Kultur soll ins Grundgesetz: „Es geht um den Schutz von Kunst“

Die Schauspielerin Katharina Kwaschik findet, dass die Kultur ins Grundgesetz gehört. Darum hat sie eine Petition ins Leben gerufen.

„Grundsicherung ist systematische Menschenverachtung“: Katharina Kwaschik Foto: Christian Thiel

taz: Frau Kwaschik, Sie fordern, dass die Kultur per Grundgesetz geschützt werden muss. Dazu haben Sie mit MitstreiterInnen eine Petition ins Leben gerufen. Warum ist das so dringend?

Katharina Kwaschik: Wir Kulturschaffende rund ums Theater Adlershof haben im November 2020 diese Initiative ins Leben gerufen, als gerade der Lockdown light für vier Wochen beschlossen worden war.

Seit 2015 bespielen Sie alle in Adlershof das dortige ehemalige Fernsehtheater der DDR.

Ja. Auf den ersten Treffen wurde klar, dass es für dieses Bündnis sehr verschiedene Gründe gibt, die die Frage nach der Bedeutung von Kunst und Kultur in unserer Gesellschaft berühren. Und das ja am Beispiel akut bedrohter künstlerischer Existenzen. Also haben wir uns in einem Team von neun Leuten aus Musik, Theater und Tanz zusammengetan. Wir wollten die Interessen aller Beteiligten formulieren, sie vereinen und so Kunst und Kultur wieder Gehör verschaffen.

Sie wollten da auch ein Wort mitreden.

Es erschien uns damals schon unverständlich, dass die kleinen und großen Kulturbetriebe der Stadt, die ziemlich guten Infektionsschutz sicherstellen können, geschlossen bleiben mussten, aber Einkaufszentren zunächst noch offen blieben.

Derzeit beklagen ja viele Kulturschaffende, es sei im Vergleich zum ersten Lockdown komplizierter geworden, finanzielle Unterstützung zu beantragen.

geboren 1976, lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie ist im Vorstand und im Ensemble der Shakespeare Company Berlin, zuletzt arbeitete sie als Regisseurin und Dozentin an der Leibniz-Schule in Berlin-Kreuzberg.

Beantragte Hilfen werden erst mit langen Verzögerungen ausgezahlt. Und ich höre sehr verschiedene Dinge über Absurditäten in der Antragsstellung. Es gibt auch einige, die durchs Raster fallen. Zum Beispiel Kollegen, die abwechselnd angestellt und freischaffend arbeiten und weder als komplett selbstständig noch als angestellt gelten.

Was sagen Sie einem Politiker, der meint, die Kulturschaffenden könnten doch Grundsicherung beantragen?

Tja, dass die Grundsicherung weit an der derzeitigen kulturpolitischen Krise vorbeigeht und keinesfalls Probleme löst. Zudem bringt sie Kulturschaffende in Situationen, mit denen sie der Staat nicht konfrontieren sollte.

Was ist so schlimm an der Grundsicherung?

Theater Das Theater Adlershof entstand 1952 im Auftrag des Fernsehens der DDR als einziges deutsches Fernsehtheater. Es sendete bis 1957 Opern und Schauspielkomödien in die DDR-Haushalte, bevor der Theatersaal in ein Fernsehstudio umfunktioniert wurde. Seit 2015 wird es vom Team der Regisseurin und Choreografin Kathrin Schülein mit Musik-, Sprech-, Tanztheater, Lesungen und Konzerten wieder bespielt.

Petition Unterschreiben kann man noch bis zum 13. Juni unter www.kulturinsgrundgesetz.de (sm)

Die Grundsicherung ist systematische Menschenverachtung: das Gegenteil von Wertschätzung und Schutz. Das Antragsverfahren ist kryptisch, das System kommuniziert immer in der Drohgebärde, kündigt Sanktionen an. Kulturschaffende werden in absurde Umschulungsmaßnahmen und Jobs gezwungen, während sie einen Beruf haben, mit dem sie gerade kein Geld verdienen dürfen. Manche haben Glück, weil sie an fähige Sachbearbeiter geraten. Andere müssen ernsthaft rechtfertigen, dass sie irgendwo wohnen und Miete zahlen.

Ja?

Einem befreundeten Puppenspieler ist das so gegangen. Man hat wohl nicht verstanden, dass dieser Mensch lebt. Also: dass er wohnt und nicht in einer Puppenkiste verschwindet, wenn er gerade nicht arbeitet. Auch scheint es viele Probleme mit der Künstlersozialversicherung zu geben, die Mitgliedschaften aufwendig prüfen lässt, wenn man sich in die Grundsicherung begibt. Das sorgt zusätzlich für Angst und Sorge bei den Kollegen.

Außerdem arbeiten die Kulturschaffenden ja weiter. Sie proben zu Hause, sie machen Videokonferenzen, Pläne für die Zeit nach Corona. Sie haben eben nur Auftrittsverbot.

Ja, letztlich ja. Sie sind nicht arbeitslos, und es ist immer eine Zumutung, die berufliche und existenzielle Legitimation zu verlieren, weil die Ausübung des Berufs nur stark eingeschränkt möglich ist.

Daher die Forderung, dass die Kultur ins Grundgesetz muss?

Auch daher, ja. Uns geht es um den Schutz von Kunst und Kultur, den wir im Grundgesetz verankert wissen wollen. Die Freiheit der Kunst ist ja im Grundgesetz formuliert und stellt damit ein Grundrecht dar. Die Kunst kann aber nur frei sein, wenn ihrer Entfaltung nichts im Wege steht, ihr Achtung und Akzeptanz entgegengebracht werden und sie durch die Kulturpolitik geschützt wird. Bislang ist etwa die Kulturförderung eine freiwillige Aufgabe der Länder und Kommunen. Hinzu kommt, dass das Recht auf kulturelle Teilhabe und der uneingeschränkte Zugang zu kultureller Bildung, in der UN-Charta definiert als Menschenrecht, seit Jahren schon durch Etatkürzungen extrem bedroht und nicht mehr gewährleistet ist.

Was ist das Ziel? Dass es Sicherungsinstrumente auf Bundesebene gibt?

Es gibt verschiedene Ziele, die zum Schutz der Kultur umgesetzt werden müssen. Neue und ergänzende Konzepte zur Sicherung für Kulturarbeit und Kulturschaffende auf Bundesebene gehören definitiv dazu. Aber viele unserer Ideen sind nicht neu. Da wurde schon einiges versucht, wie etwa von einer Enquetekommission vor vierzehn Jahren, die wichtige Empfehlungen und Konzepte erarbeitet hat, die wir heute aufgreifen und weiter ausbauen können. Die Verankerung im Grundgesetz wäre ein riesiger und verpflichtender Schritt, um hier wirklich nachhaltig etwas zu bewegen.

Man muss da wahrscheinlich viele Hürden nehmen, oder?

Ja, die Hürden sind interessanterweise schon im Thema angelegt. Es gibt wahnsinnig viele kontrovers zu diskutierende Fragen über die Definition von Kultur, deren Bedeutung und Relevanz für unsere Bevölkerung. Da scheiden sich die Geister, je nachdem, woher man kommt, ob aus dem früheren Westen oder Osten zum Beispiel. Festgeldempfänger eines voll subventionierten Kulturbetriebs halten Sicherungsinstrumente für Soloselbstständige erfahrungsgemäß für weniger relevant. Und natürlich gibt es viele Ängste in Hinblick auf die Zeit nach der Pandemie. Ich denke, dass der Kulturbetrieb sich durch die Krise komplett verändern wird und wir nicht zu einer zuvor gekannten Normalität zurückkehren werden. Inzwischen beginnt jedoch glücklicherweise eine Debatte über all diese Dinge, die wir mit der Unterstützung unserer ErstunterzeichnerInnen, unter denen sich erfahrene PolitikerInnen und Kunstschaffende befinden, führen werden.

Wie ist denn so das Feedback auf die Petition?

Seit Anfang Januar fängt die Sache so richtig an zu rollen. Wir sind aktuell bei knapp 26.000 Unterschriften. Langsam wird es wichtig, und wir bekommen viel Zuspruch von vielen Menschen sehr unterschiedlicher Art. Und wir bekommen auch kontroverses Feedback. Es entspinnt sich eine spannende Diskussion, die wir gut bündeln und der wir uns natürlich stellen müssen.

Ihr Ziel sind 50.000 Unterschriften.

Ja, das werden wir natürlich auch erreichen. Wobei man die Petition auch unabhängig vom Zeichnungsziel beim Petitionsausschuss eingeben kann. Vermutlich dürfen wir in jedem Fall vor dem Ausschuss sprechen. Allerdings glauben wir, dass die Wahrscheinlichkeit, gehört zu werden, steigt, wenn wir unser Ziel erreichen oder überschreiten.

Erst vor Kurzem haben Sie die Zeichnungsfrist verlängert.

Wir haben auf Mitte Juni verlängert. Wegen des Lockdowns können wir gerade nicht so aktiv und direkt werben, wie es nötig wäre. Auch nimmt die inhaltliche Debatte jetzt so viel Raum ein, sie muss unbedingt in dieses Projekt einfließen und so öffentlich wie möglich geführt werden.

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