piwik no script img

Zeitfür drastische Maßnahmen

Die Coronakrise könnte die lange nötige Initialzündung für eine Verlegung der Papenburger Meyer-Werft an die Emsmündung sein. Damit bekäme nicht nur der zerstörte Fluss eine Zukunft, sondern auch die Region. Ein Plädoyer

Von Maike Aden

Kein Fluss in Deutschland ist so verschlissen wie die Ems. Schuld sind radikale Begradigungs- und Vertiefungsmaßnahmen, damit die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt hindurchmanövriert werden können, die weit im Binnenland von der Papenburger Meyer-Werft gebaut werden. Das Wasser, eine dicke, grau-braune Brühe, ist so sehr mit Schlick, Stickstoffen und Salz belastet, dass der Fluss in Teilen tot ist.

Das ist nicht nur ein riesiges Problem, weil es Touristen abschreckt oder die Küste und die Nordsee unter Stress setzt. Die Gefahren für die Menschen, die in der Region leben sind dramatisch. Sturmfluten, die durch den ansteigenden Meeresspiegel und Extremwetterlagen stärker und häufiger werden, können sich in dem geraden, tiefen Fluss zu verheerenden Überschwemmungen auswachsen. Natürlich ist da das Stauwerk Gandersum, doch wer sich dahinter sicher fühlt, muss sich nur vor Augen führen, dass die Allerheiligenflut 2006 nur 90 Zentimeter unter der oberen Kante der Verschlusskörper des Stauwerkes stand. Und dass das aufgehaltene Wasser vor den geschlossenen Toren erheblich höher aufläuft und die Menschen am Dollart bedroht.

Gegen die Vertiefungen und die Aufstauung der Ems, wenn wieder eines der schwimmenden Hotels in Richtung Nordsee ausläuft, gibt es regelmäßig Demonstrationen, Petitionen und Klagen. Doch diese werden, ebenso wie die Forderung, die Werft an die Küste zu verlegen, von der Politik hinweggefegt. Die Werft sei am jetzigen Standort ökonomisch zu wichtig für die Region.

Regelmäßig bestellen die Landkreise Leer und Emsland Gutachten, die das belegen sollen. Interessant ist vor allem, was nicht darin steht. Für die Frage nach der Bedeutung der Werft führen etwa die Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Schasse und Kai Ingwersen, die an der Leibniz-Universität in Hannover forschen, die Arbeitsplätze an, die direkt bei der Werft und durch Zulieferer in der Region entstehen. Hinzu kommen die induzierten Arbeitsplätze. Dahinter verbergen sich die Jobs, die es gibt, weil die Meyer-Mitarbeiter und Zulieferer in der Region Geld ausgeben.

Die Zahlen der Gutachter stammen von 2015. Wer all diese direkten, indirekten und induzierten Arbeitsplätze zusammenrechnet, kommt auf circa 21.800 Arbeitsplätze, die im In- und Ausland durch die Papenburger Meyer-Werft entstehen. Was nicht in dem Gutachten steht, ist jedoch, dass nur rund 16 Prozent dieser Arbeitsplätze im Emsland angesiedelt sind.

Es fokussiert sich zudem auf die Stammbelegschaft und die Zulieferer. Die Meyer-Werft beschäftigt jedoch einen immer größeren Anteil an Leiharbeitern aus dem Ausland, die zum Teil täglich aus Unterkünften in großer Entfernung zur Werft gefahren werden. Diese prekären Arbeitsverhältnisse machen inzwischen etwa die Hälfte der Belegschaft aus. Diese Arbeiter sind nicht in gleicher Weise standortgebunden wie die übrige Belegschaft.

Aber auch für die Kollegen, die fest in der Werft arbeiten und in der Umgebung leben, wäre es möglich, weiter für Meyer zu arbeiten, würde die Werft ganz oder teilweise an die Emsmündung verlegt. Jedes auch nur halbwegs intelligente Verkehrskonzept kann solche üblichen Pendler­entfernungen human und ökologisch verträglich gestalten.

Bezüglich der fiskalischen Effekte errechnen die Gutachter, dass die öffentlichen Haushalte von Bund, Land und Kommunen rund 58,5 Millionen Euro durch direkte und indirekte Steuern durch die Werft einnehmen. Wissenschaftlich nicht ganz redlich verschweigen sie jedoch die jährlichen Ausgaben ebenjener Haushalte für das Werftenprojekt im Binnenland. Allein die Ausbaggerungen und Begradigungen des Flusses, der Nebenarme und der Häfen sowie die Entsorgung des Schlicks kosten jährlich rund 35 bis 40 Millionen Euro. Auch Kosten für das Stauwerk, dickschiffkompatible Brücken, zusätzlich nötiger Küstenschutz und Fördermittel an die Werft finden keine Erwähnung.

Gleiches gilt für die Millionen Euro, die es kostet, die Schäden zu beheben, die durch die Eingriffe in die Natur entstehen: unterspülte Deiche, verschlickte Häfen und Nebenflüsse. Hinzu kommt noch der sogenannte Masterplan Ems. Dieses von Bund, Ländern, Kommunen, Umweltschutzorganisationen und der Meyer-Werft entwickelte Maßnahmenbündel soll sicherstellen, dass EU-Richtlinien zum Natur-, Gewässer- und Meeresschutz erfüllt und gleichzeitig Arbeitsplätze gesichert werden. Doch auch die Organisation mit einem Lenkungskreis, Gremien, Arbeitsgruppen und Aufträgen an Vertragspartner lässt Kosten entstehen. Last but not least müssen angedrohte Millionenstrafen wegen Nichteinhaltung mehrerer Naturschutzrichtlinien an die EU oder künftige Baumaßnahmen wie die Erhöhung der Strommasten an der Ems einkalkuliert werden.

Die Meyer-Werft selbst, behauptet, dass all das zu den üblichen Aufwendungen für Bundeswasserstraßen gehöre und daher über Steuern zu finanzieren sei. Mehr noch, seit ihrem Umzug nach Luxemburg ist sie nicht einmal mehr verpflichtet, Steuern für die erzielten Vermögen in Deutschland zu zahlen. Das Finanzamt beruft sich hierzu auf das Steuergeheimnis und schweigt. Die Werft behauptet, sie täte es trotzdem und habe mit dem Umzug nur die Einsetzung eines Aufsichtsrats verhindern wollen.

Ein quasireligiöser Mythos

Wenn also bei Einbeziehung aller Kosten zumindest unklar ist, ob die Meyer-Werft der Region tatsächlich mehr nützt als dass sie sie kostet, wie lässt sich dann der enorme politische Rückhalt erklären? Immerhin werden hier ein Fluss und alle Lebewesen, die in ihm leben, völlig zerstört und das Leben der nächsten Generationen durch Sturmfluten gefährdet. Diese Frage kann nur stellen, wer den Mythos Meyer nicht kennt. Er erzählt die Geschichte vom traditionsreichen, freundlichen Familienunternehmen mit Pioniergeist, das zum wirtschaftlichen Motor einer Region wurde, die lange das Armenhaus Deutschlands war.

Ohne Frage ist da auch etwas dran, aber wie alle Mythen verklärt auch dieser die Wirklichkeit. Wer die Sache nüchtern betrachtet, müsste über das Geschäftsgebaren der internationalen Konzerngruppe „Meyer Neptun Luxemburg“ sprechen, die eben beispielsweise auf Billiglöhner setzt. Doch die Ergebenheit der Meyer-Werft gegenüber hat in der Region schon eine quasireligiöse Komponente. Das zeigt der sogenannte Kreuzfahrtweg entlang der Ems. Es fängt beim Namen an, der ebenso an die Kreuzwege zum Gedenken an den Leidensweg Christi erinnert wie an die kriegerischen Kreuzfahrten im Namen religiös verschleierter Machtinteressen.

Rote Tafeln an zehn Stationen laden zum Gedenken ein. Mitnichten allerdings an den Leidensweg der Ems. Das Logo, ein metergroßer Kompass, zeigt sinnbildlich genau in die entgegengesetzte Richtung. Die Andacht gilt den technischen Details bei Fertigung und Ausstattung der schwimmenden Giganten sowie beim hoch komplizierten Durchmanövrieren durch den kleinen Fluss. Das Ganze gleicht der Heiligsprechung eines gerechten Feldzugs gegen die einstige Natur.

Kein Wunder also, dass auch in der Lenkungsgruppe des Masterplans Ems das allseits verehrte Unternehmen einen Sitz hat. Bei Mitglied Meyer liegt natürlich der Hase im Pfeffer. Einmal abgesehen davon, dass die Werft, die in siebter Generation von Bernard Meyer und seinen Söhnen geführt wird, jede Verantwortung für den desaströsen Zustand der Ems abstreitet, sind seine in Stein gemeißelten Gebote zu befolgen. Das oberste lautet: Der Standort in Papenburg ist heilig. Einen alternativen Standort an der Emsmündung lehnen die Meyers ab. Kommt dieses Thema zur Sprache, drohen sie vielmehr mit einem über 20 Jahre alten Gutachten, dem zufolge eine Werftverlegung nur an einen ausländischen Standort lukrativ wäre.

Das berücksichtigt natürlich nicht, dass Meyer mit dem Umzug nach Luxemburg sowie den ausländischen Leiharbeitern und Zuliefern in Papenburg längst Bedingungen geschaffen hat, die teilweise denen eines kostengünstigen Standortes im Ausland gleichen – und zwar ohne auf die regionale Machtposition verzichten zu müssen, die kaum ein behördlicher und politischer Entscheidungsträger anzukratzen wagt.

Millionenstrafe der EU droht

So will auch der Masterplanausschuss nicht am Standortgebot rütteln und propagiert die an Absurdität kaum zu überbietende Behauptung einer Gesundung der Ems bei ihrer unvermindert andauernden Zerstörung. Etwas anderes, als die Renaturierung voranzubringen, bleiben Niedersachsen und der Region aber ohnehin nicht übrig. Die EU hat bereits mit einer Millionenstrafe gedroht, da Deutschland an der Ems gegen mehrere Naturschutzrichtlinien verstößt. Die EU-Kommission hat sich aber mit dem Versprechen vertrösten lassen, dass sich Deutschland bis 2050 um die Sache kümmern werde. Bis dahin fließen noch viel Wasser beziehungsweise Schlick, Salz und Stickstoff die Ems runter, sodass keines der Mitglieder jemals für das Scheitern dieser Quadratur des Kreises verantwortlich gemacht werden kann.

Bedenkenlos können also Sohlschwellen, Tidespeicherbecken, Schlickbremsen im Stauwerk oder Dämme diskutiert, modelliert, getestet, begutachtet und wieder verworfen werden. Und wieder wird alles auf die Steuerzahler abgewälzt. Außer Spesen nichts gewesen, werden diese 2050 feststellen und die EU-Strafen zahlen müssen.

Der Masterplan Ems propagiert die an Absurdität kaum zu überbietende Behauptung einer Gesundung der Ems bei ihrer unvermindert andauernden Zerstörung

Alle Stimmen, die ein Umlenken fordern, rannten bislang gegen hermetisch abgeriegelte Türen. Ein Türöffner könnte jetzt die Pandemie sein: Sie hat die Kreuzfahrtindustrie zum Erliegen gebracht. Keine Kreuzfahrtreederei bestellt neue Schiffe. So negative wirtschaftliche Auswirkungen das auch auf die betroffenen Betriebe und Regionen haben mag, es birgt auch eine einmalige Chance. In Papenburg ist jetzt, während dieses erzwungenen Stillstands, die Zeit gekommen, um erneut eine (Teil-)Verlagerung der Werft an die Flussmündung und die Entwicklung ökologischerer Schiffskonzepte zu fordern.

Ein Neuanfang als Chance

Produktionseinbußen aufgrund einer Unterbrechung des laufenden Betriebs können keine Ausrede mehr für eine Werksverlegung sein. Statt die Stammbelegschaft mit Kurzarbeitergeld hinzuhalten oder in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, wären ihre Kompetenzen bei der betriebstechnischen Durchführung der Neustrukturierung gefragt. Das geplante Rettungspaket würde zur Krisenhilfe für die Beschäftigten, die Werft und die Ems. Die Politik müsste allerdings Auflagen für eine ökologischere Produktion formulieren.

Auch für die Region um Papenburg hätte ein Neuanfang Vorteile. Jene exorbitanten Mittel, die bisher aus verschiedenen Töpfen von Bund, Ländern und Landkreisen in zerstörerische Baumaßnahmen geflossen sind, könnten sinnvoller eingesetzt werden, um in der Region die Entwicklung einer weniger anfälligen, diversifizierten Wirtschaftsstruktur und Renaturierungsmaßnahmen voranzutreiben, die ihren Namen verdienen. Der Fluss würde sich erholen und mit ihm seine Häfen, Fischereien, Küstenbäder und die Lebensqualität im Umkreis.

Touristen wünschen sich genau das: eine intakte Umwelt und authentische Erfahrungen. Statt selbstversorgender Tagesausflügler, die zu den Schiffsüberführungen einschwärmen, könnten Wassersportler, Radwanderer, Familien und Kulturinteressierte ihren Urlaub in der Region verbringen und sich an dem hohen Erholungswert, der reichen Geschichte und den in ganz Ostfriesland verteilten Kultur- und Erlebnisorten erfreuen.

Gastronomie- und Hotelbetriebe, Privatvermieter, Gesundheits-, Sport- und Erholungseinrichtungen wie auch Verkehrsbetriebe an Land und auf dem Wasser bekämen Hilfen zur Modernisierung und würden zum Motor für Beschäftigung und Lebenskultur. Längst gibt es Zertifikate in der Tourismusbranche, die ökologisch nachhaltige Unterkünfte und Freizeitangebote auszeichnen. Vergleicht man dezentrale, ostfriesische Urlaubs­angebote in Sachen Wasser- und Luftverschmutzung, Energiebilanz, Städtezerstörung oder dem Lohnniveau der Angestellten mit Kreuzfahrtreisen, ist klar, wem die Zukunft gehört.

Es braucht visionäre Verantwortliche, die sich trauen, die Krise in eine Chance zu verwandeln. Die wissen, dass an dem Geschäft mit dem globalen Overtourismus nur ausgeflaggte Kreuzfahrtkonzerne verdienen, die Arbeits- und Sicherheitsstandards umgehen. Es braucht Verantwortliche, die erkannt haben, dass die Zeiten, in denen Tausende Urlauber auf Schiffe und in Städte gepresst werden, vorbei sind. Die den Blick heben, um die Region zu neuem kulturellem und wirtschaftlichen Leben zu erwecken.

Fast ist man versucht vorzuschlagen, sich ein Beispiel am Pioniergeist einer Werft namens Meyer zu nehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen