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Verteilung von Flüchtlingen aus MoriaDas Problem heißt Lager

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Deutschland will mehr Menschen aus Moria aufnehmen. Doch Griechenland lässt sie nicht ausreisen. Das Kalkül dahinter: Abschreckung.

Ehemalige Bewohner des zerstörten Lagers Moria in einem neu errichteten Lager heute auf Lesbos Foto: Alkis Konstantinidis/reuters

S eit Monaten wird darum gestritten, ob Deutschland mehr Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen soll. Nun will die Bundesregierung 1.500 Menschen mehr aufnehmen als die bisher zugesagten 1.000. Und dann das: Griechenland will die Menschen aus Moria nicht ausreisen lassen. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis machte klar, dass nur anerkannte Flüchtlinge in andere EU-Staaten ausreisen dürfen sollen. Das ist aber nur eine Minderheit der Insassen von Moria. Für viele hierzulande klang diese Weigerung infam und unverständlich. Infam ist sie, aber erklären lässt sie sich.

Bislang wollte Griechenland immer, dass möglichst viele Flüchtlinge von anderen EU-Staaten aufgenommen werden. Das hat sich grundsätzlich nicht geändert. Nach dem Brand in Moria fürchtet die Regierung ­jedoch, dass die Insassen anderer EU-„Hotspots“ auf den Ägäis-Inseln – auch diese sind völlig überfüllt und teils von Corona-Ausbrüchen geplagt – ebenfalls ihre Lager anzünden, um ausreisen zu dürfen.

An dieser Befürchtung könnte etwas dran sein. Das liegt aber keineswegs daran, dass es sich bei den Insassen um „Kriminelle“ handelt, die den Staat erpressen wollen, wie in den vergangenen Tagen vielfach zu lesen war. Es liegt vielmehr daran, dass es diese Lager so gar nicht geben dürfte. Was dort geschieht, verletzt praktisch alle Grundrechte der dort untergebrachten Menschen.

Daran ist Griechenland keineswegs unschuldig: Das Land hat seit 2015 enorme Summen von der EU bekommen, um die Flüchtlinge auf seinem Territorium angemessen zu versorgen. Es hat aber aus strategischen Gründen erhebliche Anteile dieser Gelder nicht abgerufen, um mit Bildern vom Elend in den Lagern eine andere EU-Asylpolitik zu erzwingen und andere Flüchtlinge abzuschrecken.

Das Paradox, dass ausgerechnet Athen jetzt auf die Umverteilungsbremse drückt, zeigt: Das Problem heißt nicht Moria, es heißt Lager. Solange Menschen systematisch entrechtet werden, um andere abzuschrecken, ist mit punktuellen Ak­tionen keine Gerechtigkeit herstellbar.

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Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
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