: „Es wird eine bunte Mischung aus Präsenz und Online“
An der Universität Osnabrück läuft digitale Lehre hauptsächlich mit freier Software auf eigenen Systemen – seit 20 Jahren. Der Digitalverantwortliche der Uni, Andreas Knaden, über die Vorteile von Open Source und die Lehre nach Corona
Andreas Knaden
ist Wirtschaftsinformatiker und Jurist. Er leitet das Zentrum für Digitale Lehre, Campus-Management und Hochschuldidaktik der Universität Osnabrück.
Interview Lisa Becke
taz am wochenende: Herr Knaden, was waren die Anfänge der digitalen Lehre?
Andreas Knaden: Es fing schon vor 20 Jahren an. Da mussten wir einen Weg finden, eine Lehrveranstaltung abzuhalten, ohne dass alle Studierenden in Osnabrück waren. Denn wir hatten Projekte, an denen Studierende von unterschiedlichen Universitäten teilnahmen. So kam es dann zur ersten virtuellen Vorlesung. Dann haben wir schnell gemerkt, dass wir zusätzlich ein Format brauchen, über welches Studierende miteinander kommunizieren können. Dafür haben wir Messenger eingesetzt, die ermöglichten, dass sich Studierende in Arbeitsgruppen organisieren konnten. Dann haben wir gesehen: Sie brauchen auch Ablageorte für die Dokumente, die sie erstellen. Deshalb haben wir angefangen, Content-Management-Systeme einzuführen.
Haben Sie dabei von Anfang an auf freie Software gesetzt?
Nein, zunächst haben wir da nicht so sehr drauf geachtet. Aber dann haben wir mehrfach die Erfahrung gemacht, dass wir kommerzielle Produkte einsetzten, die nach einiger Zeit vom Markt verschwanden. Oder wir haben gesehen: Die Software hat nicht alle Funktionen, die wir an der Universität brauchen. Auch bei den Lernplattformen haben wir zunächst eine kommerzielle Software eingesetzt. Da stiegen dann aber die Preise. Bei all diesen Problemen sieht man: Man läuft im Grunde diesen kommerziellen Anbietern hinterher. Deshalb haben wir gesagt: Wir müssen das anders machen.
Was machen Sie jetzt anders?
Wir nutzen Open-Source-Systeme. Bei Videokonferenzen setzen wir auf BigBlueButton, das funktioniert für unsere Hochschulgröße hervorragend. Da können wir auch selbst Verbesserungen und Erweiterungen einfügen. Um Lehrveranstaltungen aufzuzeichnen, nutzen wir Opencast. Das entwickeln wir hier an der Uni Osnabrück, gemeinsam mit anderen Partnern. Als Lernplattform nutzen wir Stud.IP, fürs Content-Management nutzen wir Courseware. Und alle diese Systeme sind ineinander integriert.
Was bedeutet das?
Das bedeutet, dass Studierende und Lehrende sich über die Lernplattform einloggen, und alles, was benötigt wird, ist darüber zugänglich: alle Dateien und die Aufzeichnungen der Lehrveranstaltungen, die Möglichkeit, eine Videokonferenz zu machen. Studierende können sich aber auch eigenständig einen virtuellen Raum schaffen, in dem sie sich treffen können, um zu lernen. Auch kommuniziert wird darüber – bei uns muss niemand WhatsApp oder Facebook für universitäre Zwecke nutzen.
Hatten Sie es deshalb in der Coronakrise einfacher als andere Universitäten?
Es ist schon so, dass viele Hochschulen keine andere Wahl hatten, als kommerzielle Software einzusetzen. Denn sie hatten keine Zeit, sich vorzubereiten. Videokonferenzen für viele Studierende mit Open-Source-Systemen durchzuführen, das muss man üben. Das konnten wir auch nicht ad hoc. Wir hatten die Technik zwar zuvor schon, aber vor der Pandemie haben wir die natürlich nicht in dieser Bandbreite genutzt. Wir haben jetzt das bis zu zehnfache Aufkommen an Nutzer:innen. Da musste die Technik noch mal verbessert werden.
Sie haben seit Kurzem ein neues Rechenzentrum.
Ja, wir hatten das Glück, eine gute technische Basis zu haben. Und ganz wichtig ist das entsprechende Personal. Wenn Sie Open-Source-Systeme nutzen wollen, dann brauchen Sie Leute, die in der Informatik und Software-Entwicklung kompetent sind. Open-Source heißt meist, dass man die Programme nicht einfach so übernimmt, sondern Dinge anpasst und verändert.
Muss eine Universität also bereit sein, für Open Source mehr Geld auszugeben?
Im Grunde ist es so: Sie schichten Ressourcen um von Geld, das sie in kommerzielle Software stecken müssen, und stecken dieses Geld in Entwickler:innen. Bei kommerzieller Software müssen Sie jedes Jahr einen bestimmten Betrag für Lizenzen bereithalten, der immer wieder wächst. Dadurch sind Sie massiv finanziell gebunden. Bei Open Source ist das nicht so.
Stellen wir uns vor, ich wäre an einer Universität für diesen Bereich zuständig und möchte verstärkt auf Open-Source -Lösungen setzen. Was wäre ein guter erster Schritt?
Ein wichtiger Schritt ist, mit den Lehrenden und den Studierenden darüber zu reden. Also darüber zu sprechen: Wer sind wir, und wie bildet sich das in den Werkzeugen ab, die wir verwenden.
Was genau meinen Sie damit?
Open Source geht über den rein technischen Ansatz hinaus: Man denkt nicht nur über Software und IT nach. Man denkt über Prozesse nach, nämlich darüber: Wie soll Hochschule eigentlich laufen? Das ist sehr bereichernd. Was bei uns besonders ist: Die Einrichtung, die sich um die Technik kümmert, kümmert sich auch um die Hochschuldidaktik. Es wird also gleichzeitig über die Technik und darüber, wie sie wirklich gut in der Lehre eingesetzt werden kann, nachgedacht. An anderen Universitäten sind das oft zwei unterschiedliche Einrichtungen.
Gehen Sie mit einem positiven Resümee aus dem ersten Coronasemester?
Absolut. Natürlich gibt es Licht und Schatten. Aber vielen hat es Spaß gemacht, die neuen Formate auszuprobieren. Die Vorstellung, dass in der Präsenzlehre alles toll war und in der digitalen Lehre alles viel schlechter, stimmt hinten und vorne nicht.
Was heißt das für die Zeit nach Corona?
Alle Expert:innen sind sich einig: Der digitale Anteil wird höher bleiben. Es wurden jetzt Wege gefunden, die flexibler sind. Das haben in dieser Krise alle für sich erprobt und gelernt. Ich glaube, es wird eine bunte Mischung aus Präsenz und Online sein.
Haben Sie die Hoffnung, dass viele Hochschulen sich Open-Source-Systeme aufbauen werden?
Das hängt auch von anderen Faktoren ab. Zoom hat beispielsweise mehr Funktionen als BigBlueButton. Die Frage ist: Braucht man das in der Lehre? Meine Antwort wäre: Nein. Wir werden als Hochschule daran arbeiten, die Open-Source-Produkte noch konkurrenzfähiger zu machen. Denn dann werden sich mehr Hochschulen überlegen, ob es wirklich Zoom sein muss. Diese Entwicklung wird es geben, wenn Zoom die Preise anzieht. Und dann kommt da wieder Bewegung rein.
Sehen Sie das als einen Auftrag an Sie?
Ganz genau. Wir sind bereit, da noch mehr Kraft reinzustecken, um die Software besser zu machen.
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