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Werden und Vergehen

Die Installationskünstlerin Jeewi Lee beschäftigt sich im Hamburger Kunstverein mit dem Mythos. Wer darin nur Exotisches erkennen kann, verpasst das zutiefst Gegenwärtige dieser Künstlerin und ihrer Arbeiten

Von Falk Schreiber

Es riecht. Ein bisschen würzig, ein bisschen scharf, ein bisschen chemisch: Es riecht nach Seife in den Ausstellungsräumen des Hamburger Kunstvereins. Im Erdgeschoss hat Jeewi Lee eine Wandinstallation namens „Ashes to Ashes“ aufgebaut: ein Rechteck aus 630 schwarzgrauen Seifestücken, jedes individuell gefärbt, jedes in minimal unterschiedlichem Format, jedes mit schwer decodierbaren Verzierungen versehen – organisches Material, Faustkeile, abstrakte Zeichen.

2018 war Lee Stipendiatin im Florentiner Künstlerhaus Villa Romana. Während dieses Aufenthaltes besuchte sie das von schweren Waldbränden verwüstete Gebiet um den toskanischen Monte Serra. Dort sammelte sie Asche und verkohlte Baumstämme und stellte daraus die Seifenstücke für „Ashes to Ashes“ her. Das Ergebnis ist eine Arbeit, die mit Bedeutung angefüllt ist: einerseits als Verweis auf Lees eigene künstlerische Biografie mit ihrem Toskana-Aufenthalt, andererseits auf die weltweiten Klimaveränderungen, die sich unter anderem in außer Kontrolle geratenen Großfeuern äußern. Und schließlich taucht in „Ashes to Ashes“ noch ein Aspekt auf, der 2018 noch gar nicht erkennbar war: die Coronapandemie und der damit verbundene Bedeutungsgewinn von Hygienemaßnahmen, der sich in der Materialität der Seife niederschlägt.

Seit 1905 wird der Villa-Romana-Preis als Arbeitsstipendium in Florenz an jährlich vier Künstler*innen vergeben. Der Hamburger Kunstverein präsentiert nacheinander alle vier Preisträger*innen des Jahres 2018 in kurzen Einzelausstellungen unter dem Titel „#Unfinished Traces“. Lerato Shadi war ab Ende Juni in Hamburg zu sehen, Christophe Ndabaniye folgt im August, Viron Erol Vert im September.

Den zunächst dekorativen Charakter überlagern immer stärker Verweise auf Klimawandel, Zeitgeschichte und die Biografie Jeewi Lees

Und derzeit bespielt also Jeewi Lee den großen unteren Saal des Hauses. Lee, geboren 1987 in Seoul, ansässig in Berlin, ist bekannt für bedeutungsstarke Installationen, die hinter einer konventionellen Anmutung Ebene um Ebene aufmachen – so wie die Seifenwand „Ashes to Ashes“, deren zunächst dekorativen Charakter immer stärker Verweise auf Klimawandel, Zeitgeschichte und die Biografie der Künstlerin überlagern. Oder fünf großformatige Gemälde, verwischte Pigmentspuren auf weißem Papier, die einerseits schattenhafte Landschaften darstellen, andererseits die ihnen eigene, flüchtige Materialität betonen.

„re-“ nennt Lee ihren Beitrag zur Villa-Romana-Ausstellungsserie; eine Vorsilbe, die etwas zurückzunehmen scheint, etwas neu bewerten möchte. Eine kleine, leicht zu übersehende Installation nimmt ausdrücklich Bezug auf diesen Titel: An ein Gitter am Eingang zur Halle sind Postkarten gehängt, Nachrichten aus Casablanca, wo die Künstlerin während des marokkanischen Coronalockdowns unfreiwillig im Exil ausharren musste. Auf jeder Karte steht nur ein einziges Wort, „reconstruction“, „reproduce“, „resolve“, das verzweifelte Beharren auf einen Wiederaufbau nach dem Zusammenbruch. Aber Vorsicht: In der Mitte des Raumes ist mit Asche ein weiterer Re-Begriff auf den Betonboden geschrieben, „Recoil“ – „Rückschlag“. Die Entwicklung, die Bewegung, die zentral für Lees Kunst ist, ist nicht zwangsläufig eine zum Positiven.

Am Eröffnungswochenende vollzieht die mit Lee befreundete Künstlerin Ayumi Paul im Ausstellungsraum ein Ritual namens „Tears and Water“: Die Besucher*innen haben ein Fläschchen Wasser vor sich, Paul schlägt eine Trommel, singt mit sanfter Stimme, am Ende muss das Publikum seinen Atem in das Wasser entlassen. Das Fläschchen wird mit nach Hause genommen, um an einem Ort aufgestellt zu werden, der „fruchtbar erscheint“. Ja, das klingt, gelinde gesagt, esoterisch, auch ruft die fremdartige Musik das exotische Bild einer Person of Colour auf, die hier eine nicht deutbare künstlerische Aktion performt.

Tatsächlich aber ist „Tears and Water“ gar nicht so fremdartig: Im Grunde ist die Aktion, beschrieben als „Spaziergang durch den Körper, um der Trauer zu begegnen“, eine Atemmeditation, wie sie auch im westlichen Verständnis präsent ist. Und die Symbolik des Wassers, die auf Fruchtbarkeit verweist und so die eigene Wohnung zum Kunstort machen soll, ist ebenfalls so exotisch nicht.

Auch „re-“, Lees Ausstellung, setzt auf fluide Zustände: Auf den Augenblick dazwischen, auf die Asche, die einerseits einen im Feuer zerstörten Wald symbolisiert, andererseits auf den Treibhauseffekt insgesamt verweist und – als positiven Nebeneffekt – die extreme Fruchtbarkeit eines verbrannten Bodens anspricht. Gezeichnet wird hier ein Kreislauf des Werdens und Vergehens, und das ist kein Exotismus mehr, sondern die Bezugnahme auf global präsente Mythen, mit denen Lee (und Paul) im Kunstverein arbeiten.

Diese Mythosbegeisterung hat einen Zug ins Fatalistische. Aber hier wird eine Künstlerin gezeigt, deren Arbeiten bis ins Letzte durchdacht daherkommen (und die schon deswegen eine verdiente Villa-Romana-Stipendiatin ist). Die großzügige, den gesamten Raum nutzende Präsentation tut ihr übriges: „re-“ ist die rundum gelungene Ausstellung einer zutiefst gegenwärtigen Künstlerinnenposition.

Bis 16. 8., Hamburg, Kunstverein

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