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Corona und DemonstrationsrechtRuhe im Karton

Coronaverordnungen schränken politischen Protest ein. Auf die Gelegenheit, Versammlungen ganz zu verbieten, scheinen einige nur gewartet zu haben.

Kundgebung mit Distanz – das geht und muss erlaubt sein Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Es sind Szenen, die man nur aus autoritären Polizeistaaten kennt: Eine einzelne Frau mit einem umgehängten Protestschild wird am Sonntag vor dem Brandenburger Tor von Polizisten umringt. Sie muss ihre Daten abgeben und erhält eine Anzeige wegen Verstoßes gegen die Coronaverordnung und das Versammlungsgesetz. Sie bleibt nicht die Einzige. Dasselbe passiert Menschen, die unter Einhaltung der Abstandsregelungen am Hamburger Fischmarkt mit Kreide ihre Botschaften für eine humane Flüchtlingspolitik auf den Boden schreiben wollen.

In Frankfurt/Main wird eine Ansammlung von DemonstrantInnen im Rahmen des #LeaveNoOneBehind-Aktionstages zur Evakuierung der griechischen Flüchtlingslager aufgelöst, obwohl sie penibel einen Zwei-Meter-Abstand zueinander einhalten. In Berlin unterbinden Polizisten sogar eine Auto-Demonstration.

Landesweit entfernt die Polizei im öffentlichen Raum angebrachte Protestplakate oder abgestellte Schuhe. Was sich die Protestierenden auch haben einfallen lassen, um dem Infektionsschutz gerecht zu werden und dennoch ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen, sie scheiterten an einer autoritär agierenden Ordnungsmacht.

Weder die OrganisatorInnen der Proteste noch andere vernunftbegabte Menschen haben infrage gestellt, dass Menschenansammlungen aufgrund der sich weiter ausbreitenden Coronapandemie derzeit verboten sind. Nur sind Demonstrationen oder Kundgebungen keine Ansammlungen wie jede andere, keine Grillparty im Park und auch kein Fußballspiel. Sie obliegen dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, Artikel 8.

Eine Einschränkung ist möglich, die gänzliche Abschaffung, wie man sie de facto derzeit auf den Straßen beobachten muss, jedoch ausgeschlossen. Dafür sorgt schon die im Grundgesetz enthaltene Ewigkeitsgarantie, die eine Antastung der Grundrechte untersagt. Inzwischen muss man trotzdem befürchten: Ewig war gestern.

Niemals zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik sind Grund- und Freiheitsrechte so massiv und flächendeckend eingeschränkt worden wie derzeit. Selbst gegen die 1968 beschlossenen Notstandsgesetze konnte noch demonstriert werden. Doch weil die nun verfügten Verbote vorgeblich der Rettung von Menschenleben dienen, ist die Bereitschaft in der Bevölkerung, diese mitzutragen, groß. In demütiger deutscher Tradition wird der imaginierten Allparteienkoalition, die in den Bundesländern für die Restriktionen verantwortlich ist, gefolgt. Dabei überschreiten die Landesregierungen mit den – noch nicht mal durch Parlamente abgesegneten – pauschalen Versammlungsverboten ihre Kompetenzen.

Es geht auch anders

Dass Verwaltungsgerichte in Hamburg und Berlin Eilanträge gegen die Demonstrationsverbote abgewiesen haben, heißt im Übrigen nicht, dass diese nicht rechtswidrig sind. Ein Grundsatzurteil fehlt. Dabei ist offenkundig: Der Versuch, per Verordnung, höher gestelltes (Versammlungs-)Recht oder gar das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuhebeln, ist nicht möglich.

Rechtlich haltbar sind dagegen Auflagen, die etwa die Beachtung des Infektionsschutzgesetzes vorschreiben. Zu Gesprächen über mögliche sichere Protestformen kam es aber in den erwähnten Fällen gar nicht erst. Versammlungsbehörde und Polizei scheint es ganz recht zu sein, sich auf die Position des Totalverbots zurückziehen zu können. Endlich ist Ruhe im Karton.

Es geht selbstverständlich auch anders, wie das Beispiel Bremen zeigt. Die dort erlassene Corona-Rechtsverordnung nimmt „öffentliche und nichtöffentliche Versammlungen nach Art. 8 GG“ von einem Verbot aus. In Münster durfte – nach einer Klage vor dem Verwaltungsgericht – am Montag eine Kundgebung gegen einen Uranmülltransport stattfinden. Etwa 80 Menschen hielten sich dabei an die Auflagen; sie demonstrierten mit einem Abstand von mindestens 1,50 Meter zueinander und mit Atemschutzmasken – im Gegensatz zu den eingesetzten PolizistInnen.

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8 Kommentare

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  • was ein Glück sind rechtsnationale in der Exekutive nur Einzelfälle.

    Ach ja, vielleicht sollte man dem Wähler (zumindest denen die bei S21, G20, Hambi,... der Polizeigewalt zugestimmt haben) einmal klar machen: dieser Verlust von Rechten, das ist genau das für was ihr stimmt, wenn man beim schwarzen Block sein Kreuz macht!

  • Da zeigt sich ganz einfach welch Rechtsauffassung und Rechtswillen die jeweiligen Einsatzkräfte und Verwaltungen haben.



    Das Verhalten der Exekutive (Polizei, wie Verwaltung) gibt schon seit Jahren kein gutes Bild zu unserer Demokratie ab. Da besteht massiver Schulungsbedarf.



    Und dieser "vorauseilende Gehorsam" sollte nach vielen Jahrzehnten doch endlich Geschichte sein.

  • Bundesregierung, Landesregierungen und Kommunen agieren in einer verfassungsrechtlichen Grauzone und vermutlich teils schon verfassungswidrig. Grundsatzurteile fehlen. Entscheidende Grundrechte gelten ewig und dürfen nicht aufgehoben, nur ggf. eingeschränkt werden. Zum ersten Mal in der Geschichte des GG nähert man sich dem §20 Abs.4, zu dem es nur eine Entscheidung geben soll von Karlsruhe, 1956 zum KPD-Verbot,



    wozu aber u.a. der Rechtsweg ausgeschöpft sein muß. Es muß möglich sein z.B. gegen unverhältnismäßige



    Corona-Maßnahmen zu demonstrieren, ggf. unter Auflagen, was sicher nicht ausbleibt, wenn weiter gemauert und keine Exitstrategie vorgelegt wird. Mit einer Strategie des ewigen Hinhaltens tun sich Merkel & Co. keinen Gefallen.

  • Genau deswegen sind die Proteste Wichtig und Richtig.

    Die Regierung hat genau das geschafft was sie beabsichtigte, die Bürger durch Angst mundtot zu machen. Das interne Schreiben von Ende März aus dem Innenministerium belegt genau das.

    www.focus.de/polit...n_id_11851227.html

    fragdenstaat.de/do...ontrolle-bekommen/

  • Die autoritäre Staatspolizei haben wir also schon in den meisten Bundesländern, da brauchen wir nur noch einen autoritären Innenminister a la Göring in Preußen und ganz ohne Notstandsgesetze wird die Demokratie ausgehebelt und ein autoritäres Regime installiert. Selbst Orban brauchte dazu noch ein neues Gesetz aber wir haben das Gesetz schon und können unserer Grundrechte beraubt werden bis die Regierung der Meinung ist die Gefahr sei vorüber und keiner kann gegen diese Meinung demonstrieren.



    Das Infektionsschutzgesetz ist insofern ein Ermächtigungsgesetz der Exekutive mit dem sich die Legislative im Fall der Aktivierung des Gesetzes also zur Zeit selbst vollständig seiner Rechte beschnitten hat und dies auch nicht ändern kann solange die Exekutive es nicht zu lässt. Es wäre interessant und auch sehr wichtig zu sehen ob die Judikative in Person des Bundesverfassungsgerichts sich traut diesem Spuk ein Ende zu machen oder ob diese inzwischen auch kalt gestellt ist bzw. sich keine Gegenwehr mehr traut da sie damit rechnen muss, dass die Exekutive ihre Urteile nicht mehr anerkennt.



    Sollten wir aus dieser ganzen Situation ohne einen bleibend autoritären Staat herauskommen muss die allererste Aufgabe des Parlaments sein dieses Infektionsschutzgesetz komplett zu überarbeiten und verfassungskonform und sicher gegen autoritäre Nutzung zu machen.

  • Ja, das ist mir auch aufgefallen.

    Am Anfang habe ich ja noch die Stimmen, die eine Bedrohung unserer Grundrechte durch die momentanen Eischränkungen befürchten für übertrieben.

    Ich hatte offensichtlich das massive autoritäre Potenzial, dass in Innenbehörden und Polizei schlummert (mal wieder!) hoffnungslos überschätzt.

    Liebe Polizei, liebe Innenministerien: am Ende des Tages seid Ihr auf breite Akzeptanz in der Bevölkerung angewiesen. Ihr tut Euch selbst keinen Gefallen damit.

    • @tomás zerolo:

      Lieber Tomás, Sie haben wohl eher das massive autoritäre Potenzial unterschätzt! Hätten Sie es überschätzt, brauchten Sie sich jetzt nicht zu wundern.

      • @Wilfried Bergmann:

        Sehr richtig bemerkt, danke für die Korrektur :-)