Polizeieinsatz gegen Coronaleugner: Kinder im Regen
Die Polizei erhält Lob für ihren Einsatz. Die Wasserwerfer blieben ohne Druck, weil unter den Demonstrant*innen Kinder waren. Stimmt das?
Fünf Wasserwerfer waren am Mittwoch über mehrere Stunden im Einsatz. Dass viele Demonstrant*innen dennoch nicht zurückwichen, ist einerseits auf ihre Radikalisierung zurückzuführen – ihre zum Wahn gesteigerte Vorstellung, das Infektionsschutzgesetz, das gleichzeitig im Bundestag verabschiedet wurde, schaffe die Grundrechte ab.
Anderseits blieb die Wirkung begrenzt, weil die Wasserwerfer keinen harten Strahl verspritzten, sondern einen Sprühregen über die Menge ergehen ließen. Polizeisprecher Thilo Cablitz begründete: „Den direkten Strahl können wir nicht einsetzen, weil sich darunter auch Kinder befinden.“
In sozialen Medien und Telegram-Gruppen dominierte die Kinder-Frage viele Diskussionen, die vor allem zwei Pole kannte: Die einen echauffierten sich über einen Einsatz gegen „friedlich demonstrierende Kinder und Rentner“ als weiteres Zeichen für einen zunehmend autoritären Staat. Die anderen warfen den Demonstrierenden unverantwortliches Handeln vor, indem sie Kinder überhaupt auf so eine Demo mitbringen, oder schrieben, Kinder seien als „Schutzschilde missbraucht“ worden. Linke wiesen darauf hin, dass die Polizei bei ihren Demos härter vorgehen würde.
Gut präparierte Demonstranten
Viele Beobachter*innen und Journalist*innen, die direkt von den Protesten berichteten, wunderten sich dagegen über den Hinweis auf Kinder. In den ersten Reihen befanden sich überwiegend Männer mittleren Alters, teilweise sogar mit Schutzbrillen und Regencapes ausgestattet. Zu ihnen gehörte ein kleines Who is Who der rechten Szene: vom Hallenser Neonazi Sven Liebich, der aufgepeitscht schrie: „Schießt doch die ersten Reihen tot“, über den Kameradschaftler und Ex-NPDler Thomas Wulff bis zum Brandenburger AfD-Abgeordneten Lars Günther.
Niklas Schrader, linke
Gegenüber der taz verteidigte Cablitz das Vorgehen. Zum Beginn des Einsatzes sei ein Kind von etwa zehn Jahren in den vorderen Reihen gewesen. Das schließe den Einsatz des harten Strahls aus, dessen Wirkung er als „immens“ beschreibt. Während die Polizei gegen aggressive Störer*innen in den ersten Reihen direkt vorgegangen sei, wurde eine weite Fläche beregnet. „Es gab Eltern, die haben sich einen Spaß daraus gemacht, dass alle nass waren“, so Cablitz.
Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, sprach gegenüber der taz von einem „schwierigen Einsatz“, weil „Tausende gegen Regeln verstießen“. Den Einsatz der Wasserwerfer wertete er als „deutliches Zeichen, dass Polizei keine anderen Möglichkeiten mehr hatte“, nachdem sie mit Auflagen, Durchsagen und Ansprachen an Einzelne keine Erfolge erzielt habe.
Den gemäßigten Wasserwerfereinsatz begründete auch Jendro mit Kindern in der Menge. Es sei versucht worden, die Menschen zu zerstreuen, um „Störer besser selektieren“ zu können. Angesichts der Gefahr für Polizist*innen, sich in der Masse an Menschen ohne Mund-Nasen-Schutz anzustecken, wiederholte er seine Forderung nach einer befristeten Einschränkung der erlaubten Versammlungsgröße.
Koalition ist sich einig
Vonseiten der innenpolitischen Sprecher von Grünen und Linken gibt es – wie auch von Innensenator Geisel (SPD), der den Einsatz als notwendig bezeichnete – ebenfalls Lob für den Einsatz. „Gut gemacht“, lautet die Bilanz des grünen Benedikt Lux. Es sei richtig gewesen, konsequenter als bei den letzten Coronaleugner-Demos vorzugehen. „Die Polizei hat dabei aber sehr ruhig, besonnen und mit Augenmaß reagiert.“ Die Versammlung aufzulösen sei ein Knochenjob gewesen, so Lux.
Der Linke Niklas Schrader sah die Polizei dieses Mal ebenfalls deutlich besser vorbereitet. Beim Vorfahren der Wasserwerfer habe er zwar schlucken und an die Ereignisse am Schwarzen Donnerstag, dem Protest gegen den Bahnhofneubau Stuttgart 21, denken müssen, als ein Demonstrant durch den harten Strahl einen großen Teil seiner Sehkraft einbüßte. Aber: Was am Mittwoch aus den Düsen der Wasserwerfer kam, so Schrader, sei „Londoner Regen und kein Stuttgarter Strahl“ gewesen: „So gesehen war das Vorgehen in Ordnung.“
Insgesamt waren bei den Protesten 2.500 Polizist*innen im Einsatz, 365 Personen wurden in Gewahrsam genommen, so viele wie lange nicht. Bei zwei Personen wird wegen des Verdachts auf schweren Landfriedensbruchs Untersuchungshaft geprüft. Von 2.500 Polizist*innen seien 77 verletzt worden, drei davon wurden im Krankenhaus behandelt. Einer Polizistin sei gegen den Kopf getreten worden.
Bereits am Sonntag wollen rechtsoffene Coronaleugner*innen erneut auf die Straße gehen zu einem Schweigemarsch, der 12 Uhr an der Bornholmer Straße startet. Linke Gruppen haben Gegenprotest angekündigt.
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