Widerstand in Berlin: Der Kampf ums Paradies

Die Anarchist Queer Pride Rally und eine weitere Black-Lives-Matter-Kundgebung zeigen wie intersektionaler und internationaler Protest aussieht.

Eine Regenbogenflagge, die den Beitrag von trans, Schwarzen und Menschen of Color berücksichtigt Foto: Bojan Cvetanović/Wikipedia

„Der Traum ist aus“, sang der schwule Kreuzberger Protestpoet Rio Reiser in den Siebzigerjahren und sein Lied hallt bis heute nach. Hätte er überlebt, so würde Reiser in diesem Jahr siebzig Jahre alt werden. „Der Traum ist aus“ aber wuchert zum Jubiläum nur so von neuen Bedeutungsfacetten. Der Ausbruch der Corona-Pandemie etwa schien für viele das unwiderrufliche Ende der neoliberalen Illusion zu bedeuten, eine unsichtbare Hand würde Wohlstand schaffen, der zuletzt auch bis zu den Verletzlichsten in der Gesellschaft hinuntersickern würde.

Doch die Verletzlichsten trifft das Virus und die wirtschaftliche Delle besonders hart, während viele große Player profitieren können. Die Deutsche Wohnen etwa geht trotz Mietendeckel und Krise weiter auf Shopping-Tour in Berlin. Größter Einzelaktionär der Deutschen Wohnen wiederum ist Blackrock, der weltweit größte Vermögensverwalter.

Und während sich bei Amazon reihenweise Angestellte mit dem Virus infizieren, weil der Onlineversandhändler sie unzureichend schützt, fährt das Unternehmen Rekordumsätze ein und plant nach wie vor sein Zentrum für Abhörtechnik in Friedrichshain-Kreuzberg zu etablieren. Die Verdrängung im Bezirk und in der Stadt wird damit weiter vorangetrieben. Arbeiter*innen, die sich gegen die Arbeitsbedingungen bei Amazon auflehnen, müssen damit rechnen, ihre Jobs zu verlieren. Der Afroamerikaner Chris Smalls ist dafür nur ein besonders bekanntes Beispiel.

Auch der Traum Martin Luther Kings, dass eines Tages Hautfarbe nicht mehr die Grundlage für Ungleichbehandlung und Gewalt bilden würde, scheint durch den Polizeimord an George Floyd an ein weiteres Aus gekommen. Auch in Deutschland, auch in Berlin, wird das Ausmaß rassistischer Strukturen in den Sicherheitsbehörden immer sichtbarer.

Wo ist der Traum Wirklichkeit?

Gegen die sie unterdrückende Polizei wurden die queeren Personen of Color damals in der New Yorker Christopher Street aktiv. Auch ihr Traum, selbstbestimmt und frei leben zu können, wird nicht nur von der US-amerikanischen, sondern auch von der Regierung im knapp 100 Kilometer entfernten Polen torpediert. Und selbst in Berlin und Brandenburg ist er längst nicht für alle in Erfüllung gegangen.

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„Gibt es ein Land auf der Erde/Wo dieser Traum Wirklichkeit ist?“, sang Rio Reiser, „Ich weiß es wirklich nicht/ Ich weiß nur eins und da bin ich mir sicher/ Dieses Land ist es nicht /Dieses Land ist es nicht.“ Doch es gelte sich bereit zu machen, für den Kampf ums Paradies.

„Der Kampf für Befreiung ist intersektional und international“ heißt es im Aufruf zur Anarchist Queer Pride Rally am Samstag. „Solange es Klassenunterdrückung gibt, werden auch Queers unterdrückt bleiben, denn es gibt uns im ganzen sozialen Spektrum und in allen Ethnien, Formen, Farben, Geschlechtern und Altersklassen. Stonewall was a riot – we will not be quiet“ (Samstag, 27. Juni, 11 Uhr, Oranienplatz).

Zu Ehren von George Floyd soll es einen weiteren Black-Lives-Matter-Protest geben, dem sich auch die Anarchist Queer Pride Rally anschließen will (Samstag, 27. Juni, 12.30 Uhr, Großer Stern). Die Veranstaltenden der bisherigen Black-Lives-Matter-Kundgebungen hingegen verzichten auf weitere physische Aktionen, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren.

Amazon verhindern

„Unsere Kapazitäten fließen in die Unterstützung lokaler Organisationen wie International Women* Space und Women in Exile, in die langfristige Vernetzung und Zusammenarbeit mit der Schwarzen Community in Berlin und Deutschland, und in die Unterstützung von Protesten in den USA“, heißt es in einem Statement. Auf den Webeiten des International Women* Space und von Women in Exile finden sich Spendenmöglichkeiten.

Das Anti-Amazon-Café wiederum will ein Bezugspunkt für den informellen und selbstorganisierten Kampf gegen den „fortschreitenden technologischen Angriff und für ein selbstbestimmtes Leben“ sein. „Die Baustelle in Berlin wurde eben eröffnet, noch ist Zeit, Amazon zu verhindern“, heißt es in der Ankündigung. „Wir wollen gemeinsam Informationen über Amazon und den Bau des Towers sammeln und Kritik zusammentragen.“ Außerdem sollen Handlungsoptionen erkundet und in Angriff genommen werden (Sonntag, 28. Juni, 15 Uhr, Lohmühlenstr. 17).

Immer am ersten Mittwoch eines Monats bietet die Rote Hilfe Potsdam Beratung und Rechtshilfe an. „Die Rote Hilfe organisiert nach ihren Möglichkeiten die Solidarität für alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der BRD aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden.

Politische Betätigung in diesem Sinne ist z.B. das Eintreten für die Ziele der Arbeiterlnnenbewegung, der antifaschistische, antisexistische, antirassistische, demokratische oder gewerkschaftliche Kampf und der Kampf gegen die Kriegsgefahr“, so der Verein (Mittwoch, 1. Juli, 19 Uhr, Hermann-Elflein-Str. 32, Potsdam).

Es ist keine unsichtbare Hand, die den Traum verwirklicht. „Der Traum ist aus“, sang Reiser, „Aber ich werde alles geben, daß er Wirklichkeit wird.“

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Redakteur im Politik-Team der wochentaz. Schreibt öfter mal zu Themen queer durch die Kirchenbank. Macht auch Radio. Studium der Religions- und Kulturwissenschaft, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule. Mehr auf stefan-hunglinger.de

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