Er will ein guter Mensch sein

Burhan Qurbanis in die Gegenwart verlegte Verfilmung von Döblins „Berlin Alexanderplatz“ eröffnet seiner Hauptfigur Francis neue Möglichkeiten (Wettbewerb)

Jella Haase als Mieze und Welket Bungué als Francis in Burhan Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“ Foto: S. Kulbach/2019 Sommerhaus/eOne Germany

Von Tim Caspar Boehme

Die Welt eines Migranten steht manchmal kopf. Bei Francis (Welket Bungué) tut sie das bei seinem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren. Buchstäblich. Man sieht ihn und eine Frau, die er Ida ruft, zu Beginn über Kopf in aufgewühltem Wasser. Es ist Nacht, eine Si­gnal­rakete erleuchtet Wasser und Schwimmende rot, kündet aber eher von Gefahr als von Rettung. In der nächsten Szene schleppt sich Francis aus dem Wasser an einen Strand, allein.

Burhan Qurbani erzählt in seinem frei nach Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz“ gestalteten Film eine etwas andere Geschichte als die Vorlage von 1929. Anders auch als vor ihm Piel Jutzi (1931) und Rainer Werner Fassbinder (1980) in ihren Adaptionen lässt Qurbani die Handlung nicht vor knapp 100 Jahren spielen, sondern in der Gegenwart. Sein gebeutelter Held heißt nicht Franz Biberkopf, sondern Francis.

Was bei diesem Francis gleich bleibt, ist der Leidensweg. Er kommt zunächst zwar nicht aus dem Gefängnis nach Berlin zurück, sondern aus dem Meer, doch auch dort hat er mit dem Tod seiner Freundin Ida wie sein Vorbild Franz ein Trauma, das ihn verfolgt. In wiederkehrenden Rückblenden sieht man Erinnerungen an seine Vergangenheit, vermutlich in Guinea-Bissau, wo er geboren ist. Eine Kuh kehrt in diesen Bildern regelmäßig wieder.

Anfangs lebt Francis in einer Flüchtlingsunterkunft, arbeitet mit anderen Migranten auf einer Baustelle unter dem Alexanderplatz. Als es zu einem Arbeitsunfall kommt, für den man ihn verantwortlich macht, findet er seinen Reinhold (Albrecht Schuch). Dieser wird ihn, wie im Buch, auf die schiefe Bahn bringen, lässt ihn als Drogenhändler im Neuköllner Park Hasenheide arbeiten. Später wird auch dieser Francis zu einem Bruch mitgenommen und auf der Rückfahrt aus dem fahrenden Wagen geworfen, sodass er mit amputiertem Arm im Krankenhaus aufwacht.

Qurbani hat die erzählerischen Eckpfeiler des Romans weitgehend so belassen wie bei Döblin, sie aber komplett umgedeutet. Hier ist es nicht einfach ein Kleinkrimineller, der erfolglos „ein guter Mensch werden“ möchte, sondern ein Mi­grant ohne Pass, der sich mit all den Schwierigkeiten konfrontiert sieht, die ein Illegaler in Deutschland bewältigen muss: an gültige Papiere kommen, angemessene Arbeit finden, sozial akzeptiert werden.

Regisseur Qurbani liefert aus der Perspek­tive der Halbwelt ein Panorama der Welt von heute im Kleinen

Letzteres gelingt diesem Francis in der Berliner Nachtwelt, etwa bei der Barbetreiberin Eva (Annabelle Mandeng), deren Familie aus Nigeria stammt und die sich mit ihm nicht allein über die gemeinsame Liebe zum Afrobeat von Fela Kuti austauscht, sondern ihn auch mit den Unterscheidungen zwischen Weiß und Nichtweiß aus Sicht einer nichtweißen Deutschen vertraut macht. Zudem lebt Eva zusammen mit Berta (Nils Verkooijen), die sich selbst als „Transe“ bezeichnet.

Diese Aktualisierungen inte­griert Qurbani, ohne den didaktischen Zeigefinger zu schwingen, in seinen Film. Er liefert vielmehr aus der Perspektive der Halbwelt ein Panorama der Welt von heute im Kleinen. Und dramatisiert seine Geschichte wie einen Thriller. Denn eine ernsthaft böse Figur steuert Albrecht Schuch als Unterweltvizeboss Reinhold bei. Dieser Reinhold wird von Schuch als bis in die Poren unheimlicher Psychopath gegeben. Die Verwirrungen des Franz Biberkopf, der im Roman nicht ganz richtig im Kopf ist, sind bei Qurbani ausgelagert, in seiner Version ist Reinhold das böse Alter Ego von Francis, das ihn zu allem verführt und eifersüchtig über ihn wacht.

Darin besteht das einzige Pro­blem von Qurbanis Ansatz. Welket Bungué spielt gegenüber dem jovial-unberechenbaren Franz von Heinrich George von 1931 und Günter Lamprechts fragil-psychopathischem Franz bei Fassbinder einen Charakter, der seine Abgründe hat, bei dem aber die freundlichen Züge so stark überwiegen, dass man ihm seine böse Seite nicht ganz abnimmt. Allerdings hat Qurbani mit seinem Francis noch anderes vor als das Buch. Was, wird nicht verraten.

27. 2., 9.15 Uhr, Friedrichstadt­palast; 27. 2., 15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele;

1. 3., 17.15 Uhr, Berlinale Palast