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„Viel drastischer ausbauen“

Die Bundesregierung investiere zu wenig in die Energiewende, sagt Werner Beba. Er erprobt in einem Projekt, wie der Norden zu 100 Prozent auf Erneuerbare umgestellt werden kann

Interview Florian König

Herr Beba, wie stoppen wir die Klimakrise?

Werner Beba: 87 Prozent der Treibhausgasemissionen werden durch Verbrennungsprozesse verursacht. Die Energiewende muss der zen­trale Ausgangspunkt sein, denn erneuerbarer Strom ist die Grundlage für Klimaneutralität in den Sektoren Wärme, Verkehr und Industrie. Das Kernproblem ist, dass wir es mit trägen Systemen zu tun haben, aber jetzt handeln müssen.

Wie hilft Ihr Projekt „Norddeutsche Energiewende 4.0“ dabei?

Ziel ist es zu erproben, wie in der Modellregion Hamburg/Schleswig-Holstein ein Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare, zunächst im Stromsektor gelingen kann. Auch an einem dunklen, windarmen Tag oder in der Nacht muss die Stromversorgung gewährleistet sein. Das können wir einerseits, indem wir die Energie umwandeln, speichern und später nutzen, andererseits, indem wir Verbraucher dazu animieren, Strom dann abzunehmen, wenn er im Überschuss vorhanden ist. Steuern kann man das dann etwa über den Preis.

Wie weiß ich als Verbraucher, wann ich Strom beziehen muss?

Dazu müssen wir beispielsweise in Echtzeit wissen, wann wir wie viel Strom im Netz haben und zeitgleich die nächsten 24 Stunden prognostizieren. Das ist eine enorme Leistung, die im Rahmen der Digitalisierung zu bewältigen ist. Abhängig von den gemessenen Werten senden wir Signale direkt an den Verbraucher. Wir haben beispielsweise gerade ein „Smart Meter“-Projekt mit 1.000 Haushalten in Norderstedt. Jede Wohnung ist mit einer Stromampel ausgestattet, die anzeigt, wenn ein Überschuss vorhanden ist. Springt die Ampel auf grün, zahle ich zum Beispiel nur 5 ct/kWh. Ich starte also meine Waschmaschine oder lade mein Elektroauto genau dann, wenn wir viel grünen Strom im Netz haben. So können die Verbraucherinnen zu Hause zur Netzstabilität beitragen.

Schreitet die Energiewende denn schnell genug voran?

Nein, zunächst mal müssen wir die Kapazitäten der Erneuerbaren noch viel drastischer ausbauen. Wir sprechen da von einem Faktor 3 in der nächsten Dekade, Faktor 6–7 bis 2050, um klimaneutral zu werden. Doch auch die technische Umsetzung dauert. Es fehlt die Zeit.

Woran scheitert es?

Das Problem ist, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen noch nicht zu unseren Zielvorgaben, CO2-Emissionen letztlich auf null zu senken, passen – weder in Hamburg noch bundesweit. Erdgas ist momentan preiswerter als grüner Strom. Das liegt nicht daran, dass letzterer grundsätzlich teuer ist. Die Belastung durch EEG-Umlagen, Stromsteuer und Netzentgelte und so weiter macht am Ende 75 Prozent des Preises aus. Die gibt es bei Kohle und Gas nicht. Wir haben ein wettbewerbsverzerrendes System.

Werner Beba

ist Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Korrdinator des Projekts „NEW 4.0 – Norddeutsche Energiewende“.

Warum agiert die Politik so träge?

Uns blockiert unter anderem das föderalistische System. Die Bundesländer ziehen in Sachen Energiewende leider nicht alle an einem Strang. Doch wir brauchen da eine gemeinsame Strategie. Gleichzeitig wird nicht gesehen, dass wir nicht mehr warten können, sondern die Weichen jetzt stellen müssen. Die Energiewende gibt es nicht zum Nulltarif und sie wird nicht funktionieren, wenn die Investitionen ausbleiben. Denn die Kosten können weder von Verbraucherinnen noch von Unternehmen alleine getragen werden.

Haben Sie einen Schlussappell?

Zusammen mit unseren 60 Partnern zeigen wir, die Energiewende ist technologisch machbar. Die Politik arbeitet bemüht, aber nicht schnell genug, um die Reduktionsziele zu erreichen. Wenn wir als wohlhabender Staat nicht vorangehen, wer soll uns dann folgen? Wenn wir es ernst meinen, müssen wir in einer ganzheitlichen Transformation des Energiesystems die Vorreiterrolle übernehmen.

Florian, 21, studiert im Masterstudiengang Physik.

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