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Übergriffe bei Demos nehmen zu

In Deutschland hat sich die Gewalt gegen Medienschaffende in einem Jahr verfünffacht

Anne Renzenbrink ist Pressereferentin bei Reporter ohne Grenzen mit den Schwerpunkten Asien/Pazifik, Deutschland und Türkei.

Von Anne Renzenbrink

„Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten zu vertreten sowie Informationen und Ideen mit allen Kommunikationsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

(Artikel 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen)

Die neue Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt, wie sehr das Menschenrecht auf Pressefreiheit weltweit eingeschränkt wird, etwa in China, wo mehr als 100 Medienschaffende im Gefängnis sitzen, oder in Mexiko, wo in jedem Jahr seit 2015 acht bis elf Jour­na­lis­t*in­nen ermordet wurden. Im weltweiten Vergleich sind die Arbeitsbedingungen von Jour­na­lis­t*in­nen in Deutschland insgesamt gut. Doch das Land hat sich um zwei Plätze verschlechtert und steht nun auf Rang 13 von 180 Staaten.

Dazu beigetragen hat die Gewalt gegen Medienschaffende, die eine noch nie dagewesene Dimension erreicht hat: Im Kalenderjahr 2020 zählte RSF mindestens 65 gewalttätige Angriffe gegen Jour­na­lis­t*in­nen im Land. Damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Jahr 2019 (13 Übergriffe) verfünffacht. Sie liegt auch deutlich über der Zahl aus dem Jahr 2018 (22), als Medienschaffende insbesondere am Rande von Protesten rechtspopulistischer Gruppen in Chemnitz angegriffen wurden, und überschreitet den bisherigen Höchststand von 39 Angriffen im Jahr 2015 während der Hochphase der Pegida-Bewegung. Die Mehrheit der Übergriffe 2020 ereignete sich auf oder am Rande von Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen. Jour­na­lis­t*in­nen wurden geschlagen, getreten und zu Boden geschubst, sie wurden bespuckt und bedrängt, beleidigt, bedroht und an der Arbeit gehindert. Das Jahr 2020 hat erneut gezeigt, dass die Berichterstattung von Protestkundgebungen gefährlich werden kann: Mehr als drei Viertel aller körperlichen Angriffe gegen Medienschaffende ereigneten sich am Rande von Demonstrationen, darunter neben den Coronaprotesten etwa auch auf Demos gegen das Verbot der linken Internetplattform linksunten.indymedia.org oder auf Demos zum 1. Mai.

Erfreulich hingegen war zunächst, dass das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 die Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärt hat. Geklagt hatte ein Bündnis aus RSF, In­ves­ti­ga­ti­v­jour­na­lis­t*in­nen und der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), weil der deutsche Auslandsgeheimdienst durch das BND-Gesetz völlig legal die Kommunikation von Jour­na­lis­t*in­nen außerhalb Europas überwachen durfte, wenn dies im Interesse Deutschlands lag. Das ist auch für Re­por­te­r*in­nen in Deutschland relevant, wenn der BND bei internationalen Großrecherchen wie etwa zu den Panama-Papers ausländische Partnermedien deutscher Redaktionen überwachen kann.

Doch das BND-Gesetz bleibt auch in der Ende März 2021 verabschiedeten Neufassung problematisch. Denn auch wenn die Schutzwürdigkeit der Kommunikation zwischen Medienschaffenden und ihren In­for­man­t*in­nen erstmals gesetzlich anerkannt wird, soll der BND weiterhin Daten wie Kommunikationsverbindungen oder Betreffzeilen von E-Mails sammeln und ungefiltert an ausländische Geheimdienste weitergeben dürfen. Solche Daten sind leicht auf einzelne Personen zurückzuführen und lassen Rückschlüsse darüber zu, mit wem Jour­na­lis­t*in­nen in Kontakt stehen. RSF und die Gesellschaft für Freiheitsrechte behalten sich daher vor, erneut gegen das BND-Gesetz zu klagen.

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