Sachverständigenrat für Integration: Turbo-Einbürgerung, bitte

Deutschland ist divers wie nie. Vor der Bundestagswahl fordern Ex­per­t:in­nen für Integration Maßnahmen für mehr politische Teilhabe.

Jemand hält einen türkischen und einen deutschen Reisapass in der Hand

Der SVR fordert neben einer Einbürgerung in vier Jahren einen Kompromiss bei der Mehrstaatigkeit Foto: Sven Simon/imago

BERLIN taz | In Deutschland ist Diversität im Jahr 2021 der Normalfall. Das ist die Kernaussage des Jahresgutachtens, das der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) am Dienstag in Berlin vorgestellt hat. „Allein die Zahlen zeigen, wie divers die deutsche Gesellschaft heute ist“, sagte SVR-Vorsitzende Petra Bendel.

21,2 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Zuwanderungsgeschichte, also mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Bei Kindern und Jugendlichen liegt der Anteil bei rund 40 Prozent. Viel mehr Deutsche als noch vor 20 Jahren nähmen Vielfalt heute als Bereicherung wahr, so Bendel.

Gleichzeitig spiele die Herkunft aber bei der Arbeits- und Wohnungssuche immer noch eine zentrale Rolle. Zudem seien Menschen mit Migrationsgeschichte in vielen Bereichen – Parteien oder öffentliche Verwaltung – nach wie vor unterrepräsentiert.

Im Gutachten blicken die Sachverständigen wegen der anstehenden Bundestagswahl besonders auf die politische Partizipation von Zugewanderten und deren Nachkommen. Sie halten fest, dass die zweite und dritte Generation sich stärker politisch engagiert: in Verbänden, Parteien, auch über Meinungsbeiträge und Demos.

Kaum Anreiz für Einbürgerung

Die For­sche­r:in­nen kritisieren jedoch, dass der Staat dieser Gruppe die politische Teilhabe erschwere. So gelte das Wahlrecht – mit Ausnahme von EU-Bürger:innen bei Kommunalwahlen – nur für deutsche Staatsangehörige.

„Wir wissen aus Umfragen, dass Menschen, die nicht wählen gehen, sich auch häufig nicht politisch engagieren“, begründet Bendel die Kritik. Gleichzeitig stagnierten die Zahlen bei der Einbürgerung. So seien im Jahr 2019 nur 2,5 Prozent der Aus­län­de­r:in­nen in Deutschland, die die Voraussetzungen dafür erfüllen, auch eingebürgert worden.

Als Gründe nennt das SVR-Gutachten bürokratische Hürden (im Schnitt dauert die Einbürgerung acht Jahre) und die Pflicht zur Aufgabe der ursprünglichen Staatsangehörigkeit. Besonders sichtbar sei dies bei Tür­k:in­nen, bei denen die Einbürgerungsquote 2019 nur bei 1,5 Prozent lag, obwohl diese Gruppe bei Umfragen mehrheitlich der Ansicht ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit ihr langfristig Vorteile bringt.

Der SVR empfiehlt neben einer Werbekampagne und einer „Turbo-Einbürgerung“ in vier Jahren auch einen Kompromiss bei der Mehrstaatigkeit. Für ein oder zwei Nachfolge-Generationen sollten mehrere Pässe erlaubt sein. Zudem müssten Parteien gezielt auf migrantische Communities zugehen, um deren politische Teilhabe zu erhöhen.

Problem Rassismus

Dass das allein nicht reicht, zeigt der Fall des aus Syrien geflüchteten Tareq Alaows, der für die Grünen in den Bundestag wollte und seine Kandidatur wegen Drohungen zurückzog. „Ein erschreckendes Beispiel für Rassismus“, sagt dazu die Sachverständige Viola B. Georgi. Man müsse davon ausgehen, dass sich Menschen mit Migrationsgeschichte auch wegen solcher Vorfälle nicht politisch engagieren.

Valide Daten, wie sich Rassismus auf Teilhabe auswirke, gebe es allerdings nicht. Der SVR empfiehlt mehr Forschung auf dem Gebiet. Belegt sei hingegen, dass eine als „fremd“ wahrgenommene Person häufiger von Diskriminierung betroffen ist. Auch das ist 2021 deutsche Normalität.

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