-H. für ihn töten muss?“, fragt er. Al-H. reagiert nicht. Schlüter-Staats gibt den formellen Hinweis, dass al-H. gegen „dieses irdische Urteil“ Revision einlegen könne.

Oliver L. äußert sich bis heute nicht öffentlich. Aber er habe das Agieren der Behörden verfolgt, sagt sein Anwalt Klefenz der taz. Zunächst habe ihm die Kraft gefehlt, sich öffentlich einzubringen. Aber er habe das homophobe Motiv auch nicht in den Vordergrund stellen wollen. „Für ihn war es eine Tat, die jeden hätte treffen können.“ Die Behörden schwiegen zunächst über das auch homophobe Motiv, sprachen von zwei angegriffenen Touristen.

Was Oliver L. aber bis heute umtreibe, ist die Frage, ob dieser Mord nicht hätte verhindert werden können, sagt Klefenz. Dass al-H. gefährlich ist, wussten die Behörden schon lange. Oliver L. fragt sich, wie gut überhaupt observiert wurde. „Das wird für Herrn L. immer ein ganz bitterer Beigeschmack bleiben“, sagt Anwalt Klefenz.

Bis heute ist Oliver L. in psychologischer Behandlung, fühlt sich nicht mehr sicher, konnte lange nicht normal laufen. Nur knapp wäre der Angriff auch für ihn tödlich gewesen.

Doch für ihn sei das Schlimmste, dass Thomas L. nie mehr wiederkommen werde, sagt Klefenz. „Ob dieser Schmerz jemals heilen wird, ist unklar.“