Andere Sichtweisen: Was uns trennt beim Reisen

Wir reisen auch in fremde Länder, um andere Einblicke zu erfahren. Doch nicht alles, was unsere Reisebekanntschaften erzählen, gefällt uns auch.

Ein rot-weiß-gestreifter Schlagbaum.

Trotz offener Grenzen, die Topthemen der Zwietracht: Migration, Feminismus oder die EU Foto: blickwinkel/imago

Seine erste Frage, als wir sagen, dass wir aus Deutschland sind, heißt: „Und, wie läuft es bei euch mit den Flüchtlingen?“ Der Unterton ist eher so, als nehme er an, dass es nicht so läuft. Wir fahren, das ist noch vor Corona, über schmale Straßen im polnischen Norden nicht weit von der Küste, an winzigen, verschlafenen Dörfern und an grellen Ferienorten vorbei. Er ist ein junger Pole, der selbst hier Urlaub macht, Familienvater, gutes Englisch.

Wie wir im Auto des polnischen Feriengastes gelandet sind, ist für den Fortgang nicht wirklich relevant, aber um es kurz zu erwähnen, mein Freund hatte in einer Dorfpizzeria einen Hexenschuss und verbrachte den Nachmittag dort in Käferhaltung auf dem Rücken mit hochgestreckten Beinen.

Weil es im Dorf keinen Arzt gab, kam ein Krankenwagen aus der nächsten Stadt, und nachdem die Pizzeria den sicherlich spektakulärsten Tag ihrer Geschichte erlebt hatte, bot der Tischnachbar an, uns mitzunehmen. So sind wir im Auto gelandet.

Von der Welt außerhalb Polens hat er nicht viel gesehen, außer Großbritannien, dahin sind Freunde emigriert. Über Deutschland hat er vor allem das mit den Flüchtlingen gehört, „Muslime“, „kriminell“, solche Dinge. Was wir davon hielten?

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Wir reisen, um mit anderen Sichtweisen konfrontiert zu werden. Gut, Instagrammer behaupten das gar nicht erst, die meisten anderen jungen Reisenden schon. Und suchen doch, und nachvollziehbar, vor allem die ihnen Gleichen. Denn andere Begegnungen erzählen auch davon, was uns trennt. Die Top-drei-Themen für kuschelige Einigkeit: Fußball, Essen und Trinken und Donald Trump. Das funktioniert immer.

Die Topthemen der Zwietracht: Migration. Feminismus. Oder die EU. Die Skepsis des polnischen Begleiters erinnerte mich an einen früheren Freund aus Polen, nennen wir ihn Piotr. Ein Studententyp, Backpacker, der viel im Ausland lebte, aber seine Meinung distanzierte ihn scharf von ähnlichen Westmilieus.

„In zwanzig Jahren wird in Europa die Scharia herrschen.“ – „Die naiven Westeuropäer lassen sich von Muslimen überrennen.“ – „Wenn eine Frau Nein sagt, meint sie doch eigentlich Ja.“

Christentum war ihm egal

Gleichzeitig waren seine Ansichten, wie die der meisten Menschen, komplexer als rechte Schablonen, Schwulenrechte fand er wichtig, das Christentum war ihm egal. Piotr sah Risiken, die weder ich noch der linke Mainstream damals sahen, die Gefahren der Parallelgesellschaft, des konservativen Islam, die Naivität in Teilen der Willkommenskultur.

Und er war wie ich oft nicht in der Lage, Widersprüche im eigenen Denken zu sehen, ein privilegierter Migrant, der anderen sein Privileg nicht zugestand. Einmal erzählte er, wie ihnen in der Schule eingetrichtert worden sei, Polen könne erneut von fremden Mächten überrannt werden. Wohl kämen daher seine Sorgen. Weniger war es Hass, es war Angst, die ihn trieb.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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