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Letzte Runde im Syndikat

Am Freitag räumt die Polizei die linke Kiezkneipe in Neukölln. Damit endet ein jahrelanger Kampf. Voraus gegangen war eine Nacht voller Proteste. Die Linke fordert einen anderen Umgang mit bedrohten Projekten

„Das hat doch mit einer normalen Räumung nichts mehr zu tun. Das ist G20 und G8“

Christian, Wirt des Syndikats

Von Erik Peter und Gareth Joswig

Soeben hat die Nachricht die Runde gemacht, dass der Gerichtsvollzieher um 8.30 Uhr die Kiezkneipe Syndikat in Berlin-Neukölln erreicht hat, da eskaliert am Freitagmorgen für einige Minuten die Lage an der Polizeiabsperrung in der Weisestraße. Polizist*innen schubsen De­monstrant*innen, schlagen und versprühen Pfefferspray. Die Antwort Pyrotechnik, vereinzelte Flaschenwürfe und wütende Chöre.

Es ist der Moment, in dem der lange Kampf ums Syndikat verloren ist. Die ganze Nacht hatten Demonstrant*innen Stellung gehalten, ab morgens kamen Hunderte dazu. Eine Sitzblockade auf der Hermannstraße, Materialbarrikaden, volle Kundgebungen – doch die Blockade des Gerichtsvollziehers blieb eine unlösbare Aufgabe.

Das Syndikat ist keine gewöhnliche Kneipe. Es ist ein Nachbarschaftstreff und seit 35 Jahren eine Institution der linken Szene in Neukölln. Der Mietvertrag war Ende 2018 ausgelaufen, aber das Kollektiv hatte sich geweigert, die Räumlichkeiten zu verlassen.

Stattdessen deckte es auf, dass hinter ihrer nicht ansprechbaren Eigentümerfirma, die lediglich einen Briefkasten in Luxemburg unterhält, ein Londoner Immobilienimperium steht. Recherchen ergaben, dass Pears Global über viele verschiedene Scheinfirmen mehr als 3.000 Wohnungen in der Stadt gehören. Von einer möglichen Enteignung der großen Immobilienkonzerne, wie sie derzeit eine Volksbegehren in Berlin einfordert, wäre somit auch Pears Global betroffen. Der Protest gegen die Räumung wurde so auch zum Symbol für den Einsatz gegen Gentrifizierung schlechthin. Und die Räumung könnte noch zum Problem für die rot-rot-grüne Regierungskoalition werden.

Lilafarbene Rauchtöpfe

Exakt um 8.34 Uhr steigt der Gerichtsvollzieher aus einem Polizeivan. Zunächst versucht er, über den Hinterhof ins Syndikat einzudringen. Als sich auf der Kundgebung 40 Meter weiter herumspricht, dass der Gerichtsvollzieher da ist, eskaliert die Situation kurz. Ein lilafarbener Rauchtopf geht hoch und Demonstrierende versuchen, über die Absperrung zu kommen. Allerdings erfolglos: Die behelmte 13. Hundertschaft der Bereitschaftspolizei drängt die De­mons­trant*innen weg und nimmt einen Punk mit grünen Haaren fest.

Die Demo tobt. Die Wut im Kiez ist förmlich greifbar. Eine halbe Stunde später hat ein Schlüsseldienst die Vordertür des Syndikats aufgebohrt. Doch drin ist niemand mehr. Das Mobiliar hatte das Kollektiv längst ausgeräumt. Dann geht ein behelmter Einsatztrupp ins Syndikat, wenig später folgt der Gerichtsvollzieher. Danach tauscht der Schlüsseldienst die Schlösser aus. 35 Jahre Syndikat sind vorbei.

Es war eine unfassbare Materialschlacht, die die Polizei auf die Straße gebracht hat: 700 Polizist*innen sind laut Sprecher Thilo Cablitz in der Frühschicht seit 5 Uhr morgens im Einsatz. Am Vorabend und in der Nacht dürfte es eine ähnliche Anzahl gewesen sein. Dazu hatte die Polizei zwei größere Straßenabschnitte seit Donnerstagmittag gesperrt. Diese Sperrzone wurde im Laufe des Einsatzes bis zur Hermannstraße und dem Herrfurthplatz ausgeweitet, um Blockaden zu verhindern.

Nachts kreiste ein Hubschrauber, eine Hundestaffel war im Einsatz, sogar so etwas wie eine Klettereinheit wurde auf den Dächern um das Syndikat herum von Nachbar*innen fotografiert. Wie viel der Einsatz koste? Könne er nicht sagen, so Cablitz.

Festnahmen in der Nacht

Im Laufe der Nacht hat es laut Polizei rund 40 Festnahmen gegeben. Es sei zu Sachbeschädigungen gekommen. Einige Mülltonnen seien angezündet worden. Zwei Demo-Sanitäter berichten der taz am Freitagmorgen von etwa 40 Verletzten auf Seiten der Demonstrierenden. Die meisten hätten Pfefferspray abbekommen. Ebenso habe es Schnitt- und Platzwunden gegeben.

Die Proteste gegen die Räumung der seit 35 Jahren existierenden Kneipe hatten am Donnerstagabend begonnen. Schon vor dem Protestauftakt um 20 Uhr sieht Kneipenwirt Christian abgekämpft und fassungslos aus. Der Sprecher des Kneipenkollektivs sagt: „Das hat doch mit einer normalen Räumung nichts mehr zu tun. Das ist G20 und G8.“

Pünktlich um 20 Uhr beginnt ein Lärmkonzert aus den Fenstern vieler Anwohner*innen. Die abgesperrte Straße hängt voller Transparente für den Erhalt der Kneipe, die sich vor Sympathiekundungen im Kiez kaum retten kann. Mit Sprechchören fordern Demo-Teilneh­mer*in­nen die Polizei auf, abzuhauen. Doch auch wenn das ausgegebene Motto ist, die Räumung zu verhindern: Das Syndikat ist zu diesem Zeitpunkt bereits leer.

Die Wut ist dennoch groß. Etwa 2.000 Menschen sind rings um die Absperrungen unterwegs. Auf einer der Kundgebungen schreit ein vermummter Redner mit Käppi seine Empörung über die abgesperrte Zone ins Mikrofon: „Dort wollten wir Abschied nehmen. Doch das hat die Polizei, das haben die Bullen verhindert.“ Wiederholt fordert er die Teilnehmer*innen zur Vernunft auf: „Tragt Masken, achtet auf Auflagen. Bepöbelt die Bullen mit Abstand, nicht mit Anstand.“ Niemand soll der Polizei einen Grund geben, die Demo aufzulösen.

Fast alle Redner*innen betonen, dass diese Räumung unter einem rot-rot-grünen Senat stattfindet, der mit anderen Versprechungen angetreten war. Ein Politiker der Linken steht in der Menge und fragt: „Warum wird in den Reden nicht mehr auf die kapitalistischen Eigentumsstrukturen eingegangen?“ Der Senat habe gegen den gerichtlichen Räumungstitel keine Handhabe.

Den Vertriebenen helfen die Sympathiebekundungen aus der Bezirks- und Landespolitik nicht weiter. Die Räumung der Kneipe für die gesichtlose Eigentümerfirma Pears Global ist für sie ein Skandal.

Gegen Mitternacht wird die Situation nach einer Ingewahrsamnahme wegen Vermummung unruhiger. Demons­trant*i­nnen blockieren die Hermannstraße, immer wieder kommt es zu Schubsereien, weitere Menschen werden mitgenommen, ein Hubschrauber steht in der Luft. Nachts um 5 Uhr brennen kleinere Barrikaden im Kiez.

Am Freitagmorgen, nach der Räumung, gibt es noch vereinzelteb Protest. Für den Abend wird zu einer erneuten Demo am Herrfurthplatz aufgerufen; eine Spontandemo soll folgen. Es könnte eine ungemütliche Nacht werden.

Linke und grüne Politiker*in­nen bemühen sich am Freitag um Schadensbegrenzung. Dass das Syndikat dicht sei, sei „eine Niederlage für die Politik“, schrieb der linke Abgeordnete Niklas Schrader. Der Polizeieinsatz sei martialisch verlaufen. Er forderte: „Wir brauchen in Berlin einen anderen Umgang mit bedrohten Projekten und müssen dazu in der Koalition erneut in die Auseinandersetzung gehen.“

„Der Frust ist riesig! Verständlich“, schreibt der Grünen-Abgeordnete Georg Kössler. Bezirk und Land seien nun in der Pflicht, alternative Räume für das Syndikat und andere bedrohte Projekte zu finden.

Die Initiative Deutsche Wohnen und Co. Enteignen – sprich auch Pears Global – kündigte unterdessen an, ab Februar mit der Sammlung von Unterschriften für das Volksbegehren zu beginnen. Ein Entscheid könnte parallel zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 stattfinden.

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