Wohnraum in Niedersachsen: Die neue soziale Frage

Trotz Mietpreisbremse und Zweckentfremdungssatzung wird der Wohnungsmarkt in Niedersachsen immer enger.

Häuserzeile in der hannoverschen Altstadt.

Für jeden was dabei? Blick durch die hannoversche Altstadt auf das Ihme-Zentrum Foto: Lucas Bäuml/dpa

HANNOVER taz | Vom Wohnen als der „neuen soziale Frage“ hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil 2018 gesprochen und ein verstärktes Engagement des Landes angekündigt. Ein ganzes Bündel politischer Korrekturmaßnahmen hat seine Regierung dazu mittlerweile verabschiedet. Nur die Wirkung bleibt fraglich.

Beispiel Mietpreisbremse: Sie bestimmt, dass in bestimmten Kommunen die Mieten bei neu abgeschlossenen Verträgen höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen dürfen. Keine drei Minuten dauerte die letzte Berufungsverhandlung zu diesem Instrument vor dem Landgericht Hannover. Ob die Klägerin ihren Antrag wirklich aufrechterhalten wolle, fragte die Richterin Elisabeth Fughe. Ja, bestätigte der Anwalt. Aussicht auf Erfolg habe er damit nicht, ließ die Kammer durchblicken.

In Hannover ist die Mietpreisbremse unwirksam – weil das Ministerium es versäumt hat, zu begründen, warum der Mietmarkt hier als angespannt zu gelten hat. Über diese juristische Hürde sind schon die bayerische und hessische Mietpreisbremsen gestürzt – die Urteile des Bundesgerichtshofes dazu stammen aus den Jahren 2017 und 2019.

Auf eine gültige Neufassung der Verordnung warten die Mietervereine in den meisten niedersächsischen Großstädten und den sieben ostfriesischen Inselgemeinden immer noch – und zwar ziemlich dringend, wie Reinold von Thadden, Justiziar beim Deutschen Mieterbund (DMB), betont.

Die Mietpreisbremse hält er in der jetzigen Form für weitgehend wirkungslos: „Es wird ja kaum jemand, der gerade auf der Suche ist, die Wohnungsanbieter darauf festnageln, weil die dann eben einfach einen anderen Interessenten vorziehen.“

Viel wichtiger seien die Kappungsgrenzen für Mieterhöhungen bei bestehenden Mietverträgen, die in der selben Verordnung festgelegt seien, sagt er. „Das sind die Fälle, die den Löwenanteil bei uns in der Beratung ausmachen. Und das macht schon einen Unterschied, ob Sie 15 oder 20 Prozent mehr zahlen müssen.“ Aus dem Ministerium heißt es, die Verordnung sei in Arbeit.

Ein ähnlich große Debatte wie um die Mietpreisbremse gab es um die Zweckentfremdungssatzung. Mit ihr soll den Gemeinden und Kommunen ein Mittel an die Hand gegeben werden, mit dem sie die Umwidmung von kostbarem Wohnraum in Ferienwohnungen, Praxen, Kanzleien oder Leerstände von Abschreibungsobjekten ausbremsen können.

In Gebieten mit einem angespannten Wohnungsmarkt sind solche Nutzungen dann genehmigungspflichtig, müssen gut begründet und bezahlt werden. Die Gemeinden können die Genehmigung auch verweigern und Zuwiderhandlungen mit Geldbußen bestrafen. Das war hart umkämpft, weil Unternehmen wie Airbnb darin einen Anschlag auf ihr Geschäftsmodell witterten.

In Niedersachsen trat das entsprechende Gesetz 2019 in Kraft. Bis jetzt machen nur wenige Gemeinden Gebrauch davon: Lüneburg, Norderney und Göttingen gehören dazu. Die Anzahl der Anträge auf entsprechende Umnutzungen blieben im ersten Jahr hinter den Erwartungen zurück.

In Hannover hat die Linke das Thema noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt – die Mehrheit aus Grünen, SPD und CDU ist nicht abgeneigt, möchte die Verwaltung aber erst einmal prüfen lassen, welche finanziellen und personellen Auswirkungen das denn hätte.

Das, vermutet Mietrechtsexperte von Thadden, ist wahrscheinlich der eigentliche Haken: „Um die Regelung konsequent umzusetzen, brauchen Sie ja Leute, die das kontrollieren.“

Das gilt auch für die Durchsetzung des Wohnraumschutzes. Als im Mai 2017 in der Plattenbausiedlung Wollepark in Delmenhorst hunderte von Mietern in ihren heruntergekommen Wohnblocks ohne Strom und Wasser festsaßen, weil der Vermieter ihre Zahlungen nicht an die Versorgungsunternehmen weitergeleitet hatte, war man sich politisch einig, dass hier etwas passieren muss.

Das niedersächsische Wohnraumschutzgesetz fußt unter anderem auf dieser Erfahrung. Es schreibt Mindestquadratmeterzahlen und Versorgungsstandards fest. Eigentlich hätte es noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollen.

Doch dank Corona sind nun wieder die Sammelunterkünfte für Arbeiter etwa in der Fleischindustrie in den Blick geraten. Für die gab es ursprünglich eigene Erlasse, jetzt sollen sie auch hier mit erfasst werden. Aber wer soll oder muss das dann kontrollieren? Das Land, die Landkreise, die Kommunen?

Weniger Sozialwohnungen

Um diese Details wird nun weiter gerungen – und die Verabschiedung wurde erst einmal aufgeschoben.

Unterdessen versucht die Landesregierung gegen den Wohnungsmangel anzubauen. Eine Rekordzahl von Baugenehmigungen hat Bau- und Umweltminister Olaf Lies (SPD) verkündet. Die Opposition – vor allem die Grünen – kritisiert allerdings, dass nur ein geringer Anteil davon auf Sozialwohnungen entfällt. Seit Jahrzehnten fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung, als neu dazukommen.

Daran hat auch das „Bündnis für bezahlbares Wohnen in Niedersachsen“ bisher nicht genug geändert. 40.000 neue Sozialwohnungen bis 2030 hat die Landesregierung als Zielmarge ausgegeben. Auf 4.000 pro Jahr soll die Anzahl der geförderten neuen Wohnungen steigen. Tatsächlich dümpelt die Zahl aber irgendwo bei 1.500, wie die Zahlen zeigen, die die N-Bank auf eine Anfrage der Grünen hin herausgesucht hat. Die bereitgestellten Fördermittel werden nicht im erforderlichen Umfang abgerufen.

Um das Bauen einfacher zu machen, gibt es schon länger Überlegungen, die Bauordnung noch einmal zu entrümpeln. Denn – so zumindest die von der CDU in der Regierung und der FDP in der Opposition gern gepflegte These, es seien vor allem die vielen bürokratischen Vorschriften, die die Neubautätigkeit hemmten und zu teuer machten.

Mehr Bauen auf Kosten von Kinderspielplätzen

Ein erster Vorstoß der Landesregierung, Vorschriften zur Barrierefreiheit zu kassieren, wurde nach einem Aufschrei der Interessenverbände von Menschen mit Behinderungen zurückgezogen.

Jetzt kursieren neue Vorstellungen, die auf den letzten Metern vor der Sommerpause noch schnell im Bauauschuss eingebracht wurden. Vor allem bei der Nachverdichtung, also der Aufstockung bestehender Gebäude und der Schließung von Baulücken, sollen die Regelungen für energiesparendes Bauen und für Barrierefreiheit ausgesetzt werden. Zudem soll der Zwang, bei Gebäuden mit mehr als fünf Wohnungen einen Kinderspielplatz zu schaffen oder mitzufinanzieren, entfallen.

Dagegen protestieren die Grünen, die das für nicht zeitgemäß halten: Corona habe gezeigt, wie wichtig Spielplätze seien. Der Bedarf an barrierefreiem Wohnraum werde eher steigen als sinken und warum es clever sein sollte, ausgerechnet bei Dachgeschossausbauten aufs Energiesparen zu verzichten, erschließe sich auch nicht, kritisiert der Landtagsabgeordnete Christian Meyer.

Der FDP dagegen gehen die Regelungen noch nicht weit genug. Sie fordert ein entschiedeneres Vorgehen. Die Debatte darüber wurde allerdings vertagt.

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