Julian Assange vor Gericht: Bedrohte Pressefreiheit
Auf den Wikileaks-Gründer Julian Assange wartet in den USA eine Anklage wegen „Hackens“ und Spionage. Dahinter stehen Rachegefühle.
Der Australier hat der Weltöffentlichkeit einen publizistischen Dienst erwiesen und sie über Verbrechen aufgeklärt. Aber in den USA ist er deswegen als „Spion“ und als „Hacker“ angeklagt worden. Falls Großbritannien ihn am Ende des heute in London beginnenden – und voraussichtlich langen – Verfahrens tatsächlich in die USA ausliefern sollte, drohen im dort 175 Jahre Gefängnis.
In den großen Medien der USA kommt Assange kaum vor. Aber einige Investigativjournalisten und Menschenrechtsorganisationen sind alarmiert. Sie befürchten, dass hinter der Anklage gegen Assange eine Generalattacke gegen ihre eigene Arbeit und gegen den ersten Verfassungszusatz der US-Verfassung steht, der die Meinungsfreiheit garantiert.
Ohne die Veröffentlichung von Dokumenten, die die Regierung geheim halten will, „wäre der Krieg gegen den Terror bis heute völlig unkontrolliert geblieben“, erklärt der zweifache Pulitzerpreisträger James Risen, der unter anderem das Waterboarding des CIA enthüllt hat. Seymour Hersh, der unter anderem das My-Lai-Massaker im Vietnamkrieg enthüllte, sagt, dass die Wut des US-Justizministeriums als Nächstes auch die New York Times treffen könnte. Hersh prognostiziert das Aus für den investigativen Journalismus, „wenn wir unsere Quelle nicht mehr ermuntern dürfen, uns geheime Informationen zu geben“.
In Brasilien hat das US-amerikanische Beispiel bereits Schule gemacht. Dort versuchten Staatsanwälte, den US-amerikanischen Journalisten Glenn Greenwald wegen Cyberkriminalität anzuklagen, als er bei einer Recherche über Korruption in den Reihen des Präsidenten Jair Bolsonaro Informationen benutzte, die ihm nach einem Hack zugespielt wurden. Die Staatsanwälte wollten den Journalisten für das Hacken verantwortlich machen. Greenwald, ebenfalls ein Pulitzerpreisträger, bezeichnet die Anklage gegen Assange als „eine der größten Bedrohungen für die Pressefreiheit“ und eine „Kriminalisierung von Journalismus“.
Schockierende Verbrechen
Die Enthüllungsplattform Wikileaks hatte im Jahr 2010 – in Zusammenarbeit mit großen Zeitungen quer durch die Welt – die bis dahin größte Menge geheimer Daten aus US-Militär und Diplomatie veröffentlicht. Die Organisation hatte das Material von einem 22-jährigen Whistleblower in der US-Armee erhalten. Chelsea Manning – die damals noch Bradley hieß – war bei ihrem Einsatz im Irak auf die Filme und Depeschen gestoßen und hatte sie weitergegeben, weil sie schockiert über die darin dokumentierten Gesetzesbrüche war.
Assange soll Manning nach der Übergabe hunderttausender Depeschen gefragt haben, ob sie weiteres Material besorgen könnte. Außerdem soll er versucht haben, Manning dabei zu helfen, ihre elektronischen Spuren zu verwischen. Letzteres hat das US-Justizministerium benutzt, um daraus eine Anklage wegen „Computerhackens“ zu machen. Die 17 anderen Anklagepunkte gegen Assange basieren auf einem Spionagegesetz, das die USA 1917 im Ersten Weltkrieg erlassen hatten.
Schon Ex-Präsident Barack Obama ging hart gegen Whistleblower vor und setzte mehrfach das Spionagegesetz bei Ermittlungen gegen sie ein. Aber unter Obama gab es keine Anklagen gegen Journalisten auf dieser Grundlage. Für seinen Nachfolger Donald Trump gehört die Verachtung für Journalisten jedoch zum Programm.
Trump spricht regelmäßig von „Lamestream Media“ und „Fake News“ und beschreibt Journalisten bei seinen Wahlkampfmeetings als „Feinde des Volkes“. Sein Justizministerium hat die Anklage gegen Assange – die nach einer Auslieferung jederzeit noch erweitert werden kann – im vergangenen Jahr vorgelegt.
Assange ist nicht der Einzige, den die Rache Washingtons verfolgt. Die heute 32-jährige Manning ist seit mehr als elf Monaten wieder im Gefängnis, weil sie sich weigert, gegen Wikileaks auszusagen. Und der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden, der drei Jahre nach Manning und Assange seinerseits mit Enthüllungen über die massive Schnüffelei der US-Geheimdienste aufwartete, lebt immer noch im russischen Exil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken