Katja Matthes über Klima und Gendering: „Als Frau muss man robust sein“

Katja Matthes wird die erste Chefin des Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung. Ein Gespräch über Klima und männliches Dominanzverhalten.

Katha Matthes im Labor

Hat gelernt, männlichem Dominanzverhalten umzugehen: Katja Matthes Foto: Thomas Eisenkrätzer

taz: Frau Matthes, Sie erforschen „natürliche Klimavariabilität“. Können Sie das erklären?

Katja Matthes: Letztlich versuche ich den Klimawandel zu verstehen. Das heißt im ersten Schritt: begreifen, wie das Klima auf natürliche Art schwankt. Wenn wir das verstanden haben, können wir verlässlichere Vorhersagen über den vom Menschen verursachten Klimawandel treffen.

Die Verfasser des Buchs „Die kalte Sonne“ leugnen den Einfluss des Menschen und prognostizieren einen baldigen Temperatursturz.

In der Tat gibt es über dieses Buch bei meinen Vorträgen immer einige Diskussionen. Ich sage dann immer: Die Sonne wird uns nicht helfen, den Klimawandel zu beheben.

Warum nicht?

Dazu muss ich etwas ausholen: Der Klimawandel wird ja meist anhand der globalen Mitteltemperatur erklärt. Die steigt mit dem Klimawandel. In dem erwähnten Buch weisen die Autoren darauf hin, dass die Sonnenfleckenaktivität gerade aus einem Maximum in ein Minimum geht, was Abkühlung bedeutet und der Erwärmung entgegenlaufen würde. Auf die globale Mitteltemperatur hat die Sonne aber fast keine Auswirkung. Sie beeinflusst nur das Klima einzelner Regionen.

Warum erforschen auch Sie dann den Einfluss der Sonne?

Weil sie vermutlich den Takt angibt für natürliche Schwankungen im Klimasystem. Die nordatlantische Oszillation – ein Druckgebilde, das Tiefdruckgebiete über Island und Hochdruckgebiete über den Azoren erzeugt – schwankt. Die Stärke dieses Druckgefälles beeinflusst das Klima in Europa. Die Sonnenfleckenaktivität ist dabei ein Impuls – ähnlich einem Metronom – der in einem relativ regelmäßigen Zyklus von elf Jahren schwankt. Das führt dazu, dass es bei uns entweder etwas wärmer und feuchter wird oder etwas kühler und schneereicher.

44, Meteorologin, wird am 1. Oktober Chefin des Geomar-Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel, an dem sie seit 2012 – wie auch an der dortigen Christian-Albrechts-Uni – eine Professur hat.

Das heißt konkret?

Nach dem Sonnenfleckenminimum 2008 gab es 2010 und 2011 relativ strenge und schneereiche Winter in Europa. Die Sonnenfleckenzyklen sind also interessant für die Vorhersagbarkeit. Und in der Tat bewegen wir uns derzeit auf ein Sonnenfleckenminimum zu und können ein, zwei kältere Winter haben. Das heißt aber nicht, dass der Klimawandel Pause macht.

Und welche Rolle spielen die Ozeane?

Ozeane sind zentral für das Klima. Sie bedecken 70 Prozent der Erdoberfläche und transportieren als „Golfstrom“ Wärme aus den Tropen gen Norden. Insgesamt nimmt der Ozean 93 Prozent der Wärme des Klimawandels auf. In der Folge wird er wärmer und saurer, denn wenn man CO2 in Wasser löst, entsteht Kohlensäure. Außerdem steigt der Meeresspiegel durch das Abschmelzen von großen Eisschilden wie in Grönland.

Lässt sich dieser Prozess noch stoppen?

Nein, nur abmildern. Wir sind jetzt bei gut einem Grad globalem Temperaturanstieg. Wenn wir den, wie von der Politik geplant, auf 1,5 bis zwei Grad begrenzen wollen, müssen wir die CO2-Emissionen so schnell wie möglich stoppen.

Also sofort auf Null?

Das wäre am besten. Aber wir werden nicht von heute auf morgen komplett auf CO2-Ausstoß verzichten können. Die Industrie muss weiterlaufen. Auch die Verkehrswende braucht Zeit. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir C02 künstlich aus der Atmosphäre entfernen können, bis wir spätestens 2050 hoffentlich die Netto-Null-Emission haben.

Dafür haben Sie die umstrittene Methode des „Carbon Capture and Storage“ (CCS) vorgeschlagen. Was passiert da?

Es wird CO2 aus der Atmosphäre entfernt, verflüssigt und unter den Meeresboden gepresst. Aus der Atmosphäre holt man es dann zum Beispiel mit Hilfe künstlicher Bäume – Metallgestelle, die CO2 aus der Luft filtern, verflüssigen und im Untergrund verstauen. Besser wäre allerdings, direkt bei der Industrie anzusetzen und das CO2 gar nicht erst in die Atmosphäre zu entlassen, sondern aufzufangen, zu verflüssigen und in den Untergrund zu bringen.

Wohin genau käme das CO2?

Zum Beispiel in alte Gas- oder Öllagerstätten. Dafür gibt es bereits Testfelder unter der norwegischen Nordsee und unter Island. Dort hat man herausgefunden, dass CO2 in ein, zwei Jahren kristallin wird und also sicher verstaut ist. Trotzdem besteht die Sorge, dass das CO2 wieder ins Meer und die Atmosphäre gelangt. Deshalb ist die Methode in Deutschland umstritten und noch gesetzlich verboten. Der Klimaplan der Bundesregierung erwähnt allerdings die Möglichkeit, CCS weiter zu erforschen.

„Es ist schade, dass es 2020 noch ein besonders Ereignis ist, dass eine Frau die Leitung eines solchen Instituts übernimmt“

Weitere Lösungsvorschläge?

Ja. Ein soeben aufgelegtes Forschungsprogramm des Geomar untersucht, ob sich im Ozean Seegras-Wiesen anpflanzen lassen. Denn sie können – wie Algen und Plankton – auf natürliche Weise CO2 aufnehmen. Eine andere Möglichkeit wäre künstlicher Auftrieb. Dabei bringt man Wasser aus tieferen Ozeanschichten, das kälter und nährstoffreicher ist und CO2 gut aufnehmen kann, nach oben. Denkbar wäre auch eine Alkalisierung. Dabei streut man Gesteinsmehl auf Ozeane oder Felder; auch das erhöht die CO2-Aufnahme. Wie auch immer: Wer eine Methode fände, CO2 gefahrlos und effektiv aus der Atmosphäre zu entfernen und sicher zu verstauen, wäre sofort nobelpreisverdächtig.

Würde das nicht dazu verleiten, mehr CO2 auszustoßen?

Ja, und deshalb können das nur zusätzliche Anstrengungen sein. Letztlich brauchen wir eine zügige Energie- und Mobilitätswende – und eine weltweit klimaneutrale Wirtschaft bis 2050. Es wird nicht gehen, dass wir weiter SUVs fahren, Landwirtschaft und Industrie nicht nachhaltig gestalten. Diese Transformation muss natürlich von den Menschen getragen werden.

Haben Sie den Eindruck, dass Politik und Volk auf die Wissenschaft hören?

Ich habe den Eindruck, dass die „Fridays for Future“-Bewegung die Bereitschaft zur Veränderung in der Gesellschaft erhöht hat. Jetzt muss die Politik die Rahmenbedingungen setzen, und das finde ich zu zögerlich. Die Corona­krise hat gezeigt, dass Menschen, sobald sie eine persönliche Bedrohung spüren, bereit sind, etwa auf Mobilität zu verzichten. Das würde ich mir für den Umgang mit der Klimakrise, von der wir seit 30 Jahren wissen, auch wünschen.

Sind Sie manchmal deprimiert über den trägen Wandel?

Ja. Für die CO2-Bepreisung in Deutschland hatte die Wissenschaft zum Beispiel 38 bis 40 Euro pro Tonne vorgeschlagen – deutlich weniger als die 100 Euro in Schweden. Beschlossen hat die deutsche Politik dann zehn Euro. Das als Wissenschaftlerin zu sehen, ist schon frustrierend.

Und wie viel Frust gab es auf dem Weg an die Spitze des Geomar, dessen erste weibliche Führungskraft Sie sein werden?

Zunächst mal ist es schade, dass es 2020 noch ein besonders Ereignis ist, dass eine Frau die Leitung eines solchen Instituts übernimmt. Aber in der Tat sind Frauen immer noch unterrepräsentiert – nicht nur in der Forschung, sondern generell in den Führungsetagen. Auch am Geomar sind nur 20 Prozent der Professuren weiblich besetzt – was auch im internationalen Vergleich leider der Normalfall ist.

Woran liegt das?

Ich leite gerade ein EU-Projekt, das dieser Frage nachgeht. Vielleicht sind es die starken männlichen Netzwerke. Vielleicht gibt es zu wenig Frauen, die sich Führungspositionen zutrauen. Auch hier am Geomar versuchen wir Frauen zu rekrutieren, aber es ist immer noch schwierig – obwohl wir genug qualifizierte Frauen haben. Aber gerade in der Familiengründungsphase scheuen viele die Unsicherheit einer akademischen Laufbahn. Da muss man sich von einem Dreijahresvertrag zum anderen hangeln, und anders als im anglo-amerikanischen Raum gibt es keine langfristigen Lecturer-Stellen. Auch die verkrusteten Strukturen gerade im akademischen Bereich sind ein Hemmnis.

Verkrustet heißt?

Männerdominiert und von starrem Stellenzuschnitt: Eine Führungskraft hat mindestens 70 Stunden pro Woche zu arbeiten. Teilzeit-Modelle oder Führung im Team sind kaum implementiert. Länder wie Finnland und Schweden sind da zwar weiter, aber auch dort sind Führungspositionen an Universitäten nur zu 20 Prozent von Frauen besetzt.

Wie viel Druck mussten Sie selbst aushalten?

Ich hatte immer wieder das Gefühl: Als Frau muss ich mehr leisten als Männer in vergleichbaren Positionen. Abgesehen davon muss man robust sein und als einzige Frau in einem Meeting den Mut haben, seinen Standpunkt zu vertreten. Der Klassiker, den ich oft erlebt habe: Ich sage etwas, ein Mann sagt drei Minuten später das Gleiche, aber nur er wird gehört. Das zu ertragen ist mir nicht leicht gefallen. Inzwischen kann ich damit umgehen.

Hatten Sie professionelle Hilfe?

Ja. Ein Schlüsselerlebnis war die Teilnahme an zwei Mentoring-Programmen für Frauen. Da haben wir unter anderem den Umgang mit dem „unconcious bias“ – unbewusster Voreingenommenheit gegenüber Frauen – und dominantem Männerverhalten trainiert und erkannt, dass wir alle dasselbe Problem hatten. Danach habe ich mich stark auf die Wissenschaft fokussiert und inzwischen eine gute Balance gefunden.

Wie schaffen Sie die Balance zwischen Beruf und der Betreuung Ihrer drei Kinder?

Ich habe einen wunderbaren Mann, der mir zuliebe sehr zurückgesteckt hat. Er arbeitet in Teilzeit und kümmert sich sehr um die Kinder. Ohne diesen Rückhalt würde es nicht funktionieren.

Und wo verorten Sie sich als Forscherin in der Gesellschaft?

Man muss die Gesellschaft immer im Blick haben. Vielleicht war die Wissenschaft lange zu sehr auf sich fokussiert, aber das funktioniert auf Dauer nicht. Letztlich ist jede und jeder Rädchen im Getriebe. Es geht um ein Aufeinander-Achten, in puncto Klimawandel auch um die Bereitschaft zu verzichten. Wenn ich aber sehe, wie viel Kinder heute im beispielsweise Spielzeugschrank haben und welche Ansprüche sie stellen, wird mir Angst und bange. Dabei hat die Coronakrise gelehrt, dass das geht: bescheidener leben.

Wie bescheiden leben Ihre Kinder?

Auch sie haben zu viel Spielzeug, auch sie wollen dieselben Markenklamotten haben wie ihre Freunde. Aber wir haben immerhin geschafft, dass sie erst mit elf und 13 ein Smartphone bekamen – als Letzte in der Klasse. Irgendwann haben wir dem Druck nachgeben müssen, damit sie nicht zu Außenseitern werden.

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