Ausschuss zu Wirecard-Skandal: Wenn der Staat an Märchen glaubt

Die Beweisaufnahme im Wirecard-Ausschuss erreicht ihren Höhepunkt, niemand will von etwas gewusst haben. Der Ausschuss sieht das anders.

Auf einem Tisch steht ein dicker Aktenordner, darauf sind zwei Fahndungsbilder von Jan Marsalek zu sehen. Darüber die Aufschrift: "Betrug in Milliardenhöhe"

Fahndungsfotos des früheren Wirecard-Finanzvorstands Jan Marsalek Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Der Wirecard-Skandal war nicht einfach nur der größte Wirtschaftsbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Vorgänge um das bayerische Finanztechnik-Unternehmen haben die Schwächen der Aufsichtsmechanismen in Deutschland gnadenlos offengelegt. Den Wirecard-Managern ist es jedenfalls jahrelang gelungen, private und staatliche Kontrollorgane mit erstaunlich einfachen Mitteln auszutricksen.

Dafür soll sich nun auch die politische Führung des Landes verantworten. Am Donnerstag muss Finanzminister Olaf Scholz vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. Einen Tag später folgt dann Kanzlerin Angela Merkel. Beide hatten ganz unterschiedliche Berührungspunkte mit Wirecard: Scholz oblag als Finanzminister die Oberaufsicht über die Finanzkontrolle. Merkel wiederum hatte sich von Lobbyisten beschwatzen lassen, in China für das Unternehmen einzu­treten.

Die Auftritte von Scholz und Merkel markieren den Höhepunkt eines Aufklärungsmarathons, den der Ausschuss seit dem vergangenen Oktober geschafft hat. Schon jetzt ist abzusehen, wie Merkel und Scholz argumentieren werden: An der Spitze ihrer Organisation haben sie sich nicht mit Einzelfällen befasst und waren auf die Zuarbeit ihrer Mitarbeiter angewiesen. Diese wiederum haben in den bisherigen Befragungen in den vergangenen Monaten die Zuständigkeit immer woanders gesehen. Ist also am Ende keiner schuld?

Die neun Abgeordneten im Ausschuss sehen das anders. Sie haben die Rolle der Wirtschaftsprüfer, des Aufsichtsrats, der Bafin, der Banken, der Staatsanwaltschaft München, der Geldwäschebekämpfung, der Geheimdienste, des Finanzministeriums und anderer Akteure untersucht – und fast überall Schmutz und Versäumnisse gefunden.

Die Wirecard-Anwälte tischen eine Story auf

Bei den Vernehmungen sind enorme Schwächen in den Institutionen ans Licht gekommen. Die Beamten in den zuständigen Behörden haben sich zwar streng an ihre Zuständigkeiten gehalten, dabei aber das Gesamtbild ignoriert, dessen Wahrnehmung zusätzliche Arbeit gemacht hätte. Das gilt insbesondere für die Finanzaufsicht Bafin, deren Chef Felix Hufeld dafür auch seinen Posten verloren hat.

Erschreckend viele der Staatsbediensteten haben außerdem mit Aktien des Unternehmens gehandelt, während der Skandal lief. Dazu gehören mehrere Mitarbeiter der Bafin oder der Chef der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, Ralf Bose, der ebenfalls inzwischen entlassen wurde. Nun zeigen alle mit dem Finger auf die jeweils anderen. Ein Verhalten, das der Abgeordnete Hans Michelbach von der CSU „Beamtenehre“ nennt, und die SPD-Abgeordnete Cansel Kiziltepe „Bewusstsein für Compliance-Regeln“.

Wie bei „Des Kaisers neue Kleider“ mochte keiner zugeben, das Geschäftsmodell nicht verstanden zu haben

Zugleich waren die Verantwortlichen wie hypnotisiert von Wirecard und der Verheißung, die Firmenchef Markus Braun versprach. Wirecard war ein „Fintech“, ein Unternehmen zwischen der Technik- und der Finanzbranche. Ein Bereich, in dem Deutschland nicht so gut da steht. Wirecard war hier ein Heilsbringer: Deutschland kann auch Zukunft. Das glaubten alle gerne. Im Freistaat Bayern war die Politik besonders stolz auf das moderne DAX-Unternehmen.

Als von den krummen Geschäften etwas ans Licht kam, drehten Anwälte eines Wirecard-Vorstands den Spieß um: Sie erzählten der Staatsanwaltschaft München, die Nachrichtenagentur Bloomberg versuche, das Unternehmen mit der Drohung schlechter Berichterstattung zu erpressen. Die Staatsanwaltschaft glaubte die Geschichte, informierte die Finanzaufsicht und ermittelte gegen die Journalisten. Das eigene, hochgelobte Technikunternehmen konnte nicht in Betrug verwickelt sein.

Briefe von halbseidenen Geschäftsleuten

Braun wandelte indessen wie ein Prediger durch die deutsche Wirtschaftswelt. Er erklärte die Herkunft der fantastischen Gewinne seines Konzerns mit immer neuen Kombinationen neumodischer, englischer Fachausdrücke. Wie in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ mochte keiner zugeben, das Geschäftsmodell einfach nicht verstanden zu haben. Dabei hatte sich Wirecard schon früh darauf verlegt, seine Umsätze zu erfinden, statt sie durch echte Leistungen zu erwirtschaften. Die Geldquellen des Konzerns waren stattdessen immer höhere Kredite, die Braun angeblich zur Finanzierung der schnellen Expansion abrief.

Wirecard gab vor, mit Partnerfirmen zusammenzuarbeiten, die Kreditkartenzahlungen technisch betreuen und dafür jeweils eine Gebühr kassieren. Von diesen Gebühren stand Wirecard angeblich ein Teil zu. Ein Großteil dieser Geschäfte existierte jedoch gar nicht. Die angeblichen Gewinne daraus lagerten vorgeblich auf Konten in Asien.

Die Wirtschaftsprüfer, die den Jahresabschlüssen der Firmen eigentlich nach Kontrollen die Richtigkeit bescheinigen sollten, glaubten fehlerhaften Briefen von halbseidenen Geschäftsleuten, die die Existenz der Milliarden bescheinigen sollten. „Unbegreiflich“, nennt das der FDP-Finanzexperte Florian Toncar. Nun bleibt die Hoffnung, dass zumindest ein Teil der politischen Ebene zur Verantwortung gezogen werden kann.

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