Die Wahrheit: Der Zufluss der Forderungen

Einer Familie droht die Räumung ihrer Wohnung. Weil niemand das zur Einschüchterung von Bittstellern dienende Behördendeutsch versteht.

Kürzlich war Gütetermin in der Sache „Räumungsklage ­Familie Mil­la“ im ­Amtsgericht Offenbach. Offenbach ist krass. Großer Bürger der armen Schwesterstadt von Frankfurt ist Rapper Haftbefehl. Mit dem Text „Ich nehm dir alles weg“ und einer Schussverletzung im Knie kam sein Durchbruch. Vielleicht ist bald bei Familie Milla (Name geändert) auch alles weg. Es gibt vier Kinder. Ich kenne sie durch sporadische Hausaufgabenbetreuung. Im letzten Sommer bekam der Vater auf einer Baustelle die Kündigung. Mit dem Jobcenter „MainArbeit“ und den Anträgen kam er nicht klar.

„Zu Prüfung des Leistungsanspruchs ist von oberster Priorität, einen Nachweis zum Zeitpunkt des Zuflusses der Lohnforderungen einzureichen“, heißt es da unter anderem. Test: Lies den letzten Satz noch mal und versuche ihn zu wiederholen. Es ist fast unmöglich. Kanzleideutsch zur Einschüchterung von Bittstellern. Wo ist hier die Taste für einfache Sprache? „Es fehlt der Nachweis über Art und Herkunft der Zahlungseingänge auf Ihrem Konto i.H.v. 30.00 €.“ Aha, 30 Euro sollten erst mal geklärt werden, sonst keine „Leistungen“. „Die Familie trägt eine Eigenverantwortung“, säuselte die Dame vom Jobcenter am Telefon mir nur ins Ohr.

Ich sah mich nach Hilfe um – und fand sie. Das Wunder kam verblüffenderweise von der Kirche und heißt „Caritas Lebensberatung“. Kein Plauderladen, gleich ein ganzer Tag wurde angesetzt, um den Papierkrieg durchzugehen und ein Einschreiben zurückzufeuern. Merke: Mails „verschwinden oft“. Eine Woche später ging ein erster Abschlag von 1.000 Euro auf dem Konto der Millas ein.

So ging ich frisch ans Werk, dem klagenden Vermieter die Situation zu erklären, dass der Familienvater wieder Arbeit hat und Nachzahlungen kommen. Und ich gab ihm eine Art Garantie für die Zukunft ab. Nach anfänglicher Skepsis freute er sich. Denn er möge die Leute ja sogar, meinte der Vermieter, „aber ganz ohne Miete zahlen geht das doch nicht“. Familie Milla findet das auch. Und so konnte jetzt im Amtsgericht ein Vergleich gefunden werden.

Habe eine Idee: Analog zum Bund der Steuerzahler, der unsinnige Ausgaben auflistet, sollte sich ein Verein gründen, der den Schaden in Geld ausdrückt, der durch unsinnig arbeitende Sach­be­ar­bei­te­r entsteht. Die Unterbringung in einer Notunterkunft kostet „uns Steuerzahler“ zum Beispiel viel mehr als ein fortgeführter Mietvertrag. Die Stadt muss nämlich mindestens 20 Euro pro Nacht pro Kopf blechen. Das sind bei einer sechsköpfigen Familie im Monat 3.600 Euro. Und genau das würde im besagten Fall für fünf Monate Miete inklusive Nebenkosten reichen.

Übrigens ebenso krass: Die Glastür am Ausgang des Amtsgerichts ist zersplittert. Kreisförmig. „Das sind Schusslöcher“, lachte der Anwalt der Gegenseite beim Hinausgehen. Wieso? Schulterzucken. Normal. Herr Haftbefehl weiß schließlich auch nicht mehr, wie die Kugel in seinem Knie gelandet ist.

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