Abgesagte Fußball-EM: Die Hackordnung

Corona hin oder her: Wenn die Männer für ihre EM einen neuen Termin suchen, haben die Fußballkonzerne Vortritt.

Ein Fußball mit dem Aufdruck EM 2020.

Schon in großer Zahl produziert: Bälle der verschobenen Fußball-EM der Männer Foto: Matthias Balk/dpa

Als die paar Dutzend Herren, die sich für die Personifizierung des europäischen Fußballs halten, am Dienstag ihre Videokonferenz beendet und die Verschiebung der Europameisterschaft von diesem auf den nächsten Sommer verkündet hatten, da war viel von „Alternativlosigkeit“ die Rede. Mag sein, die Coronakrise duldet ja wirklich keinen Aufschub mehr beim „social distancing“. Aber dafür, dass anscheinend keine andere Entscheidung möglich war, hat sich der europäische Fußballverband Uefa bemerkenswert lange gegen sie gesträubt. Das liegt daran, dass es ihm nicht um den Gesundheitsschutz in den Stadien ging, sondern darum, wie die jeweiligen Akteure – Verbände, nationale Ligen, Klubs – durch die Krise kommen und vielleicht noch, kleiner Krisengewinn, danach noch besser aufgestellt sind.

Die EM gehört zu den Goldeseln der Uefa, mit Verkauf von Fernseh- und Sponsorenrechten wurde sie reich. Große Klubs wie der FC Liverpool, Bayern München oder Paris Saint-Germain machen mit einer EM kein Geld. Für die gibt es die Uefa Champions League, bei der 2019 über 2 Milliarden Euro an die Klubs ausgeschüttet wurden. Dennoch drohen die Großen der Branche immer wieder damit, eine eigene Liga zu organisieren, um noch mehr zu kassieren. Für die Spitzenklubs gibt es zudem ab 2021 die neue Klub-WM der Fifa – mit 1 Milliarde Dollar Preisgeld.

Um beim Reibach mitzumachen, hat die Uefa vor nicht allzu langer Zeit die Nations League für Auswahlteams eingeführt. Damit hat sie aktiv dazu beigetragen, dass der internationale Fußballterminkalender voller und voller und sportlich eigentlich nicht mehr vertretbar ist: WM und EM mit immer größeren Teilnehmerfeldern, Champions und Europa League, Klub-WM und Nations League, Liga- und Pokalwettbewerbe, dazu noch PR-Spiele auf Kontinenten, die für den Fußball-TV- und Merchandising-Markt erschlossen werden sollen.

Diese unglaubliche Fülle an Terminen wäre dem Profifußball wegen der Coronakrise nun beinah um die Ohren geflogen: Rückt die EM nämlich ins nächste Jahr, muss die Fifa-Klub-WM, die genau dann stattfinden sollte, umplanen. Zudem gibt es Terminprobleme mit der gleichfalls für den Sommer geplanten Frauen-EM und der U21-EM.

Das ist der Kern der Uefa-Entscheidung vom Dienstag: Wenn der Männerfußball für seine EM einen neuen Termin sucht, müssen alle anderen weichen. Die Hackordnung lautet: Am wichtigsten sind die großen Fußballkonzerne; danach kommen Uefa und Landesverbände mit ihren Nationalmannschaften; dann der Rest mit Frauen, Jungen, Mädchen. Und an weitere gesellschaftliche Gruppen, die auch Fußball spielen, wird wie selbstverständlich gar nicht mehr erst gedacht, denn die rechnen sich nicht.

Nach der EM- kommt die Olympiadebatte. Noch heißt es, die Spiele im Sommer fänden in Tokio statt. Aber noch tüftelt das IOC ja sehr ähnlich an der Rettung seines Geschäftsmodells, wie es die Uefa schon getan hat.

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Jahrgang 1964, Mitarbeiter des taz-Sports schon seit 1989, beschäftigt sich vor allem mit Fußball, Boxen, Sportpolitik, -soziologie und -geschichte

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