Südosteuropa im Krisenmodus: Wut, die sich mit Wucht entlädt

Bulgarien, Serbien, Montenegro, Albanien – Länder in schwierigen Zeiten. Auf dem Balkan wächst der Unmut über Korruption und politischen Stillstand.

Demo in Sofia.

Allerorts die ähnlichen Bilder demonstrierender Menschen: hier Proteste in Sofia am 13. Juli Foto: ap

BERLIN taz | Korruption, organisiertes Verbrechen, politischer Stillstand – dagegen regt sich in vielen Ecken Südosteuropas derzeit Widerstand. In Serbien kam es zu Ausschreitungen wegen erneuter Coronamaßnahmen. In Montenegro gingen Menschen wegen eines Streits um die serbisch-orthodoxe Kirche auf die Straße. Und in Albanien gab es Aktionen gegen den Abriss des geschichtsträchtigen Nationaltheaters, das mittlerweile einem geplanten Einkaufszentrum gewichen ist – für viele ein klarer Fall von Korruption.

Die Auslöser all dieser Proteste mögen unterschiedlich sein, doch sie alle richten sich im Kern gegen politischen Stillstand, rücksichtslose Eliten und die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit, die sich durch die Coronapandemie noch verschärft hat. Seit Anfang der 1990er Jahre, seit der Auflösung des Ostblocks und dem Zerfall Jugoslawiens, befindet sich die Region in einem unvollendeten Wandel.

Reformen haben darin oft nur einen demokratischen Anstrich. So will Albaniens Regierung derzeit das Wahlrecht reformieren: Offiziell ein Schritt hin zur EU-Integration, doch Kritiker*innen warnen, dass die geplante höhere Prozenthürde und das Verbot von Parteizusammenschlüssen vor Wahlen nur der Regierungspartei SP (Sozialistische Partei) nutzen. Die Menschen fühlen sich betrogen.

Proteste entladen sich dann oft spontan und mit großer Wucht. Während der Tage anhaltenden Straßenschlachten in Serbien verschafften sich Demonstrant*innen Zugang zum Parlamentsgebäude. Die Sicherheitskräfte schlugen brutal zurück.

Protestbewegungen ohne klare Linie

Nach ersten Wutausbrüchen folgt dann meist die Ernüchterung – die Proteste verpuffen früher oder später. Ihnen fehlt eine zentrale Organisation, um die Wut zu bündeln und ihr eine Stoßrichtung zu geben. In Serbien etwa zog ein bunter Haufen durch die Straßen, von Linken bis zu rechten Hooligans. Eine Antwort auf das, was nach ihrem Protest kommen soll, haben sie nicht. Und so ist es auch in Belgrad wieder ruhiger geworden.

Auf die politische Opposition können die Unzufriedenen nicht hoffen – denn die ist meist ausgehöhlt oder zerstritten. In Albanien boykottiert die Oppositionspartei DP (Demokratische Partei) – die selbst nicht gerade mit demokratischen Ambitionen glänzt – die parlamentarische Arbeit aus Protest gegen die Regierung. In Serbien hat Aleksandar Vučić sämtliche Medien gleichgeschaltet und kontrolliert seit der Wahl am 21. Juni zwei Drittel des Parlaments. Und in Montenegro hält seit der Unabhängigkeit mit Präsident Milo Ðukanović ein einziger Mann die Strippen in der Hand.

Auch auf die EU setzt kaum jemand – zu lange hat sie sich hinter die jeweiligen Regierungschefs gestellt, allen voran hinter Borissow in Bulgarien, der sich gern proeuropäisch gibt.

Mit jedem Rückschlag, den die Protestbewegungen ertragen müssen, verlassen außerdem mehr und mehr Menschen die Region. In Südosteuropa ist der Exodus junger und gut ausgebildeter Menschen, die nach Westeuropa ziehen, in vollem Gange.

Ob Bulgariens Protestbewegung scheitert, wird sich voraussichtlich nächste Woche zeigen: Dann steht im Parlament ein Misstrauensvotum an, bei dem möglicherweise nicht nur einige Minister*innen ausgetauscht werden, sondern die gesamte Regierung weichen muss.

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