Profit vor Schutz

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Berliner Mietendeckel ist eine Gefahr für den sozialen Frieden im Land

Den Mie­te­r*in­nen bleibt nun nichts anderes übrig, als selbst eine Antwort auf den von oben forcierten Klassenkampf zu finden

Von Erik Peter

Der Begriff der Klassenpolitik, als Politik einer herrschenden Klasse gegen die Mehrheit der Bevölkerung, ist von vielen in der Motten­kis­te politischer Propaganda entsorgt worden. Zu Unrecht, wenn man auf die Entscheidung über die Mietendeckel durch das Bundesverfassungsgericht vom Donnerstag schaut. Auf Betreiben der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU und FDP hat das Gericht das Instrument, mit dem Berlins rot-rot-grüne Regierung die Mie­te­r*in­nen der Stadt vor existenziellen Sorgen schützen wollte, für nichtig erklärt.

Selten ist so offensichtlich geworden, wie sich ein gewichtiger Teil der politischen Klasse vor den Karren einiger Wohlhabender spannen lässt. Mit ihrer Klage haben sich die Abgeordneten zu Gehilfen weniger tausend Ver­mie­te­r*in­nen gemacht, darunter Hedgefonds und Briefkastenfirmen, denen ein Großteil des Berliner Wohnungsbestands gehört. Die Mieter*innen, die aufgrund der Mietpreisexplosion des ­vergangenen Jahrzehnts existenzielle Sorgen haben, sind ihnen egal. Die Botschaft ist klar: Der Profit steht über dem Schutzbedürfnis der nichtbesitzenden Klasse.

Als Vertreterin derjenigen, für die das soziale Gut Wohnen ein reines Geschäftsmodell ist, agiert die sich in dauerhafter politischer Verantwortung befindende Union aber nicht erst jetzt. Wirksame Regelungen zum Schutz vor Spekulation auf den Wohnungsmärkten, besonders in den Städten, verhindern die Konservativen seit jeher mit aller Macht. Die bundesweite Mietpreisbremse, hinter der sie ihr neoliberales Gesellschaftsbild zu verstecken suchen, gehört aufgrund vieler Ausnahmen und mangelnder Kontrolle zu den wirkungslosesten Gesetzen dieses Landes.

Geradezu zynisch mutet es da an, wenn das Gericht nun mit Hinweis auf diese Fehlleistung von einer ab­schließenden Regelung durch den Bund spricht. Unverantwortlich ist, dass die Rich­te­r*in­nen das Gesetz nicht nur ab sofort, sondern auch rückwirkend für nichtig erklärt haben. Damit öffnen sie Nachzahlungsforderungen Tür und Tor, statt – wie es auch möglich gewesen wäre – für die Vermeidung sozialer Härten und damit für die Wahrung des gesellschaftlichen Friedens zu sorgen. Dieser steht auf dem Spiel, wenn bei der Mehrheit ankommt: Eine soziale Mietenpolitik verstößt gegen die Verfassung. Zugleich schwindet der Glaube daran, dass Politik in der Lage ist, Menschen vor der Verwertungslogik der Märkte zu schützen. Der Versuch, mit dem Mietendeckel wirksam in eine Preisspirale einzugreifen, war in dieser Hinsicht ein – nun jäh zerstörter – Hoffnungsschimmer. Er steht trotz seines Scheiterns weiterhin dafür, dass ein Mitte-links-Bündnis mit dem nötigen Druck der Straße durchaus für einen anderen Politikansatz stehen kann.

Dass Berlins Landesregierung unter Drängen der Linken sich traute, eine kompromisslose Mietpreisbegrenzung zu verabschieden, ist allemal besser, als sich von vornherein der Alternativlosigkeit kapitalistischer Logiken zu unterwerfen. Eine sich als progressiv verstehende Regierung könnte sonst auch gleich freiwillig das Feld räumen und es den Neoliberalen überlassen. Oder auch einer Expertenriege von Managern. Am Ende macht es nämlich keinen Unterschied, ob in Berlin ein Kai Wegner an der Spitze der CDU steht oder ein Christoph Gröner, der als Immobilienspekulant allein im vergangenen Jahr fast eine Million Euro in die Partei steckte.

Den Mie­te­r*in­nen bleibt nun nichts anderes mehr übrig, als selbst eine Antwort auf den von oben forcierten Klassenkampf zu finden. Die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel oder mehr Kompetenzen für die Länder ist da nur logisch. Die richtige Reaktion für die Ber­li­ne­r*in­nen liegt auch schon auf dem Tisch: Die Unterstützung für das Volksbegehren Deutsche Wohnen & Co. enteignen, das die großen privaten Immobiliengesellschaften der Stadt vergesellschaften will.