Mysteriöses Fischsterben: Störe in Frieden

An der Elbmündung wurden zahlreiche tote Fische angeschwemmt, die Elbvertiefung könnte Schuld sein. Mysteriöser sind die Funde toter Jung-Heringe.

Ein toter Stör, gut einen Meter lang, liegt am Strand bei Otterndorf

Der Tod dieses Störs bei Otterndorf gibt Fragen auf, der Tod von tausenden Heringen sogar Rätsel Foto: Rolf Schuhmacher

CUXHAVEN/HAMBURG/HUSUM taz | Ein großer Stör, über einen Meter lang. Ausgewachsene Aale. Ein Schweinswal. Und viele junge Heringe, Tausende davon: In den vergangenen Tagen wurden an der Nordsee immer wieder tote Fische gemeldet.

Viele davon wurden an der Elbmündung angeschwemmt. Auch wenn noch viele Fragen offen sind: Die Umweltverbände WWF, BUND und Nabu, die sich im Bündnis „Lebendige Tideelbe“ zusammengeschlossen haben, haben schon mal Klage gegen unbekannt erhoben und fordern Aufklärung.

Die Schuld vermuten sie unter anderem bei der Elbvertiefung, die die Umweltverbände schon lange kritisieren. Seit dem vergangenen Juli ziehen Saugbagger Schlamm vom Grund der Elbe und verklappen ihn unter Wasser am sogenannten Neufelder Sand westlich von Brunsbüttel in Schleswig-Holstein. Insgesamt 38 Millionen Kubikmeter Schlick werden so versetzt.

Ein großer Teil der toten Fische wurde laut WWF-Referentin Beatrice Claus im Umkreis von zwei Kilometern des Neufelder Sands gefunden. Ihre Vermutung ist, dass die Tiere nicht von dort stammen, sondern von Baggerschiffen aufgesogen wurden und ihre Kadaver gemeinsam mit dem Sand abgelagert wurden. Viele der Fische, besonders die größeren, hatten laut Paul Schmid vom BUND Hamburg zudem Verletzungen. „Da ist es naheliegend, dass mechanische Geräte schuld sein könnten“, so Schmid.

Die Behörden nennen keine Zahlen

Der Stör etwa wurde mit einer Rückenverletzung aufgefunden; dass das Tier mit über einem Meter Länge überhaupt an der Mündung lebte, „ist an sich schon eine tolle Tatsache“, sagt Biologin Claus, „der war schon viele Jahre alt. Schade, dass es jetzt mit ihm vorbei ist“. Der Stör war in Mitteleuropa ausgestorben und wurde erst seit 2006 wieder in der Elbe angesiedelt.

Wie viele Tiere an der Elbmündung tatsächlich gefunden wurden, ist bisher nicht bekannt: Das zuständige Institut für Fisch und Fischereiprodukte Laves aus Cuxhaven, das die Meldungen zusammenführen soll, verweist aufs Umweltministerium in Niedersachsen, das wiederum auf den Landkreis Cuxhaven, der sich seinerseits bis Redaktionsschluss gar nicht geäußert hat. Auch zum Zustand der Tiere gibt es keine offiziellen Mitteilungen. Biologin Claus geht zumindest nicht davon aus, dass die Menge an Fischkadavern eine echte Gefahr fürs Ökosystem darstellt: „Viele Möwen finden da ihr Futter.“

Da die Umweltverbände Anzeige erstattet haben, werden die Ursachen fürs Fischsterben nun auch von der Wasserschutzpolizei in Hamburg und Cuxhaven untersucht. Bis man Genaueres weiß, fordert das Bündnis „Lebendige Tideelbe“, die Baggerarbeiten an der Elbmündung einzustellen.

Statt der zuständigen Hamburg Port Authority und der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt antwortet die Stadt Hamburg auf die taz-Anfrage zu der Forderung: Die Behörde für Wirtschaft und Innovation beschränkt sich zunächst auf die Erklärung, die Ursachen für das Fischesterben seien noch nicht bekannt. Erst auf nochmalige Nachfrage heißt es: „Die Baggerarbeiten auf Hamburger Gebiet werden nicht eingestellt.“

Das Sterben der Heringe hat andere Gründe

Für BUND-Mann Schmid ist das keine Überraschung: „Es ist bedauerlich, aber wirtschaftliche Argumente stehen fast immer über dem Schutz der Natur.“ Erst vor vier Wochen hatte ein Gericht eine Klage gegen die Elbvertiefung abgelehnt. Auch falls Sauerstoffmangel der Grund für das Fischsterben ist, sieht Schmid die Schuld bei den Vertiefungsarbeiten, „schließlich führt das Baggern zu Trübung und Sauerstoffzehrung“.

Das sieht Biologe Rainer Borcherding von der Schutzstation Wattenmeer ähnlich: „Bei diesen Temperaturen so eine Menge Schlick aufzuwirbeln, ist für ein Ökosystem einfach eine Schwachsinnsidee.“ Zurzeit hat er aber ein ganz anderes Rätsel zu lösen: Denn nicht nur an der Elbmündung, sondern an der gesamten westlichen Nordseeküste werden seit dem Wochenende tote Jungheringe an den Stränden gemeldet.

Rainer Borcherding, Biologe der Schutzstation Wattenmeer, über das Heringssterben in der Nordsee

„Das ist ungewöhnlich. Bisher fällt uns allen nichts Vergleichbares ein“

Dass die toten Heringe mit den toten Fischen an der Elbe zusammenhängen, glaubt Borcherding nicht – dafür sind sie zu weit verteilt, Funde gibt es bis hoch nach Sylt, auf den Halligen, und an der Wesermündung. Tausende, vielleicht auch ein paar Zehntausende von ihnen wurden angeschwemmt. „Das heißt erst mal nichts, im Meer schwimmen ein paar Millionen. Aber wir wissen bisher nicht, was unter Wasser los ist.“

Was die Ursache für den Tod der jungen Heringe ist, weiß Borcherding nicht. Sauerstoffmangel und giftige Algen hätten vermutlich auch andere Jungfische getroffen. Fischbiologen, mit denen er sich ausgetauscht habe, gingen am ehesten von einer Krankheit der Heringe aus – die allerdings wäre sehr plötzlich gekommen und hätte sich schnell ausgebreitet. „Das ist ungewöhnlich“, so Borcherding. „Bisher fällt uns allen nichts Vergleichbares ein.“

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