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Der Kulturkampf fällt fürs Erste aus

Am Samstag wird es im Union-Stadion beim Spiel gegen Bayern München keinen Protest gegen die Kommerzialisierung des Fußballs geben: Das Spiel findet zwar statt, aber eben ohne Publikum

Von Gunnar Leue

Dass ein Spiel des 1. FC Union mal auf einer Regierungspressekonferenz mit der Bundeskanzlerin eine Rolle spielen würde, hätten sich wohl nicht mal die sich sonst alles denken könnenden Unionfans gedacht. Am Mittwoch war es soweit. Gesundheitsminister Jens Spahn, der zuvor schon sein Unverständnis über die Nochnichtabsage des Topspiels Union gegen Bayern München am Samstag in Berlin geäußert hatte, bekundete an Angela Merkels Seite immerhin sein Beleid für alle Fans, denen nun das Herz blute. Solidarität, vor allem mit den hochgefährdeten älteren Mitbürgern, gehe aber vor.

Was im Sinne des Gesundheitsschutzes eine gebotene Maßnahme ist, ist aus Sicht von Fans und Verein mehr als bedauerlich, klar. Schließlich handelt es sich um eine Partie von historischer Bedeutung für die Unioner. Die Bayern kommen – das hatte es in Köpenick zwar schon gegeben, aber zu zwei Freundschaftsspielen 2009 und fünf Jahre zuvor zu einer Benefizaktion für den existenzbedrohten 1. FC Union. Nun geht es erstmals um Bundesligapunkte. Eigentlich ein Feiertag. Die Gäste kommen, aber fast keiner kriegt sie zu Gesicht, weil die große Stadionparty abgesagt ist und das Spiel ohne Zuschauer stattfinden soll.

Sofort kochten die Emotionen im Internet hoch. Im Union-Fanforum herrschte der übliche Mix aus Frustschieben, Witzeln und Besonnenenheit zeigen. Vor allem, nachdem sich Union-Präsident Zingler noch am Dienstag vehement gegen einen pauschalen Zuschauerausschluss bei Bundesligaspielen ausgesprochen hatte. Die abrupte Kehrtwende des Bezirksamts Köpenick werteten nicht wenige enttäuschte Fans als Folge des Drucks von ganz oben.

Der Frust ist nicht nur deshalb groß, weil Geisterspiele „Teams mit einem zwölften Mann benachteiligen“, wie ein Union-Fan das Fehlen der Fanbasis im Stadion ausdrückte, sondern weil die laut- und meinungsstarken Fanchöre An der Alten Försterei wohl das eine oder andere Statement in Richtung Bayern-Boss Rummenigge gegeben hätten. Bekanntlich sind Unionfans ganz vorn dabei mit öffentlicher Kritik an den Kommerzapologeten des Profifußballs. Als solcher gilt auch Rummenigge, erst Recht nach seinem Auftritt als Hopp-Verteidiger und zugleich Mister Pauschalattacke gegen nicht stubenreine Fans.

Union gegen Bayern – etliche Fans im Stadion hätten das wohl nicht nur als Spiel Überraschungsaufsteiger gegen Serienmeister betrachtet, sondern als ein Stück Kulturkampf. Gewinnen-first-Leitkultur versus vermeintlich romantischer Fußballkultur.

Auch Union-Präsident Zingler zeigt sich in wesentlichen inhaltlichen Punkten solidarisch mit den Fanprotesten gegen den DFB. Zudem weiß man, dass er kein Anhänger der totalen Fußballvermarktung ist. Vor dem Hinspiel in München plädierte er in einem Streitgespräch mit Uli Hoeneß für fairere Wettbewerbsregeln im Fußball, sprich gerechtere Verteilung von Geldern, anstatt weiter dem Markt hinterherzulaufen. Hoeneß hielt das für „Staatswirtschaft“, Zingler für „Solidarität“. All diese Fragen werden von der aktuellen Debatte um das Geisterspiel verdrängt.

Dass es so eines je im Stadion An der Alten Försterei geben könnte, hätte sich „wohl niemand von uns vorstellen können“, schrieb Dirk Zingler in einem Brief an die Vereinsmitglieder. Aber man muss auch sagen: Wenn es einen Verein gibt, der mit schicksalhaften Eingriffen in seine größten Erfolgsphasen Erfahrung hat, dann Union.

Kaum noch ein Ball, der rollt oder geworfen wird

Kein Derby Zumindest dieses Wochenende soll der Ball in den Stadien noch rollen, wenn auch vor leeren Rängen. Erst nächste Woche wird der Spielbetrieb in der 1. und 2. Bundesliga wegen der Ausbreitung des Coronavirus unterbrochen. Was dann auch das Derby Union gegen Hertha BSC betrifft.

Alle Klassen In den unteren Klassen wird bereits nicht mehr gekickt: Wegen der Coronavirus-Krise wird es im Berliner Amateur- und Jugendfußball vorerst bis zum 22. März keine Spiele mehr geben. Das teilte der Berliner Fußball-Verband (BFV) am Donnerstag mit: „Dieses gilt für sämtliche Spiele, die im Verantwortungsbereich des BFV liegen, also Meisterschaftsspiele, Pokalspiele, Freundschaftsspiele, Turniere, Spielfeste und Mini-Fußball-Turniere.“

Die anderen Auch bei Alba (Basketball), den Füchsen (Handball) und Berlin Volleys (Volleyball) ruht der Ball. Und der Berliner Halbmarathon, der eigentlich am 5. April hätte stattfinden sollen, ist abgesagt.

Ältere Fans werden sich an das Jahr 1968 erinnern, als der Verein ebenfalls in einer historischen Saison unerwartet und ohne eigens Zutun ein Stoppsignal für die Euphorie im Klub erhielt. Die Köpenicker hatten 1968 sich als Sensationssieger des FDGB-Pokals für den Europacup qualifiziert. Zu einem Spiel aber kam es nicht, auf Anweisung von ganz oben. Nach dem Einmarsch der Sowjettruppen im August 1968 in Prag war der Ost-West-Konflikt eskaliert, was letztlich auch, auf Druck der Sowjets, zum Rückzug der Ostblock-Vereine aus dem EC-Wettbewerb führte.

33 Jahre nach dem „Prager Frühling“ spielte Union als DFB-Pokalfinalist doch noch im Uefa-Cup, was diesmal fast durch den Terroranschlag vom 11. September 2001 verhindert wurde. Das Spiel am 12. September beim finnischen FC Haka Valkeakoski wurde gestrichen und erst acht Tage später ausgetragen.

Und nun die Geisterspiele in der ersten Bundesligasaison des Vereins. „Immer wenn Union etwas Außerordentliches erreicht, passiert etwas“, resümierte Dirk Zingler am Donnerstag leicht sarkastisch. Zugleich bat er die Unionsfans, beim Geisterspiel nicht vors Stadion zu kommen. Ansonsten gelte, bei aller Enttäuschung: „Wir werden auch das als Unioner aushalten.“

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