piwik no script img

Birte Müller Die schwer mehrfach normale FamilieIch mag nicht mehr

Ich weiß, man sollte die Coronakrise als Chance sehen und ein erleuchteter Mensch werden oder wenigstens seinen Kleiderschrank entrümpeln. Aber ich bekomme beides nicht hin. Ich bekomme eigentlich gar nichts mehr gebacken – schon gar nicht Kuchen. Ich schaffe es nur grad mal so durch jeden einzelnen Tag. Ich weiß nicht, ob das an mir liegt oder daran, dass ich keine Funktionskinder habe.

Ich habe keinen Bock auf den ganzen Digitalscheiß, darum habe ich jetzt eigentlich gar keine Kontakte mehr außerhalb der Familie. Ich habe überhaupt auf fast nichts mehr Lust, außer vielleicht darauf, ein paar Stunden in Ruhe zu arbeiten oder zu schlafen. Ich mag auch nicht mehr weggehen und Leute sehen. Ich schaffe es mit nur einmal Einkaufen durch die ganze Woche. Dann gibt es eben Toastbrot.

Wenn meine Tochter gefragt wird, ob sie die Schule sehr vermisst, dann wundern sich alle, dass sie das vehement verneint. Sie will gar nicht wieder in die Schule gehen und das ist ein ganz schlechtes Zeichen. Ich fürchte, es geht ihr so ähnlich wie mir. Nur dass Homeschooling eigentlich auf Dauer noch ungeiler ist als Toastbrot. Vielleicht verstehen wir uns deswegen zurzeit besonders gut und sind zufrieden damit, den Tag in Jogginghosen mit Skip-Bo-Spielen zu verbringen.

Zum Glück gibt es auch viel zu Lachen in dieser seltsamen Zeit. Vor allem der Online-Unterricht ist sehr lustig. Meine bisherige Lieblingssituation war, als eine Lehrerin mal versuchte, in einer Videokonferenz ihren Bildschirm zu teilen und sagte „Ihr müsst jetzt alle das Dokument sehen.“ Als die Kinder verneinten, schimpfte sie: „Ich sag ja schon die ganze Zeit, ihr sollt eure Kameras anmachen. Ohne Kamera könnt ihr das natürlich auch nicht sehen.“ Ha, ha!

Bevor man die Schulen weiter digitalisiert, sollte man vielleicht erst mal die Lehrpersonen weiterbilden. Das kann ja richtig gefährlich werden, wenn solche Leute mit unseren Kindern ins Internet können! Ich weiß, ich bin unfair. Die Lehrer und Lehrerinnen haben sich den Online-Unterricht weiß Gott nicht herbeigewünscht und manche machen ja auch einen guten Job. Aber größtenteils muss ich halt grad ihren Job machen und deswegen bin ich genervt. Zurzeit ist bei uns der beste Online-Unterricht oft der von „Checker Tobi“ und „Lehrer Schmidt“.

Birte Müller

46, ist Illustratorin, Autorin und Mutter von Willi (13) mit Downsyndrom und Olivia (11) mit Normalsyndrom. Im Februar hat sie das Kinderbuch „Wie krank ist das denn?“ mit Yannick de la Pêche veröffentlicht.

Die Schulen haben ja auch gar kein eigenes digitales Lernmaterial. Jedenfalls unsere nicht. Nur ein einziges Mal kam bei uns ein professionelles PDF an. Es war sogar farbig mit erkennbaren Bildern und ließ sich direkt am Computer ausfüllen. Mich machte das so stutzig, dass ich mir das Dokument genau anschaute – es ging dabei um Kakaoanbau. Schnell entdeckte ich in einem farbig hervorgehobenen Kasten den Namen einer populären Schokoladenfirma, die ihr selbst ausgedachtes Fair-Trade-Siegel vorstellte. Ich musste keine Minute googeln, um die Arbeitsblätter auf der Seite des Unternehmens zu finden. Wir machen tatsächlich Schule mit privatem Werbematerial von großen Konzernen.

Mindestens genauso schlimm finde ich die Links zu Filmen bei Youtube oder den Seiten privater Fernsehsender, wo die Kinder sich erst mal Werbespots anschauen müssen. Hier wird es nämlich jetzt wirklich gefährlich, wenigstens für mich. Ich muss meine Tochter viel unterstützen und in den letzten Wochen begann unser gemeinsamer Schulmontag bei Pro7 mit einem Werbespot für Wein! Das fordert mich ganz schön heraus, nicht nur der mangelnden Medienkompetenz der Lehrerin gegenüber, sondern gegenüber der Weinflasche, die drei Schritte entfernt im Kühlschrank steht. Da fange ich ja schon um viertel nach acht an, auf die Uhr zu schauen, wann ich darf.

Toll fand ich auch neulich den Vokabeltest, den die Kinder in einen Chat tippen sollten. Geht man davon aus, dass alle Elfjährigen zu Hause am eigenen Computer so nebenbei das Zehn-Finger-System gelernt haben? Ich erinnere mich noch gut an das Drama mit diesem scheiß Schönschrift- oder Füller-Führerschein, den Olivia in der 3. Klasse machen musste. Schreibschrift hat leider seitdem nie wieder jemanden interessiert, aber tippen sollen die Kinder jetzt plötzlich können.

Und wie selbstverständlich lauten die Aufgaben im Homeschooling: Macht mal einen Film zu dem Thema oder einen Podcast oder einen Flyer oder eine Powerpoint … Das müsste doch in der Schule erst mal jemand den Kindern beibringen! So ist es eine reine Beschäftigungstherapie für die Eltern.

Ihr seht, ich bin schlecht drauf. Das sind wir hier alle. Bis auf unseren Sohn Willi. Dem Autisten in ihm gefällt es mittlerweile super, dass alles immer gleich und er zu Hause bleibt. Solange er in die Notbetreuung der Schule gehen und am Nachmittag mit Murmeln spielen darf, ist er zufrieden. Wenigstens einer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen