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Das Loch ist geblieben

Gollum stellte einst die Weichen: Ein Besuch im rheinischen Landschafts- und Freizeitpark Hambach 2030. Ein Klettergarten, und von der Abbruchkante kann man heute Golfbälle weit in die Tiefe schlagen

Von Bernd Müllender

Mild weht der Spätsommerwind über die weiten rheinischen Lande. Es ist freundlich warm und wolkenlos. Feldlerchen jubilieren, im Innern des dichten Waldes sind strahlend schön weite Maiglöckchen-Flächen zu sehen. Irgendwo oben in den Stieleichen hört man zwei Schwarzspechte beim Höhlenbau. „Das klingt, als wollten sie die Bäume fällen“, scherzt Eva Töller, die Vorsitzende der Stiftung Rheinischer Landschafts- und Freizeitpark Hambach, in ihrer Begrüßungsansprache.

Heute vor fünf Jahren ist der Naturpark am Rande des früheren Braunkohlegebiets eröffnet worden. Umgehend wurde er „zum Erfolg, fast wie Disneyland in Paris“, so am heutigen Feiertag die Klimaministerin der Landesregierung Antje Grothus. Täglich kommen tausende BesucherInnen. Das liegt auch am neuen ICE-Halt Buir Hbf und dem kostenlosen Shuttle mit selbstfahrenden E-Bussen, die vom Bahnsteig zum zwei Kilometer entfernten Wald gleiten. Das gesamte Terrain wurde jetzt mit dem Ecological Award in Gold der UN ausgezeichnet.

Der Heimatvernichtungskonzern RWE Power AG ist längst Geschichte, die Kraftwerke sind stillgelegt, die Braunkohlebagger verschrottet. Eine alte Baggerschaufel hängt als „Mahnmal des Größenwahns“ zwischen Wald und dem tiefen Loch als riesige, stählerne Hollywoodschaukel.

Zur Jubiläumsfeier ist auch Michael Zobel gekommen. „Schon verrückt, der ganze Wahnsinn damals“, sagt der mittlerweile 71-Jährige, der als Waldpädagoge seit 2014 bis heute Sonntagsspaziergänge durch den Wald macht und viele zehntausend Menschen für das Thema sensibilisierte. Der Träger des Naturverdienstkreuzes am waldgrünen Bande hat gerade seinen 197. monatlichen Sonntagsspaziergang hinter sich und will so lange weitermachen, bis „ich selbst einmal ältester Teilnehmer meiner eigenen Führung bin“.

Im Wald gibt es gut besuchte Kletterkurse des Alpenvereins Düren, ehemalige AktivistInnen haben hier eine Anstellung gefunden. Oben in den Wipfeln laufen Bauseminare für Baumhäuser. „Wir haben sogar eine brandschutzrechtliche Genehmigung“, scherzt Jazzy, eine der Ex-Bewohnerinnen des Waldes. Die Feier heute ist auch eine Art Veteranentreffen: Winter und Clumsy, zwei ehemalige BesetzerInnen, haben ihre beiden Kids mitgebracht, Spring und Ösina. Aktivistin Eule, fast noch der Punk von früher, lästert allerdings: „Die erzählen jetzt ihre Heldengeschichten wie früher mein Uropa, als der 1944 aus Russland zurückkam.“

Das große Loch ist geblieben. Natürlich gibt es keinen riesigen Freizeitsee, wie RWE immer zukunftsgeprahlt hatte. „Dazu müsste man einen Kanal von Rhein graben, das haben wir schon damals gewusst“, sagt Michael Zobel. „Die Pumpen abstellen und alles volllaufen lassen dauert so lange, dass unsere Enkel hier als Greise noch nicht mit ihren Segelbooten anlegen werden.“

Von der Abbruchkante kann man heute Golfbälle weit in die Tiefe schlagen. Der neue Volkssport erfreut sich großer Beliebtheit, zumal mit dieser ersten „Ecological Golf Driving Range“ Gutes getan werden kann. Die Bälle aus Hochdruck-Presshumus sind vollständig verrottbar und verfüllen ganz allmählich das Braunkohleloch. „Allerdings würde es auch bei intensiver Nutzung unserer 60 Abschlagboxen noch an die 5.000 Jahre dauern, bis das Loch voll ist“, sagt der Betreiber von Nature­swing. „Aber jeder Ball ist ein Stück aktive Renaturierung.“

Gegenüber des Kohlelochs ist die Silhouette der Sophienhöhe zu sehen, das Gebiet wurde jetzt zum „Unwald des Jahres“ gewählt. Das künstlich aufgeforstete Gebilde aus Abraummaterial, mit dem die damaligen Kohlefresser sich ökologisch positionieren wollten, hat nur eine Population vom Reißbrett. „Der Naturfaktor liegt nahe null. Eine umfassende Reökologisierung wäre eine Herkulesaufgabe“, sagt der Ehrenvorsitzende des Verbands Softtourismus, Rureifel Gotthard Kirch: „Und es war sehr solidarisch von der Bechsteinfledermaus, sich allen dortigen Ansiedlungsversuchen seitens RWE zu widersetzen. Dieser Konzern-Kunstwald ist so etwas wie die früher beliebten Steinvorgärten deutscher Reihenhaussiedlungen neben den gepflasterten Garagenzufahrten.“

Waldbaden

Der Hambacher Wald

Er kann schon heute besucht werden. Von Köln direkt oder von Aachen mit Umstieg in Düren zum S-Bahnhof Buir in jeweils 45 Minuten. Fußweg von dort: 20 bis 30 Minuten.

Buch

Neuerscheinung: „Im Ham­bacher Wald“, Axel Dielmann Verlag 2020, 16 Euro. Da war jemand offensichtlich ganz nah dran: Die Fotos der jungen Berlinerin Sophie Reuter können Träume abbilden, man spürt die eindringliche Nähe, Zärtlichkeit, eine seltene Unmittelbarkeit. Die Texte dazu von Gert Reising fügen sich zu einer „ethno­logischen Feldforschung“. Es sind Versatzstücke über Einsam- und Gemeinsamkeit der WaldbewohnerInnen, vor allem über ihre Lebensgier: „In ihre Körper und Gesichter ist eine seltene Klarheit eingeschrieben.“

www.sophiereuter.com

Die einst vom Aussterben bedrohten Fledermäuse sind heute, wenn es romantisch dämmert, in erheblichen Vorkommen im Hambacher Wald zu beobachten. Ob die Sophienhöhe rückgebaut wird und damit das Loch teilweise verschüttet, ist noch nicht entschieden. Dann könnten Hunderttausende Bäume gepflanzt und der Hambacher Forst als größter Wald des Rheinlands wieder auf seine ursprüngliche Größe wachsen. Es bleibt eine herkuleske Kostenfrage. RWE hat sich durch strategisch kluge Insolvenz 2022 bekanntlich aller Verantwortung entzogen.

Weitgehend wiederaufgebaut ist das Ruinendorf Morschenich nebenan, das durch den Kohlekompromiss 2019 soeben noch den Baggern entging. Gleich um die Ecke des 2017 von RWE-Horden abgegrabenen Dorffriedhofs hat ein stattliches Heimatmuseum Heimat gefunden. Zu sehen sind in der Hambach Heritage eine Sammlung Kletterausrüstungen der 10er Jahre, Baumhausmodelle der damaligen Zeit, von schlicht gezimmert bis schöner Hochwohnen, und eine Gedenkstätte für den 2018 abgestürzten Filmemacher Steffen Meyn („Vergissmeynnicht“).

Besonders gern benutzt wird die legendäre, dampfende Stahlstatue „Hau den Laschet“ aus der Kölner Stunksitzung 2019. Für 1 Eurasio darf hier jeder mal zutreten oder zuschlagen. Mit dem Geld werden Aufforstungsprogramme finanziert. „Laschet, Armin“, erklärt eine Infografik neben dem längst verbeulten Rost-Œuvre, „war ein CDU-Politiker, der einmal Ministerpräsident war und dann kurzfristig sogar Bundeskanzler werden wollte. Die CDU war einmal eine Partei.“

Im Nebengebäude darf man die „Fotogalerie der Schurken“ bestaunen, Ex-Innenminister Herbert Reul und der gewesene RWE-Boss Rolf Martin Schmitz sind hier die Stars. Daneben hängt eine Robe des früheren Kampfrichters Peter Königsfeld, der im Amtsgericht Kerpen mit harschen Urteilen knapp neben der Rechtsstaatlichkeit gegen Widerständler für Recht und Ordnung sorgen wollte.

Im Videoraum des Museums erfreut sich der zauberhafte Trickfilm „Enderde Hambach“ größter Beliebtheit, vor allem bei Freunden von Tolkiens Mittelerde-Märchen „Der Herr der Ringe“. Darin ist die Geschichte des endgültigen Rodungsstopps als Narrativ von Gollum aufgebaut, der, so heißt es, genau hier nach Jahrmillionen in der Tiefe plötzlich von „Drachen mit riesigen Metallzähnen herausgeschaufelt wurde“, wie er das nannte.

Das zwiegespaltene Wesen („Ich war Gollum, jetzt bin ich Braun-Kohlum“) erzählt die Geschichte vom Feuerberg Mordor, der zu Zeiten von Mittelerde genau über dem späteren Braunkohlegebiet existierte. Mordors böser Herrscher Sauron habe die Vernichtung aber überlebt und sei, so Gollum mit aufgeregter Stimme, mit dem Ring durch unterirdische Tunnelsysteme unter den verbliebenen Rest des Hambacher Walds gekrochen. Schon an dieser Stelle des Films setzen Buhrufe und gespielte Entsetzensschreie ein.

Unter dem Wald, so die Geschichte von Gollum/Kohlum, aber lebe Sauron weiter, „unterstützt von den rücksichtslosen RWE-Heeren aus Essengart in Ruhrerde unter Führung von Schmitz-Saruman“. Würde der Wald abgeholzt, das Gelände abgegraben, käme „Der Eine Ring“ wieder an die Macht – mit vernichtenden Folgen. Der Schicksalsberg der Menschheit im rheinischen Revier – da konnten alle Gerichte („die Verwaltungsweisen aus dem Münsterwald“) nur mit sofortigem Rodungsstopp reagieren! Prasselnder Applaus braust auch heute nach Ende des Films auf.

„Schon verrückt, der ganze Wahnsinn damals“

Michael Zobel, Waldpädagoge

Lachsalven gibt es immer an der Stelle des Films, wenn Laschets frühere Bauministerin Ina Scharrenbach abwiegelnd sagt: „Lodernde Feuer in Hambach-Mordor? Unmöglich mit unserer Brandschutzordnung und der tapferen Feuerwehr Kerpen.“ Michael Zobel fährt sich im Zuschauerraum durch den seinen langen grauen Bart: „Heute kann man sich gar nicht mehr vorstellen, welche Schießbudenfiguren damals als Knechte von RWE Politik gemacht haben.“

Im Hambacher Urwald ist oben in den Baumwipfeln ein Klettergarten angelegt, wieder dicht belagert heute. „Papa“, kreischt ein Knirps von oben, „ich bin jetzt ein Waldbesetzeeeer ...“ Die Route von Baumhaus zu Baumhaus ist den einstigen Originalen der Siedlungen Oaktown, Gallien und Ló­rien nachempfunden. Rund um den Hambi führt eine Radcrossstrecke mit spektakulärer Route auch durch das frühere Kieswerk Collas. 2033 soll hier sogar die Querfeldein-WM stattfinden. „Der Wald selbst“, so Ministerin Grothus, „ist für Fahrzeuge aller Art tabu, und das wird auch ausnahmslos akzeptiert.“

Eine Extraschleife der Crossstrecke führt zu den nur sechs Kilometer entfernten „Raserei-­Ruinen von Sindorf“, zu jener Kartbahn, auf der Michael Schumacher und andere aus seiner Sippe sich schon als Knirpse im stinkenden Kreisfahren übten. Hier hängt auch in zehnfacher Vergrößerung der Originalbeschluss von 2023, mit dem die Vereinten Nationen den Formel-1-Irrsinn weltweit verboten hatten. Ein beliebtes Fotomotiv. Die jungen Leute von heute, die meisten mit staatlichem Klimaabitur, schütteln den Kopf, was ihre Eltern und Großeltern hier angerichtet haben: „Kartkult, Automanie, Heimatverstromung, Giftkraftwerke – was hat die Menschen nur getrieben damals?“

Und, fragt bang ein junger Mann, ob Sauron wirklich noch da unten existiert ...? „Das weiß niemand mit Sicherheit“, antwortet seine Nachbarin, „aber eines weiß man: Wir müssen alle immer sehr wachsam bleiben!“

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