Hate-Speech-Kontroverse im Deutschrap: Unterschiedliche Ekelgrade

Nach einer Kampagne von Terre des Femmes bedroht der Rapper Fler Frauen und den Comedian Shahak Shapira. Wie verroht ist deutscher HipHop?

Shahak Shapira verzeiht sein Gesicht.

Shahak Shapira hilft Frauen, die von Fler bedroht werden Foto: imago

BERLIN taz | Vor einigen Tagen lancierte die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes eine Kampagne gegen frauenverachtenden Hate Speech unter dem Hashtag #unhatewomen. Im Fokus – mal wieder – Songtexte diverser Deutschrapper. Darunter auch der selbsternannte „Deutscha Bad Boy“ Fler. Was folgte, hatten die Kampagnenplaner*innen wahrscheinlich nicht einkalkuliert. Es führt aber vor, wie groß das Problem Sexismus nicht nur innerhalb der Rap-Szene, sondern in unserer Gesellschaft insgesamt ist. Frauen werden gezielt zum Schweigen gebracht, das muss endlich anerkannt und vor allem geändert werden.

Aber der Reihe nach. Eine Frau verlinkte Fler in einer Instagram-Story zur Kampagne. Daraufhin beleidigte und bedrohte er sie in privaten Nachrichten. Auch andere Frauen, die die Kampagne unterstützten, erhielten Nachrichten. Schließlich setzte Fler sogar via Instagram ein Kopfgeld auf eine der Frauen, Olivia B., aus. Die Betroffene wendete sich hilfesuchend an den jüdischen Comedian Shahak Shapira, der schon in der Vergangenheit virtuelle Glaubenskämpfe mit Fler ausgetragen hatte. Shapira machte Flers Drohgebärden gegen die Frau öffentlich.

In diesem Moment verschob sich die Debatte in den sozialen Netzwerken, weg von den Frauen hin zu Shapira. Plötzlich ging es darum, ob er die Nachrichten hätte veröffentlichen dürfen und inwiefern den Frauen durch eine Veröffentlichung überhaupt geholfen würde. Viele kritisierten Shapira, manche mehr, manche weniger sachlich, einige offen antisemitisch. Man warf ihm vor, sich in den Mittelpunkt zu stellen und die #unhatewomen-Kampagne nur zu benutzen, um sich in ein gutes Licht zu rücken.

Unkritische Rapmedien

Shapira kritisierte wiederum die Kritiker dafür, dass sie ihn ja erst durch ihre Kritik in den Mittelpunkt stellten, statt sich um die Sexismus-Vorwürfe zu kümmern. Außerdem kritisierte er die Rap-Medien für ihre grundsätzlich unkritische Berichterstattung. Dafür bekam Shapira wiederum zu hören, er solle sich aus Dingen raushalten, von denen er nichts verstünde. Und währenddessen verprügelte Fler einen Kameramann auf dem Berliner Kurfürstendamm.

On- und offline läuft die Debatte längst aus dem Ruder. Bei genauerer Betrachtung aber muss man feststellen, dass eine Gruppe die Diskussion klar dominiert: Männer. Shapira und Fler, Journalisten, die in verschiedenen Medien Textbeiträge schreiben, Fans. Auf 240 Zeichen aufgeblähte Männeregos, wohin man auch scrollt.

Die Geschichten der Frauen, die von Fler beleidigt und bedroht werden, sind unter einer Lawine von Tweets begraben. Ihre Stimmen kann man aus der Kakofonie kaum noch heraushören. Daran ändern auch die 20 Minuten am Mittwoch bei SternTV nur wenig, wo eine Frau aufgetreten ist, die von Fler beleidigt wurde. Vor allem, wenn diese 20 Minuten über ein „Was bisher geschah“ nicht hinauskommen. Und die Kampagne von Terre des Femmes? Längst Nebensache. Dass Männer eine Debatte darüber führen, welcher Ton und welches Verhalten Frauen gegenüber angemessen sind, das ist Sexismus.

Zwang zur Positionierung

Aber auch die Versuche, in der Debatte so etwas wie ein Gleichgewicht zu schaffen, indem man offensiv die Beteiligung von Frauen einfordert, sind sexistisch. Frauen, die sich seit Jahren gegen Sexismus im Rap einsetzen, werden immer wieder unter Posts zum Thema verlinkt und nach ihrer Meinung gefragt. Man(n) fordert von ihnen ein, sich zur Sache zu positionieren. Man(n) verlangt von diesen Frauen unbezahlte Bildungsarbeit. Sie, die selbst davon betroffen sind, sollen die Arbeit übernehmen, und Sexismus, für den sie nicht verantwortlich sind, zu erklären. Immer und immer wieder.

Können sich die Nutzer*innen wirklich nicht denken, was feministische Journalistinnen zu den frauenfeindlichen Ausfällen von Fler zu sagen haben? Braucht man tatsächlich Expertinnen, die einem erklären, dass es problematisch ist, wenn ein Rapper seine Follower*innen auf eine Frau hetzt? Und dass Zeilen wie „Dass sie kommt, es reichen zwei Finger / Mittelfinger und der am Abzug / Fick' die Bitch in meinem Wohnzimmer / Bang' sie hart, sie ist ein Gold-Digger“ ein eher ungutes Frauenbild vermitteln?

Rap-Journalistinnen wie Salwa Houmsi, Miriam Davoudvandi und Helen Fares leisten genau diese Art von Aufklärungsarbeit schon seit Jahren. Wenn man wollte, könnte man sich ihre Arbeit anschauen und daraus lernen. Denn – Überraschung – die Probleme sind immer wieder dieselben – ob Gzuz oder Kollegah und Farid Bang. Aber, und das ist der springende Punkt: Houmsi und Co. haben das Recht, zu entscheiden, wann sie sich äußern. Frauen schulden niemandem etwas, wenn es um Sexismus geht. Auch nicht, wenn sie Journalistinnen sind.

Moralische Erhabenheit

Dass sie in Kommentaren immer wieder dazu aufgefordert werden, sich zu äußern, macht sie deshalb zu Recht wütend. Davoudvandi thematisierte das Problem in einem Tweet unter der Überschrift: „Ich bin sauer.“ Sie schreibt darin: „anstatt täter klar zu benennen, erwartet ihr aufklärungsarbeit von (potentiellen) opfern. eure eigene moralische erhabenheit ist euch wichtiger als die psychische gesundheit anderer.“

Sexismus ist nichts Abstraktes, das man entweder als künstlerisch wertvoll oder als vulgär einordnen kann. Sexismus ist Gewalt gegen Frauen. Und damit sind wir wieder bei der Kampagne #unhatewomen: Auch verbale Gewalt ist Gewalt. Es ist belastend, sich Texte zu geben, in denen Frauen 16 Bars lang durchgefickt werden. Und vor allem ist es belastend, immer wieder erklären zu müssen, warum das für die Psychohygiene belastend ist. Es ist belastend, sich mit den fragilen Egos von Männern zu befassen, die diesen Dreck als Kunstfreiheit verteidigen. Und wenn frau dazu keine Kraft oder auch einfach keine Lust hat, dann ist das okay. Niemand muss sich selbst aufopfern, um anderen ihre Sexismen zu erklären. Man(n) hat das zu akzeptieren und zu respektieren. No means no, auch in Sexismus-Debatten.

Vor allem, weil man(n) sich nicht ansatzweise vorstellen kann, was es für Frauen bedeutet, diese Arbeit zu machen. Sie sind eben, wie Davoudvandi schreibt, immer auch potenziell Opfer. Jede Äußerung in einem Artikel oder Tweet kann eine Eskalation zur Folge haben – on- oder offline. Das haben die letzten Tage mehr als deutlich gezeigt. Sich gegen Sexismus zu positionieren, kann bedeuten, dass ein Kopfgeld auf eine Frau ausgesetzt wird. Es kann bedeuten, dass Männer sich bemüßigt fühlen, Dick-Pics zu senden.

Es bedeutet ziemlich sicher immer, dass frau sich mit Kommentaren in unterschiedlichen Ekelgraden herumschlagen muss, wie unter anderem Antworten auf einen Tweet von Fler zur Stern-TV-Sendung am Mittwochabend eindrucksvoll belegen. Unter dem Foto von Olivia B. finden sich „Perlen“ à la: „Der sieht man schon ihre hinterfotzigkeit an“ und „ey du schwanz heiße nutte“. Ein Nutzer fragt, ob sich durch die höhere Sichtbarkeit jetzt das Kopfgeld erhöht hat. Fehlen eigentlich nur noch die Deutschrap-Apologeten von der Fraktion „Alles ist Kunst, solange ich es sage“.

Wenn sich deshalb Frauen dazu entscheiden, sich nicht an einer Debatte zu beteiligen, darf man sie nicht dazu zwingen. Stattdessen müssen alle, vor allem Männer, realisieren, dass es an ihnen liegt, Bedingungen zu schaffen, unter denen Frauen mitreden können. Ohne Angst vor verbalen und körperlichen Übergriffen. Ohne Angst vor Sexismus.

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