piwik no script img

Diskussion über Jogi LöwWie wir kicken, wie wir leben

Gastkommentar von Ilker Gündogan

Für die Nationalelf werden „bösere“ Spieler gefordert, vom Trainer mehr „Aggressivität“. Aber wer will, dass wir so künftig miteinander verkehren?

Noch in der Niederlage ein kooperativer Trainer: Joachim Löw bei der WM 2018 Foto: imago

D as 0:6 der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien fiel terminlich genau in die ARD-Themenwoche „Wie wollen wir leben?“. Deutschlands größte Fernsehanstalt hatte unter dem Hashtag #wieleben die Frage gestellt, welche Zukunft wir wollen. Schließlich hat das Coronavirus „die Welt, wie wir sie kannten, aus den Angeln gehoben“, wie es auf der ARD-Website heißt. „Und doch bietet jede Krise auch die Chance, Strukturen zu überdenken, aus Erlebtem zu lernen und neue Ansätze zu wagen.“

Zur „Welt, wie wir sie kannten“ gehört ganz sicher auch die Männernationalmannschaft. Entsprechend sei erlaubt, sie in die Frage „Wie wollen wir leben?“ miteinzubeziehen. Natürlich stößt diese Frage eine höchst normative Diskussion an, und eine kontroverse, da es sehr unterschiedliche Ansichten darüber gibt, was erstens wichtig oder unwichtig ist und wie zweitens jemand oder etwas sich ändern soll oder muss, um eine bessere Zukunft einzuläuten.

Die emotiven Interpretationen und Auswertungen der 0:6-Niederlage in Spanien geben Aufschluss darüber, welche normativen Erwartungen gegenüber einer deutschen Fußballnationalmannschaft und ihrem Bundestrainer von einer Mehrheit der Fans, Experten und Medienvertreter implizit vorausgesetzt werden.

Stellvertretend für alle besprachen das im ARD-Fernsehstudio der Ex-Fußballprofi und -Nationalspieler Bastian Schweinsteiger und Moderator Matthias Opdenhövel. Insbesondere Schweinsteiger ärgerte sich darüber, dass sich die Mannschaft nicht geschlossen „wehrte“. Zur Halbzeit forderte Schweinsteiger, dass die Spieler „böser“ sein sollten. Opdenhövel kritisierte die mangelnde „Aggressivität“ der Spieler auf dem Platz und des Nationaltrainers am Spielfeldrand. In den folgenden Tagen wurde diese Beurteilung vielerorts aufgegriffen.

Ilker Gündogan

Der Autor ist Sozialwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum. Sein Bruder Ilkay ist Fußballprofi bei Manchester City und in der deutschen Fußballnationalmannschaft.

Eine derart kämpferische Rhetorik ist nicht besonders überraschend. Sie gehört zum Fußball, „wie wir ihn kannten“, seit seiner Verbreitung Ende des 19. Jahrhunderts, einer Epoche, die von einer starken Tendenz zu politischem und kulturellem Nationalismus geprägt war. Heute noch zeugen zahlreiche dem Schlachtfeld entliehene Begriffe wie „Angriff“, „Verteidigung“, „Flügel“, „Schüsse“, „Kapitän“ und dergleichen mehr von diesem kriegerischen Erbe.

Fußballer als Soldaten?

Letztlich werden Fußballspieler als Soldaten gesehen, die „kämpfen“ sollten. Eine geradezu idealtypische Heldenfigur ist Bastian Schweinsteiger selbst, dessen Auftreten im WM-Finale 2014 in der Frankfurter Allgemeinen als „unbändig“, „abgekämpft“ und „am Ende von Tränen überströmt“ in Erinnerung gerufen und von vielen Kommentatoren als normativer Maßstab eingefordert wird.

Was sich genau hinter dieser kampfbetonten Sprache im Fußball verbirgt, ist nicht unbedingt leicht zu entziffern. Ist mit „zur Wehr setzen“ oder einer „aggressiven Zweikampfführung“ gemeint, dass die Verletzung eines Gegners hingenommen oder sogar absichtlich provoziert werden soll, um sich einen Vorteil zu verschaffen? Muss im Idealfall, wie bei Schweinsteiger 2014, das eigene Blut fließen? Die meisten Kommentatoren bleiben diese Präzision schuldig.

Ein weiterer, nicht weniger aufschlussreicher Kritikpunkt zielt auf die (mangelnde) Kommunikation der Mannschaft und des Bundestrainers. Dem Coach wird vorgeworfen, nicht genug von der Seitenlinie aus in das Spiel eingegriffen zu haben. Auch die Art der Kommunikation auf dem Spielfeld wird kritisiert. Es fehle an Führungsspielern, die Kommandos geben, so Schweinsteiger. „Mit einem Thomas Müller wäre es lauter gewesen“, sagte Opdenhövel.

Eine geradezu idealtypische Heldenfigur ist Bastian Schweinsteiger

Gefordert wird hier eine hierarchische und verbal aggressive Form der Kommunikation, die meist nur in eine Richtung verläuft. Es sei erlaubt, dies im Jahr 2020 zu hinterfragen. Hängt die Qualität der Kommunikation, sei es verbal oder durch Körpersprache, wirklich von Hierarchie und autoritärer Lautstärke ab?

„Alphamännchen“, die rumbrüllen?

Insbesondere vom Bundestrainer und von den älteren Spielern wird häufig erwartet, dass sie die unerfahrenen Spieler regelrecht anbrüllen und ihnen als „Alphamännchen“ zu verstehen geben, was sie alles falsch machen. Eine derartige Kommunikation führt oftmals allerdings nicht zu besseren sportlichen Leistungen, sondern zu allgemeiner Verunsicherung.

Die an die Nationalmannschaft gerichteten normativen Erwartungshaltungen färben unweigerlich auf Fußball spielende Kinder, Jugendliche und Erwachsene von der Kreisklasse bis hin zur Bundesliga ab. Wollen wir wirklich, dass künftige Generationen von Fußballern durch bösartiges Einsteigen auffallen, wenn sie nicht mit der Leistung der gegnerischen Mannschaft mithalten können? Ist es zeitgemäß, einen aggressiven Kommunikationsstil zu pflegen, der Spieler, die Fehler begehen, heruntermacht?

Der Fußball, ob uns das gefällt oder nicht, repräsentiert und vermittelt Normen und Werte und entfaltet in anderen Gesellschaftsbereichen Wirkung. Sollen wir im Klassenzimmer, am Arbeitsplatz und im sozialen Leben insgesamt genauso miteinander umgehen, wie es jetzt von der Nationalmannschaft gefordert wird? Ist das die Antwort, die der Fußball auf den Hashtag #wieleben bietet?

Für TV-Moderator Opdenhövel und Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff rief die Niederlage gegen Spanien Erinnerungen an das Spiel gegen Brasilien bei der WM 2014 hervor, als die deutsche Mannschaft das Halbfinale mit 7:1 gewann. „Jetzt wissen wir, wie sich die Brasilianer gefühlt haben“, sagte Opdenhövel. In Erinnerung an das damalige Auftreten der brasilianischen Spieler sprach Bierhoff von einem „Zerfall“ der eigenen Mannschaft.

Was mir persönlich aus diesem Spiel gegen Brasilien in Erinnerung geblieben ist, ist jedoch die unglaubliche Besonnenheit und Bescheidenheit der deutschen Nationalmannschaft nach dem Schlusspfiff. In einer hochemotionalen Situation verzichtete die Mannschaft darauf, in große Jubelstürme auszubrechen. Dass sie damit von vorgegebenen, scheinbar normativen Handlungsmustern abwich, verschaffte ihr viele Sympathien.

#wieleben – dass diese Frage in der jetzigen Zeit gerechtfertigt ist, wird kaum jemand bestreiten. Eine sinnstiftende Antwort findet nur, wer die althergebrachten normativen Vorstellungen hinterfragt. Auch im traditionsreichen, von Gewissheiten durchtränkten Fußball.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Man übt ja auch "strategische Fouls" im Training. Das sagt für mich schon alles über die "sportliche" Grundeinstellung.

  • Den Kommentar hat aber nicht Gündogan persönlich verfasst, oder?

  • Die Analyse ist vollkommen richtig, wer heutezutag noch einen "aggressive Leader" beim Fußball braucht macht alles falsch.

    Gerade bei dem 0:6 haben die Spanier gezeigt wie man ohne Aggresivität und Rumbrüllen Fußball spielt. Der Unterschied war, dass die spanischen Spieler einfach von der Jugend an lernen wie man Fußball als Mannschaftssport richtig spielt. Immer vorausdenken, Schulterblick, genaue Pässe spielen und, das ist wichtig, nach dem Pass gleich wieder anbieten und anspielbar sein. Deswegen sind die deutschen Spieler das ganze Spiel dem Ball hinterhergelaufen und nicht weil nicht genug getreten und gebrüllt wurde.

    Bei unserer Förderung beim Jugendfußball wird nur auf Schnelligkeit und Größe geschaut. Ein Iniesta oder Xavi hätten sich im deutschen Jugendfußball niemals durchsetzen können.

    Jogi Löw setzt auch nur noch auf seine schnellen Offensivspieler und deren individuelle Stärke. Wenn diese aber wie gegen die Spanier bei jeden Ballbesitz sofort in den Zweikampf gehen und diesen dann verlieren, verliert man auch das Spiel.

    Viel wichtiger als Aggresivität und "böses" Verhalten wäre es für die Männernationalmannschaft auch, wenn man zumindest einen oder zwei Spieler hätte die das Kopfballspiel einigermaßen beherrschen. Das fehlt nicht nur in der Defensive, siehe Gegentor, sondern vorallem auch in der Offensive. Hier fehlen die Optionen. Timo Werner ist halt doch nicht Miro Klose.

    Es gibt viele Gründe für die Niederlage, mangelnde Kommunikation in der Mannschaft gehört sicher dazu aber aggressives gar "böses" Verhalten sicher nicht.

  • wie wollen wir leben? am liebsten ohne fussball!

  • Hast du noch nie Fußball, Handball, Basketball oder Volleyball gespielt? Man spielt einfach besser, wenn man aggressiver ist und herumbrüllt. Jetzt die moralische Keule zu zücken, ist total unangebracht und irgendwie typisch taz online...

    • @Pavlo Lysytsya:

      So wie Vinnie die Axt?



      Ich vermute eher, dass durch die übersteigerte Aggressivität die eigenen technischen, spielerischen Defizite kompensiert werden.



      Wenn man Neymar umsenst, schießt er kein Tor mehr.

  • Böser ist nicht besser!