„Wir Juden pfeifen auf euch Antisemiten“

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, Philipp Stricharz, will, dass mit dem Neubau der Synagoge am alten Standort jüdisches Leben mitten in der Stadt sichtbar wird

So sah sie aus: Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg, bei einer Infoveranstaltung zum Wiederaufbau der Synagoge Foto: Christiane Bosch /dpa

Protokoll Alexander Diehl

Dieser Platz ist für uns emotional sehr aufgeladen. Die Geschichte der Bornplatzsynagoge ist ja: 1938 wurde das Gebäude beschädigt, dann wurde uns der Platz enteignet und durch einen bestimmten Beamten der Abriss angeordnet, der dann durch die Jüdische Gemeinde bezahlt wurde. Die Synagoge wurde abgetragen, nachdem sie stark beschädigt worden war in der „Reichspogromnacht“.

Sie war 1906 erbaut worden als in stolzes Zeichen des Hamburger Judentums für ein selbstbewusstes Teilnehmen an der Stadtgesellschaft: eine freistehende Synagoge, keine, die irgendwo im Hinterhof kaum sichtbar ist. Es war eine Synagoge, die man wahrnehmen sollte, die jeden Hamburger täglich daran erinnern sollte: „Wir Juden sind hier nicht irgendwer, sondern wir sind ein fester Teil dieser Stadtgesellschaft.“

Nebenan haben wir die jüdische Schule, die Talmud-Tora-Realschule – heutzutage das Joseph-Carlebach-Bildungshaus –, die wir mit einem teils übermenschlichen Einsatz meiner Vorgänger im Vorstand der Jüdischen Gemeinde wiedereröffnet haben. 2007 erst haben wir das Gebäude zurückbekommen, wir hatten jahrzehntelang darum gebeten. Die Schule wurde wiedergegründet und letztes Jahr feierten sie dort Abitur. An der Stelle haben wir es also geschafft, das Judentum wieder lebendig zu machen.

Nebenan klafft aber noch diese Wunde, wo man weiß: Da wurde nicht nur durch einen bestimmten Beamten die Synagoge enteignet, sondern es hat in den 1950er-Jahren nochmals eine Art Überrumplung stattgefunden, als man diesen Platz im Rahmen einer sogenannten Wiedergutmachung nicht zurückgegeben hat, sondern man hat anderthalb Millionen Mark gezahlt – an eine dritte jüdische Organisation, die nichts mit der Gemeinde zu tun hat. Und damit war die Sache dann endgültig erledigt.

Das bedeutete für die Jüdische Gemeinde immer ein Gefühl von Unrecht. Das durfte so nicht bleiben: Die Nazis haben sozusagen bis heute gewonnen, haben erreicht, dass dieser Platz leer ist – auch wenn zumindest, und das ist hoch anzuerkennen, an die Synagoge erinnert wird. Aber deren Bunker steht noch – unsere Synagoge nicht.

Was mich damals in der Bürgerschaft so sehr bewegt hat, war, dass meiner Meinung nach endlich ein Groschen gefallen ist: Ein Antisemit wird nicht deswegen aufhören, Antisemit zu sein, weil eine Gedenktafel angebracht wird, weil ein Mahnmal erinnert oder weil ein Platz leer bleibt. Antisemiten interessieren sich dafür nicht. Auch die Teilnehmer der heutigen Veranstaltung brauchen so was nicht – weil sie keine Antisemiten sind, sonst würden sie nicht teilnehmen. Wir müssen Leute erreichen, die sich mit diesen Themen überhaupt nicht beschäftigen. Und das tun wir dadurch, dass sie jeden Tag an einem stolzen Zeichen vorbeigehen, das sagt: „Wir Juden pfeifen auf euch Antisemiten. Wir sind da, das kann euch gefallen oder nicht. Wir sind in der Mitte der Stadt und brauchen uns nicht zu verstecken in einem Wohnviertel hinter Zäunen“ – wie es bei der aktuellen Synagoge leider ein bisschen der Fall ist.

Wir wollen eine Synagoge, die wieder errichtet, was war; die zeigt: Was war die Bornplatzsynagoge damals; die auch das Unrecht der Zerstörung wieder aufhebt, indem die Synagoge wieder aufgebaut wird. Aber wir wollen gleichzeitig nicht so tun, als wäre die Synagoge nicht zerstört worden. Wir wollen auch nicht so tun, als wären wir exakt dieselben Menschen wie damals, als wären wir so viele wie damals. Denn dadurch, dass so viele Menschen ermordet wurden, gibt es nun mal in Hamburg heute nicht die vielen Juden wie damals. Es gibt nur zweieinhalbtausend Gemeindemitglieder und dann sicher noch mal, sagen wir: fünftausend, die in Hamburg wohnen, aber nicht Mitglieder der – oder einer – Jüdischen Gemeinde sind.

Deswegen hat man gesagt: Wir wollen den Bornplatz wieder zum Zentrum unserer Gemeinde insgesamt machen. Also nicht nur Schule und Kindergarten und die Synagoge, sondern die ganze Gemeinde, übrigens auch mit ihrem liberalen Flügel – die Bornplatzsynagoge war ja eine traditionelle Synagoge, wie ja auch heute der Mainstream ist in den jüdischen Gemeinden; eine sogenannte orthodoxe Synagoge. Wir wollen aber auch die liberalen Gebete am Bornplatz haben. Weil sie nun mal heutzutage auch zu unserer Gemeinde gehören. Wie kann man das machen?

Früher hatte die Bornplatzsynagoge eine sogenannte Festtagssynagoge, das ist der prächtige Bau, den man auf Bildern sieht. Aber es gab daneben in einem Seitenflügel noch die sogenannte Wochentagssynagoge, in der man sozusagen immer mal schnell gebetet hat. So brauchen wir das heute nicht mehr. Wir brauchen eine Synagoge für circa 600 Beter, nicht für 1..200 wie damals. Wir brauchen Tagungsräume: Wir wollen, dass die Synagoge ein Ort der Begegnung wird, mit Schulungsräumen, Konferenzzentren, ich sage Zentren, für mehrere Gruppen gleichzeitig. Wir wollen erreichen, dass jeder Hamburger Schüler diese Synagoge besucht, aber auch, dass die Synagoge ein Café, ein Restaurant beinhaltet, das für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Wir wollen die Synagoge so gestalten, dass sie auch berichtet über das, was war: über die Zerstörung, auch über Dinge vor der Zerstörung.

Philipp Stricharz

42, ist seit Juni 2019 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Hamburg. Von 2011 bis 2019 war er Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden. Stricharz ist Rechtsanwalt und seit 2010 Partner einer internationalen Wirtschaftskanzlei.

All das kann gar nicht dort untergebracht werden, wenn man versucht, die Synagoge exakt, 100-prozentig, so aussehen zu lassen, wie sie war. Im Inneren wird sie ohnehin anders gestaltet, von außen – so weit kann ich es jetzt schon sagen, jedenfalls, wenn es nach unserem Willen geht – wird sie ein bisschen einen anderen Eindruck dadurch machen, dass sie sich mehr öffnet. Es muss natürlich auch geprüft werden, was ist mit dem Bunker, wie kann man damit umgehen, was sind die Optionen – und wie kann auch das Bodenmosaik auf eine würdige Weise behandelt werden? Denn natürlich erkennen wir an, dass es besser ist, wenn zumindest dieses Bodenmosaik an die Zerstörung der Bornplatzsynagoge erinnert, nachdem jahrzehntelang gar nichts daran erinnert hat. Da ist auch klar, dass die damaligen Vertreter froh waren, dass wenigstens das passiert ist.

Es gibt Offenheit. Ich würde sogar sagen, die Synagoge bringt uns eigentlich nur etwas, wenn sie auch der Stadt etwas bringt. Dieser Wiederaufbau kann nur erfolgreich sein, wenn genau das passiert, wofür wir die Synagoge bauen: dass Hamburg stolz darauf ist, so eine Synagoge zu haben mit einer Jüdischen Gemeinde, die darin auch Judentum praktiziert. Ich habe gesagt: Wir wollen mit allen unseren Unterstützern darüber sprechen, wie das Ganze funktioniert.

Ich tue mich etwas schwer, wenn Vorwürfe gerade unserer Jüdischen Gemeinde gegenüber kommen, wir wären geschichtsvergessen, revisionistisch, wir wollten vergessen machen, was war, beziehungsweise es interressiere uns nicht. Und dann werden Schoah-Überlebende herangeholt und es wird in wirklich emotionalsten Worten geschildert, was für ein Verbrechen an der Menschheit es wäre, diese Synagoge wieder aufzubauen. Sorry, aber so geht es nicht. So kann man eine Diskussion nicht führen. Nicht mit der Jüdischen Gemeinde, nicht mit den Schoah-Überlebenden in unserer Gemeinde, das ist für die eine Zumutung, und das möchte ich nicht. Deswegen kann ich sagen: Ja, diskutieren – aber nicht auf diese Art und Weise, da muss man sich etwas zügeln.

Es gibt auch in der Gemeinde Stimmen, die gab es von Anfang an, die gesagt haben: Moment – auf keinen Fall darf es den Eindruck erwecken, da wäre nie was gewesen. Diese Kritik haben wir gehabt, schon an dem Wort Wiederaufbau. Deswegen haben wir alle frühzeitig eingesehen: Ja, es muss klar sein, dass die Synagoge zerstört wurde – aber eben auch wieder aufgebaut wird. Auch Wiederaufbau ist ein historischer Vorgang, eine Veränderung der Gesellschaft drückt sich darin aus, und das muss alles sichtbar sein und bleiben.

Auszüge einer Online-Diskussion: Philipp Stricharz traf dabei auf Ingrid Nümann-Seidewinkel, die Ende der 1980er-Jahre als Bezirkspolitikerin die heutige Gestaltung des Platzes begleitet hat – und gerade ein Positionspapier mitverfasst, das sich gegen einen historisierenden Wiederaufbau der Synagoge wendet. Gastgeber und Moderator war Till Steffen, ehemaliger Hamburger Justizsenator, heute Grünen-Bundestagskandidat für Hamburg-Eimsbüttel