Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021: Wer regiert Berlin?

Das Spitzenpersonal für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2021 steht. Wer jetzt mit welcher Taktik ins Rote Rathaus kommen könnte.

Franziska Giffey (SPD)

Sie hat das Rote Rathaus im Visier: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) Foto: picture alliance/dpa | Christophe Gateau

BERLIN taz | Die Karten sind verteilt, die Teilnehmer am Tisch, das Spiel kann losgehen: So ungefähr ist die Lage knapp zehneinhalb Monate vor der Abgeordnetenhauswahl, nachdem der SPD-Landesvorstand seine neue Chefin Franziska Giffey vergangene Woche zur Spitzenkandidaten ausgerufen hat. Auf eine große Kür durch einen weiteren Parteitag, geplant für den 19. Dezember, verzichten die Sozialdemokraten pandemiebedingt. Damit ist dort genau wie bei Grünen, CDU und Linkspartei klar, wer antritt, um Regierungschef Michael Müller im Herbst 2021 im Roten Rathaus abzulösen. Für die SPD gilt dabei: Je mehr Giffey und je weniger die Partei im Fokus steht, desto größer die Chancen der Sozialdemokraten.

Die zuvor spannendste Frage hatten die Grünen Anfang Oktober beantwortet. Nicht Wirtschaftssenatorin Ramona Pop oder Fraktionschefin Antje Kapek, sondern ihre außerhalb der Partei weithin unbekannte frühere Landesvorsitzende Bettina Jarasch wurde zur Spitzenkandidaten. Wenige Tage später zog die CDU nach, wo Vorstand und Präsidium ihren Parteichef Kai Wegner nominierten. Bei der Linkspartei steht dieser offizielle Akt zwar noch aus, aber niemand zweifelt daran, dass Kultursenator und Vize-Regierungschef Klaus Lederer Spitzenkandidat wird, was bei einem Onlineparteitag Mitte Januar geschehen könnte. FDP und AfD spielen beim Kampf ums Rote Rathaus im kommenden Jahr keine Rolle.

Die Ausgangslage für die vier Spitzenleute ist, dass ihre Parteien in der jüngsten, inzwischen aber auch schon wieder fast zwei Monate alten Meinungsumfrage nur 5 Prozentpunkte auseinanderliegen: Die CDU führt mit 21 Prozent vor den Grünen mit 20, der SPD mit 18 und der Linkspartei mit 16 Prozent. Nicht nur Wahl- und Parteiexperten verweisen aber darauf, dass bei diesen Ergebnissen die Beliebtheit der jeweiligen Bundesparteien eine starke Rolle spielt – schon die pure Logik legt das nahe.

Es passte nämlich zwischenzeitlich überhaupt nicht zusammen, dass die Berliner Grünen boomten, während sie bei ihrem Kernthema Verkehr und anderweitig immens in der Kritik standen: Immer neue totgefahrene Radfahrer stehen zunehmend im Kontrast zur von der Partei schon 2018 ausgerufenen „Vision Zero“, der Stadt ohne Verkehrstote. Die versprochenen Radschnellwege sind weiter bloß in der Planung, bei der U-Bahn-Verlängerung standen die Grünen lange als Blockierer da. Dass die Berliner Umfragewerte der Partei trotzdem teils weit über 20 Prozent blieben, lässt sich schlüssig nur mit dem überzeugenden Auftritt ihrer Bundesvorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock erklären.

30 Prozent als Zielvorgabe für die SPD

Genau darin liegt die Chance der SPD, wo zumindest hinter vorgehaltener Hand von 30 Prozent als Ziel für 2021 gesprochen wird: die Wahlentscheidung im nächsten Herbst so stark wie möglich von der Bundesebene und auch von der Partei selbst entkoppeln – was angesichts der Bundestagswahl am selben Tag allerdings schwierig ist. Giffey, die Bundesministerin und Neuköllner Ex-Bürgermeisterin, also einfach machen lassen, sie so viel wie möglich durch Berlin ziehen lassen mit ihrem bewährten Ansatz als Kümmerin.

Das erfordert jedoch eine gewisse Selbstverleugnung des linkslastigen Landesverbands: Giffeys Chancen sind umso größer, wenn die Leute sie nicht zuerst als Spitzenkandidatin einer derzeit nicht übermäßig beliebten Partei, sondern vielmehr als pragmatische Aufräumerin und Sozialdemokratin alter Schule wahrnehmen. „Die SPD wünscht sich Berlin von vorgestern zurück“, kritisierte der mutmaßliche Linkspartei-Spitzenkandidat Lederer zwar Giffeys Programmvorstellungen, diese Annahme lässt aber die Möglichkeit außer Acht, dass das auch bei vielen Wählern so sein und darum ein durchaus erfolgversprechender Ansatz sein könnte.

Für einen SPD-Landesverband, der sich 2018 beim Parteitag noch mit der öffentlichen Förderung feministischer Pornos beschäftigte, ist es eine Herausforderung, wenn Giffeys Ansatz nicht auf Minderheiten, sondern auf jene Gruppe zielt, die – da unterscheidet sich SPD-Rhetorik kaum von jener der CDU oder der Bild-Zeitung – jeden Morgen aufsteht und die Stadt am Laufen hält.

Jarasch und Kai Wegner, die Konkurrenz bei Grünen und CDU, hingegen müssen genau auf das Gegenteil hoffen: dass ihre Landesverbände im Herbst vom Bundestrend profitieren, der nach jetzigem Stand für eine schwarz-grüne Koalition im Bundestag sorgen könnte. Bei Jarasch liegt das an zumindest bislang zu geringer Bekanntheit, bei Wegner daran, dass er inhaltlich zwar Ähnliches anzubieten hat wie Giffey, aber mit deren Ausstrahlung nicht mithalten kann.

Absehbar ist darum, dass man vor allem bei der CDU alles daransetzen wird, Giffey wegen ihrer mit Plagiatsvorwürfen behafteten Doktorarbeit zu diskreditieren – bis zum Frühjahr will die Freie Universität die erneute Prüfung der Arbeit abgeschlossen haben. Von „Schummel-Franzi“ war in CDU-Kreisen schon zu hören.

Die Grünen bauen auf die „Brückenbauerin“

Die Grünen wiederum argumentieren, dass Jaraschs Ansatz, sich als Brückenbauerin in einer Stadt mit vielen Spaltungen anzubieten, erfolgversprechend sei. Diese Argumentation setzt allerdings eine gewisse Abstraktionsfähigkeit bei der Wählerschaft voraus – umso mehr, als Jarasch sich mit demselben Begriff vor dreieinhalb Jahren als Bundestagskandidatin empfahl, aber selbst ihre eigenen Parteifreunde damit nicht überzeugen konnte.

Für die Genossen gilt: Je mehr Giffey im Fokus steht, desto besser für die SPD

Aktuell scheinen jedoch ohnehin weder Jarasch noch Wegner oder Lederer, sondern die eigenen Parteifreunde Giffeys größtes Hindernis auf dem Weg ins Rote Rathaus zu sein. Das zeichnete sich schon beim Parteitag der Genossen Ende November ab: In vollem Bewusstsein, damit ihre designierte Vorsitzende und Spitzenkandidatin zu beschädigen, beantragten Parteilinke – innerhalb des schon grundsätzlich linken Landesverbands – den von Giffey verwendeten Begriff „Clan-Kriminalität“ für tabu zu erklären.

Das konnte Giffey abbiegen, doch das nächste Problem ist schon da. Denn die SPD-Abgeordnetenhausfraktion will sich angeblich darauf einlassen, Wohnungsunternehmen zu enteignen, so wie es die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in einem Volksbegehren fordert. Giffey selbst gehörte beim Parteitag Ende 2019 zu den schärfsten Kritikern eines solchen Schritts. Ihre Worte damals: „Für mich ist eine moderne Stadt eine, die nicht für Enteignung steht, sondern für Innovation.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.