: Dieselskandal: VW muss Kunden entschädigen
Der Konzern habe Käufer sittenwidrig geschädigt, urteilt der Bundesgerichtshof. Aber die bisherige Nutzungszeit könne sich der Hersteller auf Rückzahlungen anrechnen lassen
Aus Karlsruhe Christian Rath
VW hat die Käufer von Dieselfahrzeugen mit dem Motor EA 189 vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Dies stellte an diesem Montag der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil fest.
Im konkreten Fall hatte der Rentner Herbert Gilbert gegen den Autokonzern geklagt. Er hatte 2014 einen gebrauchten VW Sharan gekauft. Als er erfuhr, dass auch bei seinem Fahrzeug die Abgassteuerung des Motors manipuliert war, verklagte er VW auf Rückzahlung des Kaufpreises. Motoren der Baureihe EA 189 haben nur auf dem Prüfstand die Abgase normal gereinigt, nicht aber im normalen Straßengebrauch.
Der BGH bestätigte nun das Urteil der Vorinstanz. Gilbert habe Anspruch auf Schadenersatz, weil der Konzern ihn (und alle anderen Käufer dieser Diesel-Baureihe) „vorsätzlich sittenwidrig“ geschädig habe. Die Manipulation der Abgassoftware sei sittenwidrig, so der Vorsitzende Richter Stephan Seiters, weil VW im Zuge einer „grundlegenden strategischen Entscheidung“ das Kraftfahrbundesamt als Zulassungsstelle „arglistig getäuscht“ habe. VW habe damit Kosten sparen und den eigenen Gewinn erhöhen wollen. Dabei seien VW die gesetzlichen Vorschriften zum Umwelt- und Gesundheitsschutz „gleichgültig“ gewesen. Die manipulierten Dieselmotoren könnten die gesetzlichen Grenzwerte im Straßenbetrieb nicht einhalten, so Richter Seiters.
Der Schaden Gilberts bestand laut BGH schon im Kauf des Fahrzeugs, das er nicht ausgewählt hätte, wenn ihm die Manipulation bekannt gewesen wäre. Dass VW dem Rentner im Februar 2017 ein Software-Update zur Verfügung stellte, habe den ursprünglichen Schaden nicht beseitigt. Denn zum Zeitpunkt des Kaufs sei unklar gewesen, so Richter Seiters, ob und wann VW den Mangel beheben könne. Über ein Jahr habe Gilbert das Risiko tragen müssen, dass sein Fahrzeug vom Kraftfahrtbundesamt aus dem Verkehr gezogen wird.
VW muss daher den Sharan zurücknehmen, und Gilbert hat grundsätzlich Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von rund 31.000 Euro. Allerdings muss er sich die zwischenzeitliche Fahrleistung von rund 50.000 Kilometern als „Nutzungsersatz“ abziehen lassen. Er bekommt deshalb nur rund 25.600 Euro zurück. Seine Anwälte hatten den Abzug von Nutzungsersatz wegen der illegalen VW-Manipulationen als „unbillig“ abgelehnt. Doch der BGH folgte dem nicht. Im deutschen Recht werde nur der reale Schaden ersetzt, es gebe keinen Straf-Schadenersatz wie im US-Recht.
Von rund 130.000 Individualklagen gegen VW sind nach einer Aufstellung von VW noch rund 60.000 Verfahren offen. Hier bot VW den Klägern direkt nach der Verhandlung eine „Einmalzahlung“ in nicht näher bezifferter Höhe an, um die Verfahren abzuschließen. Der Konzern will offensichtlich verhindern, dass er mitten in der Coronakrise Zehntausende Fahrzeuge zurücknehmen muss. Neue Klagen seien sinnlos, so eine VW-Anwältin, weil der Vorgang längst verjährt sei.
Kläger hofft auf Europäischen Gerichtshof
Claus Goldenstein, der Anwalt des Klägers, hofft auf ein Verfahren am Europäischen Gerichtshof, bei dem die Abschaltung der Abgasreinigung generell als unzulässige Manipulation eingestuft werden könnte. „Dann beginnt die Verjährung neu zu laufen“, erklärte Goldenstein. Verbraucherschützer sehen das aber eher skeptisch.
Auf die Musterfeststellungsklage gegen VW, die mit einem Vergleich zugunsten von 240.000 VW-Käufern endete, hat das BGH-Urteil keine Auswirkungen.
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