corona in hamburg: „Masken erhöhen die Barrieren“
Ralph Raule
53, ist Vorsitzender des Gehörlosenverbands Hamburg e.V. und gehörlos.
Interview Michelle Bauermeister
taz: Herr Raule, ab heute gilt in Hamburg Maskenpflicht im Nahverkehr und in Geschäften. Ist dabei an die Bedürfnisse gehörloser Menschen gedacht worden?
Ralph Raule: Viele Gehörlose haben Angst und Sorge, weil ihre Kommunikation stark eingeschränkt ist. Es bleibt ihnen nur das Lippenlesen, das macht 30 bis 40 Prozent der Kommunikation aus. Wenn das Gesichtsfeld mit einer Maske verdeckt ist, fällt diese Kommunikationsform weg. Wir wollen unseren Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten. Aber durch die Masken entstehen für uns noch größere Barrieren. Vor allem ältere Gehörlose sind betroffen: Sie haben weder Internet noch Kontaktmöglichkeiten. Da fehlt die Gebärdensprache komplett, sie sind abgeschnitten von der Außenwelt.
Wie könnte Kommunikation wieder barriereärmer werden?
Wir fordern Masken mit einem transparenten Gesichtsfeld und erwarten Unterstützung seitens der Stadt. Wir fordern, dass Menschen in systemrelevanten Berufen diese Masken haben. Aber ich glaube, es ist noch ein weiter Weg, bis Verständnis auftaucht.
Wie treten Gebärdendolmetscher*innen nun mit Gehörlosen in Kontakt?
Gehörlose haben ein Anrecht auf eine*n Gebärdensprachdolmetscher*in, wenn sie Krankenhäuser oder Arztpraxen besuchen. Das wird von der Krankenkasse bezahlt. Jetzt sieht die Situation anders aus. Aufgrund der Abstandsregelung dürfen wir nicht mit einer zweiten Person erscheinen. Grundsätzlich wird darauf verwiesen, zunächst telefonischen Kontakt mit einer Praxis aufzunehmen und die Symptome abklären zu lassen. Erst dann soll man in die Praxis gehen. Diese Option haben Gehörlose nicht. Und die Krankenkassen lehnen die Bezahlung des Ferndolmetschens ab.
Ist Gebärdensprache in der Krise sichtbarer geworden?
Die Reden der Bundeskanzlerin werden immer noch ohne Gebärdensprachendolmetscher*in live übertragen. Auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat Probleme, das Thema Gebärdensprache umzusetzen. Der Bildausschnitt wird oft so gewählt, dass Dolmetscher*innen nicht mehr zu sehen sind. Die Situation ist schon besser geworden, weil die Notwendigkeit anerkannt wurde. Aber in anderen Ländern sind Gebärdensprachdolmetscher*innen üblicher. In Deutschland hat man große Schwierigkeiten.
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