Chelsea Manning ein Jahr in Beugehaft: Lasst. Sie. Frei.

Die Whistleblowerin Chelsea Manning hat erneut versucht, sich das Leben zu nehmen. Ob ihre Beugehaft beendet wird, entscheidet am Freitag ein Richter.

Porträt Chelsea Manning

Manning im November 2017 nach der Begnadigung durch Präsident Obama Foto: Andy Kropa/ap

BERLIN taz | Mit einer kurzen Unterbrechung befindet sich Chelsea Manning seit einem Jahr in Haft. Beugehaft, um sie zu einer Aussage gegen Wikileaks und Julian Assange zu zwingen. Nach Auskunft ihrer Rechtsbeistände befindet sich Manning nach einem Suizidversuch seit Mittwoch im Krankenhaus.

Es ist in der Vergangenheit unmissverständlich klar geworden, dass die Whistleblowerin ihren Prinzipien bis zum bitteren Ende folgen und sich weigern wird, dem politischen Verfahren gegen Assange zuzuarbeiten. Warum sollte sie auch? In ehrlicher Empörung gab sie vor 10 Jahren Belege für US-amerikanische Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan an Wikileaks weiter. Die Plattform veröffentlichte das Paket in mehreren Etappen zwischen 2010 und 2011. Die Dokumente leisteten einen wichtigen Beitrag zur Information der Weltöffentlichkeit über die Kriegsführung im Nahen Osten.

Die Rechnung für diesen Geheimnisverrat hat Chelsea Manning teuer bezahlt. Von 2010 bis zu ihrer Begnadigung durch den damaligen Präsidenten Barack Obama 2017 saß sie in Haft. Selbst wer Zweifel am Wert von Mannings Enthüllungen für eine demokratische Öffentlichkeit hat, kann sich fragen, ob der Bestrafung nicht langsam genug ist für eine Frau, die nur ihrem Gewissen gefolgt ist und niemandem willentlich Schaden zugefügt hat.

Die monatelange Beugehaft ist eine offensichtliche Botschaft an künftige „Verräter*innen“: Selbst eine Begnadigung von höchster Stelle wird dir keinen Frieden bringen. Dauerhaft bist du als Feind*in markiert, niemand wird dich vergessen. Und egal wie offensichtlich nutzlos der Versuch ist, dich zur Beteiligung an politischer Repression zu erpressen, du wirst kein Tageslicht mehr sehen. Das Verfahren gegen Julian Assange ordnete Manning denn auch bereits im vergangenen Jahr in einem Brief, der ihre Unkooperativität erläuterte, entsprechend ein. Es handele sich dabei um „einen Versuch, Journalisten und Verlage einzuschüchtern, die dem öffentlichen Wohl dienten“.

Uneingeschränkte Solidarität

Die Frage übrigens, ob Wikileaks oder Manning tatsächlich immer den besten Weg für diesen Dienst an der Öffentlichkeit wählten, wird zu einer irrelevanten Erbsenzählerei angesichts der unmenschlichen Behandlung, die den Beteiligten von Seiten nominell demokratischer Rechtsstaaten widerfährt.

Die Antwort der zivilgesellschaftlichen und demokratischen Öffentlichkeit auf die Willkür und Grausamkeit von Justiz, Politik und Geheimdiensten muss uneingeschränkte Solidarität mit den Betroffenen sein. Gerade im Falle Chelsea Mannings kann es nur die eine Forderung geben. Da braucht es keine originellen neuen Ideen, politische oder publizistische Taktik, einfach nur diesen einen Satz: Lasst sie endlich frei!

Die wiederholten Suizidversuche Mannings in der Haft erhöhen die Dringlichkeit dieser Forderung, für deren Erfüllung es ohnehin keine akzeptable Alternative gibt. Die Haftbedingungen allein sind einer zivilen Gesellschaft unwürdig. Zwei Berichterstatter der Vereinten Nationen, Juan Mendez im Jahr 2012 und Nils Melzer 2019 bezeichneten die Art der Einkerkerung Mannings als Folter. Es ist kein Gegenstand für Diskussionen, sondern eine Selbstverständlichkeit, dass Folter, ob nun als Strafe oder zur Erzwingung von Aussagen, nicht hinnehmbar ist. Hier steht noch mehr auf dem Spiel als Presse- und Meinungsfreiheit, nein, es geht an die Basis von Zivilisation und Menschlichkeit. Zu schweigen, wenn Menschen gequält werden, kann sich niemand leisten. Denn nicht zu protestieren, gleichgültig wegzuschauen ist Beihilfe durch Unterlassung.

Hinweis: Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie da­rüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

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