Fragwürdige Juryentscheidung: Kunst und Care-Arbeit

Der Kunstfonds Bonn vergab das „Stipendium für bildende Künstler*innen mit Kindern unter 7 Jahren“ an mehr Männer als Frauen.

breite und schmale Malerpinsel liegen auf auf weißem Tuch

Stilleben mit Pinseln Foto: Miguel Ferraz Araujo

Unsere Gesellschaft tut sich bekanntlich nicht nur schwer, die für ihren Erhalt grundlegende Care-Arbeit gerecht zu entlohnen, wie sich in der Coronakrise in aller Deutlichkeit zeigt. Noch schwerer tut sie sich damit, die Frauen, die hier den Großteil der Arbeit leisten, davon zu entlasten und deshalb die Männer verstärkt zur Verantwortung zu ziehen.

Einen Bereich freilich gibt es in unserer Gesellschaft, da scheint die Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, was die Reproduktionstätigkeit angeht, offenbar schon vollkommen gerecht verteilt – nämlich auf dem Feld der Kunst.

Daher konnten nun 48 Männer das mit 12.000 Euro dotierte halbjährliche „Stipendium für bildende Künstler*innen mit Kindern unter 7 Jahren“ erhalten, das der Kunstfonds Bonn neu aufgelegt hat, dazu noch 3 Paare und 43 Frauen.

Die Finanz­mittel stammen aus dem Pandemie-Sofortprogramm Neustart Kultur der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters. Eine Milliarde Euro für die Kultur hatte sie im Frühjahr ins Aussicht gestellt, um die wirtschaftlich desaströsen Folgen der Lockdowns während der Coronapandemie abzufedern.

Große Zustimmung

Die Hilfen für den Bereich der bildenden Kunst, also für Künst­le­r*in­nen, Galerien, Kunstvereine, Projekträume, Kunstverlage etc., werden neben dem Deutschen Künstlerbund e. V. und dem Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler e. V. auch von der Stiftung Kunstfonds Bonn umgesetzt.

Deren Idee, mit den neuen Mitteln eine der Lebenswirklichkeit von Künstler*innen mit betreuungsbedürftigen Kindern Rechnung tragende Förderung auszuloben, fand zunächst große Zustimmung.

Vor allem die in den letzten Jahren entstandenen Initiativen „kunst + kind“ in Berlin und K & K in München sowie „Mehr Mütter für die Kunst“ in Hamburg sahen sich in ihrem Anliegen bestärkt, dass die besonderen strukturellen Probleme von Künstlerinnen mit Sorgeverpflichtung in der Kunstförderung berücksichtigt werden müssen.

Sie waren zufrieden, bis sie die dezidiert misogyne Jury-Entscheidung zur Kenntnis nehmen mussten – hatten die Bewerbungen von Frauen für das Stipendium doch 60 Prozent betragen, die dann disproportional mit nur 45 Prozent positiven Bescheiden beantwortet wurden.

Große Enttäuschung

Die Förderung ging also mehrheitlich an die Männer unter den Künstler*innen, an eine ohnehin geförderte Elite. In Einzelfällen war das Stipendium sogar bereits die zweite Förderung. Die daran von den Initiativen und weiteren Künstler*innen-Organisationen am 6. Oktober in einem offenen Brief geäußerte scharfe Kritik beantwortete die Geschäftsführerin des Kunstfonds, Karin Lingl, am 3. November mit der Formel: „Dürfen wir in diesem Zusammenhang an einige Grundsätze der Stiftung Kunstfonds erinnern.“

Der erste Grundsatz lautet, man mag es gar nicht glauben: „Gefördert werden einzelne Künstler*innen ebenso wie Modellvorhaben mit gesamtstaatlicher Bedeutung.“ Hallo?! Im Ernst? Wie es dann mit dem nächsten Grundsatz ausschaut, dass die vom Stiftungsrat gewählten Jurys „über eine Förderung ausschließlich anhand der künstlerischen Qualität“ entscheiden, bleibt unerfindlich. Oder ist künstlerische Qualität neuerdings wirklich durch das Kriterium „gesamtstaatliche Bedeutung“ definiert?

Gar nicht zu sprechen davon, dass die geforderte Qualität offenbar wieder einmal nur von Männern geleistet wird. Die Frauen, die qualitativ nicht mithalten können, werden dann daran erinnert, dass es sich bei den Förderungen der Stiftung Kunstfonds „weder um Sozialleistungen noch Wirtschaftsbeihilfen“ handelt. Offenbar ist auch „mit Kind unter 7 Jahren“ ein künstlerisches Qualitätskriterium und nicht, wie zu erwarten, ein sozialer Tatbestand.

Künstler*innen brauchen Wirt­schafts­beihilfen, etwa den Unter­nehmerlohn für Soloselbstständige

Aus letzterer Bemerkung muss jedenfalls der Schluss gezogen werden, dass die Stiftung Kunstfonds definitiv nicht die richtige Adresse ist, die Kunstszene mit den Geldern aus dem Rettungsprogramm Neustart Kultur von Monika Grütters zu versorgen. Natürlich geht es hier um Wirtschaftsbeihilfen. Bestimmt nicht um noch mehr kuratierte Stipendienprogramme von gesamtstaatlicher Bedeutung.

Große Sorge

Statt ihre berufliche Existenz zu sichern, schickt man die Künstler*innen in Hartz IV. Was den schönen Effekt hat, dass von der Milliarde der Staatsministerin bislang gerade mal 47 Millionen Euro abgerufen wurden, wie aus einem Bericht des Haushaltsausschusses des Bundestags hervorgeht. Die Künstler*innen sind aber nicht arbeitslos, sie sind erwerbstätig und bedürfen keiner Leistungen der Sozialfürsorge.

Sie brauchen – ja, was denn sonst – Wirtschaftsbeihilfen. Wie etwa den Unternehmerlohn für Soloselbstständige, gegen den sich die SPD so sperrt. Hartz IV bedeutet das Durchleuchten der privaten Lebensumstände, anders als beim Kunstfonds darf man da plötzlich kein Stipendium mehr zu viel haben. Es bedeutet viel zu wenig Geld, um am sozialen Leben teilnehmen zu können und über kurz oder lang: Zwang zur Annahme auch unsinniger Weiterbildungs- oder abwegiger Arbeitsangebote.

Eine weitere Konsequenz ist längerfristig der Verlust der Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse (KSK). Sie ist ein in Europa einzigartiges und wegweisendes Konstrukt, das verkannten Genies ebenso wie fleißigen Dienern des Geistes und der Kunst den gleichen Schutz vor Krankheit und Alter zukommen lässt, den gewöhnliche Angestellte und Arbeiter genießen.

Den Arbeitgeberanteil leisten neben dem Staat die Unternehmen des Kunst- und Kulturbetriebs mit ihren Abgaben. Da der Kulturbetrieb stillsteht, fehlen diese nun, und die Künstlersozialkasse ist in ihrer Existenz gefährdet. Die Künstler*innen und ihre Kinder sind es damit auch.

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