Roman „Selamlik“ von Khaled Alesmael: Geschlachtete Zitronen

Der syrisch-schwedische Schriftsteller Khaled Alesmaels erzählt im Roman „Selamlik“ von Neugierde und Lust – und der Winterlandschaft Schwedens.

Der Autor Khaled Alesmael

Zwischen allen Stühlen und Zuschreibungen: Autor Khaled Alesmael Foto: Sébastien Genet

Khaled Alesmael musste aufschreiben, was ihm widerfahren war, also kaufte er sich als erstes ein Heft, als er im Jahr 2014 in der schwedischen „Asylbonde“ ankommt, einem Asylbewerberheim. Er schrieb nun, und über das Ergebnis sagt der Autor, dass er selbst nicht weiß, ob es sich dabei „um eine Autobiografie handelt oder um einen Roman, oder Tagebücher“.

Das Werk, das gerade in deutscher Übersetzung im Albino-Verlag erschienen ist und in Schweden bereits viel Anerkennung gefunden hat, trägt auf jeden Fall die Gattungsbezeichnung Roman. Furat, so der Name des Protagonisten, wächst in einer gutsituierten Familie in Syrien auf.

Den Tod des Diktators Hafiz al-Assad im Jahr 2000, Vater von Baschir al-Assad, erlebt er zeitgleich mit seiner ersten Liebe zu einem Mann, die er in Zimmer 333 eines Studentenwohnheims in Damaskus auslebt, in aller gebotenen Heimlichkeit: Nur die Verbindungen seiner Familie schützen den jungen Mann, als er eines Tages während des „Cruisings“ an der Straße von der Polizei aufgegriffen wird.

Trotzdem bewegt er sich, angetrieben von Neugierde und Lust, weiterhin in den Grauzonen und geschlossenen Räumen, in denen Männer Männern begegnen, in Hamams und Pornokinos, nächtlichen Parks. Sozusagen im „Selamlik“, dem traditionell nur von Männern bewohnten Teil des Hauses oder Palastes, zu dem auch Fremde Zugang haben; eine Anspielung auf die (gleichwohl klandestine) Omnipräsenz mann-männlicher Sexualität in von Geschlechterapartheid geprägten Gesellschaften.

Furat muss seine Heimat verlassen

Spätestens jedoch als der Bürgerkrieg in Syrien beginnt, wird das Leben unerträglich für einen Mann wie Furat: Islamistische Terrormilizen beginnen Jagd auf Homosexuelle zu machen, stürzen „die Leute von Lot“ von Häuserdächern. Als schließlich auch das Haus der Familie bei Gefechten zerstört wird, beschließt Furat, seine Heimat zu verlassen.

Khaled Alesmael: „Selamlik“. Aus dem Arabischen und Englischen von Christine Battermann und Joachim Bartholomae. Albino Verlag, Berlin 2020, 252 Seiten, 24 Euro

Wie viele junge Syrer begibt er sich zunächst in die Türkei, wo er in die vergleichsweise offene queeren Szene Istanbuls eintaucht, bevor er weiterzieht in Richtung Norden, mit dem Schlauchboot über das Meer, zu Fuß über die Balkanroute.

In Småland schließlich, in der schwedischen Provinz, blickt er von seinem Zimmer in der „Asylbonde“ auf einen Friedhof: „In Schweden sehen Friedhöfe wie Parks aus, während in Syrien die Parks zu behelfsmäßigen Friedhöfen gemacht werden.“ Von hier aus blickt der Erzähler zurück: „Schreib, Furat, denn du hast dich vor einem Brand gerettet, der mit Menschen, Steinen und Textilien am Leben gehalten wird.“

Auch schreibt er, weil man für „Reisen in die Vergangenheit weder Pass noch Visum braucht“. Als Leser genießt man das Privileg, mitreisen zu dürfen, vielleicht verstehen zu können: Wo kommen die Menschen, die aus Syrien und anderen Ländern zu uns gekommen sind, her? Und wer sind sie?

Grauen des Bürgerkriegs

Mit einer Mischung aus angenehmer Lakonik und erzählerischer Eindringlichkeit scheut Khaled Alesmael weder davor zurück, das Grauen des Bürgerkrieges, noch die handfesteren Details der Liebe unter Männern zu beschreiben. Man kann sowohl die „geschlachteten Zitronen“ von den Bäumen des zerbombten Damaskus als auch die Mischung aus Schweiß und Olivenölseife in den Katakomben der Hamams riechen. Dies alles, ohne pornografisch zu werden, weder im Hinblick auf das Grauen noch auf den Sex.

Angenehm ist ebenfalls, dass Khaled Alesmael, obgleich er als Journalist sehr wohl um die entsprechenden Diskurse weiß, weder in aktivistisches Pathos noch in akademische Formeln verfällt, wenn es um die identitären Verwerfungen geht, mit denen sich Protagonist Furat in seiner neuen „Heimat“ konfrontiert sieht.

Da sind die Mitbewohner in der „Asylbonde“, die Schwule nur als Comic-Figuren aus syrischen Comedy-Serien kennen und Homosexuelle ablehnen, während sie selbst eher das Problem haben, dass sie „keinen Schimmer haben, wie man sich den schwedischen Frauen nähern könnte“. Und da sind die westlichen Schwulen, die in den arabischen Männern nichts als „Fickmaschinen“ sehen und orientalisierende Fantasien auf sie projizieren.

Einsamer Mann in der Büllerbü-Landschaft

Doch zwischen all diesen Stühlen und Zuschreibungen, Orient und Okzident, Hetero- und Homosexualität, dampfverhangen-diskretem Hamam und offensichtlich schriller Homo-Sauna, bleibt deutlich erkennbar Furat, dem man sich als Mensch verbunden fühlt. Ein einsamer Mann im Anorak, der allein in einem Bus mit beschlagenen Scheiben durch die triste, winterliche Bullerbü-Landschaft Nordschwedens fährt.

Khaled Alesmael wiederum – vor zwei Jahren war er im Rahmen eines Journalisten-Austauschprogramms für einige Zeit in der Berliner taz-Redaktion zu Gast und kurz davor, seinen Roman zu veröffentlichen – ist nun ein gefeierter Autor in Schweden geworden. Und vielleicht bald auch in Deutschland.

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