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Die vorsichtige Umschiffung der Flüchtlingsfrage

Aus Angst, Geflüchtete retten zu müssen, wenden sich EU-Länder gegen eine neue „Sophia“-Mission

Aus Berlin und Brüssel Christian Jakob
und Eric Bonse

„‚Sophia‘ ist Geschichte“, freute sich Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg am Montag in Brüssel. „Wir wollen keine Mission, die wieder von Schleppern für ihr Geschäftsmodell missbraucht wird.“ Nach einer kontroversen Debatte einigten sich die EU-Außenminister am Montag darauf, die Anti-Schlepper-Mission „Sophia“ im Mittelmeer durch eine neue, militärisch ausgerichtete Mission zu ersetzen. Sollte sie dazu führen, dass wieder mehr Bootsflüchtlinge den Weg nach Europa suchen, so werde der Einsatz beendet, betonte der Österreicher. Indirekt bestätigte dies auch sein deutscher Amtskollege Heiko Maas. Bei „falschen Entwicklungen“ werde die Mission nicht weitergeführt, so der SPD-Politiker.

Die Außenminister berieten über einen Vorschlag, den der Europäische Auswärtige Dienst erarbeitet hatte. Dem Papier zufolge, das der taz vorliegt, soll Sophia in „Operation EU Active Surveillance“ – übersetzt etwa: „Aktive Überwachung“ – umbenannt werden. Kernaufgabe: die Überwachung des Waffenembargos. Die Ausbildung der libyschen Küstenwache und die Schleusungsbekämpfung würden dann zu „Nebenaufgaben“.

Auf diese Weise hofft der EU-Außenbeauftragte Josep Borell das Problem mit der mangelnden Bereitschaft zur Aufnahme vom Geretteten in EU-Staaten umgehen zu können. In seinem Papier heißt es, die Schiffe könnten „in den Bereichen eingesetzt werden, die für die Umsetzung des Waffenembargos am wichtigsten sind“ – also im östlichen Teil des Einsatzgebiets oder „mindestens 100 Kilometern vor der libyschen Küste“. Denn dort, so heißt es in dem Papier wörtlich, seien die „Chancen, Rettungsaktionen durchzuführen, geringer“. Tatsächlich legen die Flüchtlingsboote meist im westlichen Teil der Landesküste ab – und geraten meist deutlich vor der 100-Kilometer-Linie in Seenot. So hofft die EU, dass ihre Militärs nicht mit der Rettung von Menschenleben behelligt werden.

„Die mickrigen Ergebnisse der Berliner Libyen-Konferenz militärisch sichern zu wollen, gießt Öl ins Feuer“, sagt dazu der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko. Eine EU-Mission könne nur die Seegrenzen Libyens überwachen, nicht die Landgrenzen.

Sollte der Vorschlag sich durchsetzen, bliebe in Sachen Seenotrettung alles beim Alten. Derzeit sind vier NGO-Schiffe in der Region aktiv: „Open Arms“, „Ocean Viking“, „Alan Kurdi“ und die „Sea Watch 3“. Seit Herbst 2019 gilt eine Regelung, nach der alle von diesen Schiffen geretteten Menschen in Italien oder Malta an Land gebracht werden dürfen und dann für ihr Asylverfahren in andere EU-Staaten weiterreisen können. Hierfür gemeldet haben sich bislang Deutschland, Frankreich, Portugal, Luxemburg, Irland, Finnland, Norwegen, Belgien, Spanien und Schweden.

Allerdings ist das Verfahren sehr langsam: Rund 3.480 Menschen sind unter dieser Prämisse seit 2018 nach Italien gekommen, aber nur 699 von ihnen sind bislang weitergereist. Deutschland hat bis Ende Januar die Übernahme von bis zu 586 Personen aus Italien zugesagt – hierher eingereist sind im selben Zeitraum aber erst 174.