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Mehr Einsamkeit

Für Queers sind ihre Clubs Schutzräume, in denen sie sich frei von Schmähungen entfalten können. Doch wegen der Covid-19-Pandemie finden dort zur Zeit keine Partys statt

Die Silverfuture Bar in Berlin kann nur eingeschränkt öffnen Foto: Hilde Muffel

Von Stefan Hochgesand

Würde man eine – längst überfällige – Serie über queere Menschen in Berlin drehen, müsste eigentlich eine Szene direkt in der ersten Folge im SchwuZ in Neukölln spielen. Freund:innen, die nach einer langen beschissenen Woche im Club zusammenkommen, sich umarmen, Mut zusprechen und dann zu Beyoncé-Songs auf den Tanzboden steigen. Oder die Szene würde im Berlin-Kreuzberger SO36 spielen, auf der queeren Party Gayhane, mit arabischer und türkischer Musik. Oder zu Technobeats im antifaschistischen About Blank am Ostkreuz in Friedrichshain auf der queeren Buttons-Party.

Doch wenn diese Serie im Sommer 2020 spielen würde, würde keine dieser Partys steigen. Vielleicht würde die Serie stattdessen ein sozialisoliertes 18-jähriges lesbisches Mädchen zeigen, das, nach einem missglückten Coming-out, missverstanden, emotional misshandelt von ihren Eltern, keinen Ort kennt, an dem sie sich normal fühlen darf und ihre Freundin küssen kann, ohne dass andere (verbal) auf sie einschlagen.

Viele Menschen vermissen es zurzeit zu tanzen, doch für viele Queers sind „ihre“ Clubs Schutzräume, also mehr als nur Fun, nämlich so ziemlich die einzigen Orte, an denen sie nicht in der Minderheit und somit potentiellen Schmähungen ausgeliefert sind. Wie oft sieht man ein schwules Pärchen händchenhaltend in der U-Bahn? Ja, dass das selten ist, hat Gründe, und sie sind traumatisch. Die Orte, die dann der Seele guttun, gibt es freilich nicht nur in Berlin:

Queers gehen zu „Let’s Go Queer“ in den Schlachthof Wiesbaden, zur Lovepop ins White Noise (Stuttgart), zu „Garry Klein“ ins Harry Klein (München) ins Artheater (Köln) oder ins Institut für Zukunft (Leipzig). Nirgendwo dort finden aber zurzeit Partys statt. Schlimmer noch: Je nachdem wie lang die Clubs keine Einnahmen haben, werden einige oder gar viele davon bankrottgehen. Das SchwuZ hat laut Geschäftsführung bisher keine Hilfen vom Staat erhalten und sich deshalb im Juni einen Kredit von 300.000 Euro genommen. „Der reicht jedoch nur bis Ende November“, sagt Geschäftsführer Marcel Weber. „Danach ist Schluss.“ Zumindest wenn der Staat nicht doch noch hilft. Was würde ein solches Ende bedeuten?

Nanette vom SO36, wo es zurzeit nicht rosiger aussieht, bringt es auf den Punkt: „Katastrophe! Tendenzen in Richtung weniger Sichtbarkeit, mehr Einsamkeit, weniger Begegnung, weniger Austausch und, in einigen Fällen, keine Möglichkeit, kein Raum mehr, das eigene wirklich empfundene Ich auch leben zu können.“ Eli vom About Blank pflichtet bei: „Die aktuelle Krise trifft nicht alle von uns gleich: Zuvor marginalisierte und diskriminierte Gruppen haben es nun doppelt und dreifach schwer.“

Um die Kurve zu kriegen, eher emotional als finanziell, haben sich einige queere Clubs temporär zu Bars mit Sicherheitsabstand umfunktioniert: Das About Blank macht einen Sektgarten. Das Artheater Köln hat sich einen neuen dschungelartigen Außenbereich gebastelt. Die Lovepop in Augsburg findet (anders als die in Stuttgart) auch als Getränkegarten ohne Tanzen statt. Eine Zwischenlösung für den Sommer, die im Winter kaum infrage kommt. Überhaupt wäre es zu kurz gedacht, dass Bars vor den finanziellen Problemen gefeit wären: Viele queere Bars in Deutschland ächzen gerade, wie die queere Gute Quelle in Leipzig, die sich selbst witzigerweise „heterofriendly“ nennt.

Im About Blank gibt man offen zu, dass man mit dem Sektgarten kaum Geld macht und das eher als Geste für die Community versteht. Das Silverfuture, die alternative queere Bar in Neukölln, unweit des SchwuZ, kann maximal 40 Prozent der normalen Sitze freigeben. Seinen Ableger, das Curly, die einzige queere Bar im Berliner Wedding, lässt die Silverfuture-Crew gerade komplett geschlossen, da das durch den 1,5-Meter-Abstand ein Verlustgeschäft wäre, wie Sabine Holzmann vom Silverfuture eingesteht.

Man kann kaum von queerer Community sprechen, ohne nicht auch über queere Medien zu sprechen. Seit 1984 ist das queere Stadtmagazin Siegessäule in Berlin Kult, berichtet aus der Szene für die Szene, und liegt an vielen Orten aus, von denen oben schon die Rede war. Doch durch Corona brach der Anzeigenverkauf dramatisch ein. Das drohende Ende hat die Community wachgerüttelt: Stattliche 200.000 Euro kamen durch private Spenden rein. Der Fotograf Wolfgang Tillmans hat Kunst zum Verkauf gespendet. Wenn keine „zweite Welle“ Corona kommt, wird man wohl bis Sommer 2021 planen können, so Geschäftsführerin Gudrun Fertig. Wenn aber doch?

Die aktuelle Krise trifft diskriminierte Gruppen doppelt und dreifach

„Für viele ist Siegessäule mehr ein Lebensgefühl als eine Zeitschrift“, sagt Geschäftsführerin Manuely Kay. „Wir sind ja auch ein Vermächtnis der schwulen Szene der 80er und außerdem war für viele die Siegessäule ihre persönliche Coming-out-Begleiterin.“ Chefredakteur Kai Noll pflichtet bei: „Bei queeren Medien generell und bei der Siegessäule im Besonderen geht es ja immer auch um Sichtbarmachung marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen. Heißt, die politische, gesellschaftliche und emotionale Relevanz ist eine ganz andere als bei vielen Mainstream-Medien.“ Sollten die queeren Institutionen pleitegehen, „fangen wir wieder in den 70er Jahren an“, sagt Manuela Kay.

Doch es gibt immerhin erstaunlich viel Solidarität. In Frankfurt am Main versucht das Bündnis Vielfalt die queere Kneipenlandschaft zu retten, samt der wohl ältesten lesbischen Bar Europas, dem La Gata. Kiez-Nachbar:innen vom SO36 sticken SO36-Fanartikel, verkaufen sie und spenden die Erlöse. Viel Mut machen kann das, wenn man mit Menschen wie der (übrigens hetero) LGBT-Aktivistin Laura Halding-Hoppenheit spricht, Kommunalpolitikerin für Die Linke in Stuttgart, geehrt mit dem Bundesverdienstkreuz.

Halding-Hoppenheit ist auch Gastwirtin und schmeißt als solche den Kings Club, der mit seinen 43 Jahren einer der ältesten queeren Clubs des Landes ist. Zurzeit macht sie eine Bar, den „King Club im Exil“. Und diese Frau, Jahrgang, 1942, sie überschlägt sich geradezu vor Begeisterung, wie solidarisch dort alle Gäste seien: „Ich bin so was von stolz, wie niemand hier tanzt oder provoziert, sondern alle Abstand zueinander halten, aus Respekt und Liebe. Musste erst Corona kommen, damit die Szene wieder zusammenhält?“

Man darf vielleicht auch sagen: Es ist nicht das erste Virus, das die Szene überleben musste. Das Harry Klein aus München streamt viermal die Woche. Und im About Blank soll es im August Performances geben, von der Buttons-Partycrew. Und wird es 2021 wieder queere Clubs geben, in denen dann auch endlich mal eine queere Serie spielen sollte? „Wir haben zwei Glaskugeln“, sagt Nanette vom SO36. „In der einen ist alles trist und grau. Die andere schillert bunt.“