piwik no script img

„Lob der Homosexualität“ von Luis AlegreDas Privileg der Distanz

Homosexuelle sind die Avantgarde, die der Gesellschaft jene Freiheit vorlebt, die sie sich verbietet. So schildert es Philosoph Luis Alegre.

Zuneigung mit Zärtlichkeit zeigen ist gar nicht so schwer Foto: unsplash/ Dimitar Belchev

Warum eigentlich müssen sich heterosexuelle Männer schmerzhaft auf die Schulter hauen, wenn sie doch eigentlich ihre gegenseitige Zuneigung zum Ausdruck bringen möchten? Und muss das immer so bleiben? Der spanische Philosophieprofessor Luis Alegre, Mitbegründer der Partei Podemos, sagt: Nein. Wenn sich die Mehrheitsgesellschaft auch weiterhin an den Homosexuellen orientiert, der Avantgarde, die schon längst in Freiheit lebt, ganz ohne heterosexuelle Zwangsmatrix.

Auf eben jene akademische Prunksprache, bekannt aus der Gender- und Queerforschung, verzichtet Alegre in seinem „Lob der Homosexualität“, das nun im C.H. Beck-Verlag anlässlich des anstehenden Jubiläums „50 Jahre Stonewall“ erschienen ist, übersetzt aus dem Spanischen.

Alegre betet auf seinen rund 215 Seiten auch nicht bloß Judith Butler herunter sondern beruft sich vor allem auch auf Sigmund Freud, argumentiert mal mit Schlagertiteln und mal mit Kant, um sein Anliegen deutlich zu machen. Dabei entgeht er der großen Schicksalsfrage, „natürlich oder konstruiert“ mit verblüffender Eleganz: Am Ende sei das doch gar nicht so wichtig.

Vielmehr geht es ihm um ein gelingendes Leben für alle: Alegre, der Protestpartei-Begründer, möchte die Mehrheitsgesellschaft befreien, die sich trotz einigen Wandels zum Besseren noch immer eingekastelt sieht in feste Formen von Weiblichkeit und Männlichkeit.

Eine gewisse Narrenfreiheit

Heterosexuelle Männer und Frauen befänden sich in festen Waben, während Homosexuelle diese schon recht früh (und gezwungenermaßen) sprengten, und sich von nun an frei zwischen verschiedenen Waben bewegen könnten. Bei Heteros dagegen werde schon mit der Aussprache des Satzes „Wir sind verlobt“ ein ganzes Programm heruntergeladen, inklusive Schwiegereltern, Urlaub und Sitzverteilung im Auto.

Das Buch

Luis Alegre: „Lob der Homosexualität“. Aus dem Spanischen von Thomas Schulz, C.H. Beck, München 2019, 220 S., 18 Euro

Wie bei modernen Neuwagen würden Männlichkeit und Weiblichkeit nur in „Paketen“ angeboten“ und das Leben verliefe weitestgehend auf Schienen: „In der Tat überkommt einen eine gewisse Rührung, wenn man sieht, wie sich fast alle Heteros mit Leib und Seele der Ausführung eines Rezepts verschrieben haben, dessen Urheber sie nicht sind.“

Im Gegensatz sei den Homosexuellen, der Unterdrückung und der Nichtzugehörigkeit sei Dank, das Privileg der Distanz geschenkt worden, inklusive einer gewissen Narrenfreiheit: „Es besteht immer eine Distanz zu der Person, die wir sind.“ Ganz gut beschreibt Alegre, wie LGBTIQ zumeist schon in der Schule (und häufig gewaltsam) mit der Frage „Was bist du eigentlich“ konfrontiert werden und sich von da an gezwungen sehen, eigene Antworten zu finden, eigene Wege zu gehen. Was Freiheit bedeutet, aber auch ganz schön anstrengend sein.

Nun wurde Luis Alegre aber damit beauftragt, ein Lob der Homosexualität zu verfassen und nicht, deren Qualen zu schildern. So skizziert er die Devianz als Vehikel der Freiheit – und von der könnten sich Heteros vor allem im sexuellen Bereich ruhig etwas abschneiden. Denn während sich in Fragen der Liebe auch die Homos mangels Alternativen irgendwo zwischen Shakespeare und Hollywood herumquälen müssten, hätten sie in Fragen der Sexualität Pionierarbeit geleistet.

Die Egalität des Darkrooms

Die Sexualität von der Fortpflanzung trennen und sie als etwas eigenständiges begreifen – für den Homosexuellen sei der Sex eine Kathedrale, die er selbst gestalte. Man habe eine bessere Lösung gefunden für den Umgang mit Thanatos und kümmere sich eben auch um die „B-Seite“, die im heterosexuellen Leben meist nur in Form von Prostitution vorkomme.

Alegre preist die Egalität des Darkrooms, die Außerkraftsetzung der Zeit auf schwulen Sexparties („ob mit Chems oder Kaffee“) – und ist Gott sei Dank ehrlich genug einzuräumen, dass er von weiblicher Sexualität eigentlich keine Ahnung hat.

Anmaßend ist Alegre nicht, auch wenn sein „Lob der Homoesexualität“ auf manchen so wirken könnte. Denn „Heteros sind Heteros wie Pinguine Pinguine sind“ und ihr „Verhältnis zur Heterosexualität wie der Stein zur Schwerkraft“ – es gibt dazu keine Reflexion, und genau das wird auch diesem bei aller Zuspitzung und Vereinfachung ziemlich klugen, vermittelndem Buch zum Verhängnis werden. In Form von Desinteresse. Schade eigentlich.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Gruppen zu stereotypisieren, um sie anschließend einander als Vorbilder (oder auch Anti-Vorbilder) gegenüberzustellen, bringt keinerlei Gewinn. Lesben und Schwule tragen ebenso Familien- und Gesellschaftsdelegationen in ihren Lebensläufen aus wie Heterosexuelle. Ebenso sind die Selbstbilder von Männern z.B. nicht automatisch vollständig in toxischer Männlichkeit aufgelöst, nur wiel diese Männer hetero sind. Das ist einfach Quatsch.

    Das mit dem biographischen Vorteil von Lesben und Schwulen zugunsten einer Distanzierung von den gängigen Rollen mag meinetwegen tendeziell so stimmen, dafür gibt es wieder andere Rollenklisches, denen man sich widersetzen kann / muss (z.B. dass man als Schwuler automatisch 90% der Freizeit mit Dating-Apps, in Sex-Kinos oder Darkrooms verbringen würde, sowie selbstverständlich auch - selbst wenn verheiratet - eine offene Partnerschaft führt).

    Das ganze riecht zu sehr nach altem Faucoult und dessen hymnischem Lob auf die angeblich doch sexuell so Befreiten (BDSM für alle - und alles wird gut). Als Antwort auf Fragen 2019 ist das um Längen zu simpel.

  • Kein Lob nötig für die sexuelle Orientierung eines Menschen. Die ist nun mal so, wie sie ist und muß nicht bewertet werden, außer sie greift in die Selbstbestimmung anderer ein.

    • @Hampelstielz:

      Eine sexuelle Orientierung an sich greift nie in des Selbstbestimmungsrecht anderer ein, das können nur bestimmte sexuelle (oder sexualisiert-gewalttätige) Handlungen.

  • "...und kümmere sich eben auch um die „B-Seite“, die im heterosexuellen Leben meist nur in Form von Prostitution vorkomme."

    Wie soll man jemanden ernst nehmen, der so einen groben Unsinn schreibt?



    Das ist ja peinlich!

  • Ja, solche Perspektivwechsel können interessant sein. Man denke nur an das famose "Lob des Polytheismus", das sicher Pate stand, wenigstens bei der Benennung der Arbeit. Wozu wir allerdings noch einen freidrehenden Freudianer brauchen wird mir nicht so klar. Schön wäre auch gewesen (was Alegre vielleicht macht, aber im Text nicht thematisiert wird) zu beschreiben, dass auch homosexuelle Männer, die die beschriebene Freiheit der Sexualität (die Darkroom/Kathedrale) praktizieren, unter kapitalistischen Verhältnissen genauso gefangen sind, wie alle anderen - vielleicht sogar noch mehr: Werbestrateg*innen haben nicht umsonst den Wert bestimmter konsumistischer und hedonistischer homosexueller Milieus erkannt. Und auch die meiner Meinung nach soziologisch naive Vorstellung, dass sich homosexuelle Menschen nicht "wie [...] fast alle Heteros mit Leib und Seele der Ausführung eines Rezepts verschrieben haben, dessen Urheber sie nicht sind“, würde ich kritisieren. Es ist ja nicht so, als ob jeder homosexuelle Mensch den Darkroom, Dresscodes, Argumentationsweisen neu aus sich schöpfen würde. Mensch findet sie vor. Es sind Institutionen, auch nur ein "Programm", das "heruntergeladen" wird.

  • Ach was! - Die selbsternannten - Besseren Menschen - die En’te - Reicht langsam.

    unterm—-Bibelfeste -



    Werden ihr Zitat kennen & - liege sicher nicht falsch:



    Mit dem Wohlwollen - zwischen den Zeilen. Newahr



    Normal. Duck Duck.



    Njorp.

  • Also Elementarteilchen mit Postmoderne-Gaga. Und was ist mit den Kindern?

    • @El-ahrairah:

      Wollen Sie altes Gaga gegen neues Gaga ausspielen? Wie wär es stattdessen mit Differenzierung?

      • @mats:

        Differenzieren nach Funktionalität? Dann hätten wir funktionierendes Gaga vs dysfunktionales Gaga.

        • @El-ahrairah:

          "Funktionierendes Gaga" heißt: wird seiner funktionalen Bestimmung als Gaga vollauf gerecht? "Dysfunktionales Gaga" heißt: nennt sich Gaga, funktioniert aber gar nicht wirklich als Gaga?