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Alternative ArbeitsmodelleDie Theorie vom Ausstieg

Für manche ist Downshifting eine Notbremse, sie fühlen sich überfordert und ausgebrannt. Andere entscheiden sich aus Lust für weniger Arbeit.

Der Traum vom Downshifting: Nicht mehr getriebenes Rädchen im Getriebe sein Foto: Courtesy Everett Collection

Eva Feld (53, Name geändert) konnte einfach nicht mehr. Sie hat fast zwanzig Jahre Vollzeit in einer Berliner Kita als Erzieherin gearbeitet. Mit viel Einsatz und für wenig Geld. Sie hätte vor einem Jahr Leiterin der Kita werden können. Mehr Arbeit, noch mehr Verantwortung, etwas mehr Geld. Sie merkte, wie der Job sie langsam auffraß. Es war kein Burn-out, das nicht, aber sie wollte so nicht mehr leben.

Jetzt arbeitet sie nur noch halbtags. Das war, sagt sie, „eine schwierige Entscheidung“. Sie fühlte sich ja verantwortlich für die Kita. Das Geld reicht jetzt gerade so. Ihr Auto hat sie abgeschafft, Urlaub ist nur noch low budget möglich. Damit kommt sie zurecht. Der Luxus, über viel freie Zeit zu verfügen, entschädigt sie dafür. Sie spielt in einem Club Schach und wandert viel in der Umgebung. Alte Träume, die nichts kosten. Angst macht ihr manchmal die Aussicht auf die geringe Rente. Trotzdem „war es richtig“,sagt sie.

Feld gehört zu den Downshiftern, die mehr oder weniger freiwillig auf Geld und Karriere verzichten, um dafür mehr Zeit zu haben. Sowohl das Konzept als auch der Begriff stammen aus Kalifornien. Es ist ein Versprechen: Raus aus der Tretmühle, endlich ins Freie. Ein Motto der Downshifter-Bewegung lautet sinngemäß: „Lebensstandard ist, wenn du mit Geld, das du nicht hast, Dinge kaufst, die du nicht brauchst, um Leute zu beeindrucken, die du nicht magst“.

Leute, die in Deutschland runterschalten, tun dies grob gesagt aus zwei Gründen. Für manche ist es der Griff zur Notbremse, sie fühlen sich überfordert, überanstrengt, ausgebrannt. Andere entscheiden sich aus Lust für weniger Arbeit. Oft ist es, wie bei Eva Feld, eine Mischung aus beidem.

Serie: Weniger ist mehr

Während Weihnachten für die einen der Inbegriff von Geschenkewahnsinn und Völlerei ist, setzen andere bewusst auf das Gegenteil: Ein leeres Heim gilt manchen als Statussymbol. Andere fühlen sich digital überfordert und verzichten aufs Smartphone. Wieder andere finden, dass sie im Alltag zu viel Plastik verbrauchen. Nach Jahrzehnten einer kaum gebremsten Konsumbegeisterung ist bewusster Verzicht angesagt. Eine Welle des Ausmistens und Aufräumens geht durch die Haushalte. Andere wollen mehr Zeit für sich und verzichten auf noch mehr Arbeit, entsprechend aber auch auf Lohn. In einer Serie stellt die taz die unterschiedlichen Strömungen der neuen Enthaltsamkeit vor.

Downshifting-Coaches helfen bei den oft komplexen Entscheidungsprozessen. Die Berater machen oft eine ähnliche Erfahrung mit ihren Klienten. Viele kommen mit dem drängenden Wunsch, dem Korsett der Arbeit zu entkommen, und wollen alles anders machen. Doch die meisten trauen sich am Ende nur kleine Änderungen zu, verzichten auf einen Karrieresprung oder nehmen sich vor, jetzt wirklich mal Nein zu Überstunden zu sagen. Es ist kein Zufall, dass es für die englischen Begriffe Downshifting und auch Sabbatical – ein unbezahltes arbeitsfreies Jahr – keine brauchbaren deutschen Wörter gibt.

In Umfragen bekundet zwar regelmäßig jeder und jede Zweite, gern mal ein Jahr Auszeit zu nehmen. Allerdings klaffen beim Sabbatical wie beim Downshifting zwischen Wunsch und Tat große Lücken. Viele wollen, aber nur wenige tun es. Eva Feld ist eine Ausnahme.

Überschaubare Resonanz

LehrerInnen, PolizstInnen, BeamtInnen haben schon seit Jahrzehnten die Möglichkeit, ein Jahr freizumachen. Das Modell: Sie bekommen vier Jahre nur 75 Prozent des Gehalts, dafür im Sabbatical den gleichen Betrag. Doch die Resonanz ist überschaubar, obwohl im öffentlichen Dienst die Rückkehr in den alten Job oft gesichert ist. In Niedersachsen machten 2018 drei Polizisten ein Sabbatical – von 22.000.

So tritt ein Selbstwiderspruch hervor. Die Deutschen ticken postmateriell, wenn man den Umfragen glaubt. Sie halten Besitz, Geld, Arbeit längst nicht für so wichtig wie privates Glück. Mehr als 80 Prozent sagen in Umfragen seit Jahrzehnten, dass ihnen Freunde und Familie am wichtigsten sind. Zwei Drittel liegt soziale Gerechtigkeit am Herzen. Und nur eine Minderheit, nämlich ein gutes Drittel, hält ein gutes Einkommen für unabdingbar im Leben.

Die alten Tugenden der Industriegesellschaft – Pflichterfüllung, Ehrgeiz, Aufstieg – gelten schon lange nicht mehr viel. Selbstverwirklichung ist die neue Norm.

So viel Arbeitsstunden wie noch nie

Allerdings gibt es einen bemerkenswerten Widerspruch zwischen dem stabil postmateriellen Selbstbild der Mitte der Gesellschaft und der Realität der Arbeitswelt. In Deutschland wird immer mehr gearbeitet. 2018 wurden mehr als 61 Milliarden Stunden gearbeitet, 2010 waren es noch 58 Milliarden. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs ist im gleichen Zeitraum von 28 auf 34 Million gestiegen.

Mal radikal weniger zu arbeiten erscheint vielen als eine einleuchtende Möglichkeit, ein gutes Leben zu führen. Sie ist greifbar nah und doch seltsam unerreichbar. Downshifting und Sabbatical sind wie Chiffren einer Gesellschaft, die davon träumt, den Zwängen der Arbeitswelt zu entkommen, und sich in immer mehr Arbeit stürzt.

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19 Kommentare

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  • Das jetzige Arbeitssystem wird es in Zukunft nicht mehr geben. Durch den technischen Fortschritt braucht es immer weniger Menschen in Arbeit. Man sich wohl was einfallen lassen, damit die Masse zufrieden gestellt wird. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre z.B eine Möglichkeit.

  • Die im Artikel beschriebenen Punkte sprechen mE viel mehr davon, dass die Menschen von der derzeitigen Organisation, Sinnhaftigkeit, aber auch rechtlichen Verfasstheit von Arbeit die Nase voll haben, nicht von Arbeit bzw schwerer Arbeit selbst.

    • @Gerhard Krause:

      Stimmt, arbeiten bis der Arzt kommt ist nicht so toll, auch wenn die Arbeit an sich Spaß macht. Das ständige "Muss" nervt! Müßte auch anders gehen, aber nein, keine Atempause...

  • 8G
    83191 (Profil gelöscht)

    Also das mit den Mehr Arbeitsstunden ist irgendwie...seltsam.

    Anstieg von 58 und 61 Mrd. Stunden entspricht: +5%



    Anstieg von 28 auf 34 Mio. Arbeitern entspricht: +24%

    Das bedeutet im Prinzip das im Schnitt jeder Arbeitnehmer ~15% kürzer arbeitet. Das ist doch genau das Modell und nicht das Gegenteil ?

  • In Österreich gibts das Modell der Bildungskarenz. Jede*r Angestellte kann sich jedes 4. Jahr für Fortbildung arbeitsfrei nehmen - dafür gibts vom Abeitsmarktservice das selbe Geld als wäre man Arbeitslos, das Jahr gilt jedoch als Sozialversicherungszeit und es gibt zumindest während dem Jahr eine Absicherung gegen Kündigung durch den Arbeitgeber. Ist nicht ganz das selbe wie ein Sabbatical, da man ein paar absolvierte Kurse nachweisen muss, aber eine super Einrichtung, um entweder den Umstieg auf den neuen Lebensstil zu erleichtern, oder auch nur mal ein Jahr aus dem Jobradl auszusteigen und was neues zu lernen.

  • Unerwähnt bleibt leider die legale und sehr einfache Möglichkeit, die Arbeitszeit auch in kleinen Schritten zu reduzieren, z.B. kann man auch in relativ wichtigen Positionen (Ingenieuer, kleiner Vorgesetzter usw.) den Freitag frei machen.



    Oder Heimarbeit: ist auch laut Gesetzgeber möglich, in gewissen Grenzen, aber ohne wichtige Gegengründe kann er es m.W. nicht verweigern.



    Damit kann man schon mal etwas Druck rausnehmen und sich schönen Dingen widmen.

    • @Mitch Miller:

      Gewichtige Gründe: Aktenberge und Kundenkontakt. Nebenbei möchte ich meine Arbeit nicht noch mit nach Hause nehmen. Es reicht schon, daß mein Anrufbeantworter angeschafft wurde, um meine Kollegen in Zaum zu halten. Heute muß natürlich jeder ein Handy haben. Habe ich nicht, ein Glück. Kein Whatsapp, keine Überwachung.

    • 0G
      08439 (Profil gelöscht)
      @Mitch Miller:

      Ja ja, Heimarbeit ("Home Office"): das Gefühl der Freiheit trotz gesteigerter Unfreiheit!?

  • 0G
    08439 (Profil gelöscht)

    Es gibt viele "Jobs" in der Industrie, da ließe sich die Arbeitszeit nur verkürzen, wenn man stattdessen unbezahlte Überstunden schöbe (das wäre ja ein toller arbeitgeberfreundlicher "Deal") - oder überhaupt nicht, weil man erstens zu viel um die Ohren hat und zweitens raus ist, wenn man raus ist.

    Ein Sabbatjahr, wie soll das unter solchen Bedingungen gehen? Welche Firma investiert das Geld für eine hochspezialisierte Vertretung, wenn die nach einem Jahr wieder verschwindet?

    Was die Tendenz betrifft, englische Wörtern zu verwenden, statt sich um deutsche zu bemühen (die meistens vorhanden sind) und dies dann mit deren angeblichem Nichtvorhandensein zu begründen: erst "googlen", dann "posten"! :-)

  • Ein Sabbatjahr mit grenzenloser Zeit und dann wieder voll Arbeiten? Traumhaft. Da wäre ich ein Jahr lang frustriert bei dem Gedanken...



    Teilzeit wäre klasse, hat mein Arbeitgeber aber abgelehnt, weil ich selbst fünf Stunden weniger sooooooo unabkömmlich bin. Jetzt läuft der Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Dann kann mein Arbeitgeber, falls das durchkommt, kaum noch "nein" sagen. Schlimm, daß man erst krank werden muß...

    • @Boiteltoifel:

      Ja, das ist es, und wofür - für ein paar Antreiber und Funktionseliten.

  • R. D. Precht widmet sich dem Thema in "Jäger, Hirten, Kritiker: Eine Utopie für die digitale Gesellschaft" sehr ausführlich und es sei deshalb hier empfohlen.

    Aus der Buchbeschreibung:

    Richard David Precht skizziert dagegen das Bild einer wünschenswerten Zukunft im digitalen Zeitalter. Ist das Ende der Leistungsgesellschaft, wie wir sie kannten, überhaupt ein Verlust? Für Precht enthält es die Chance, in Zukunft erfüllter und selbstbestimmter zu leben. Doch dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen und unser Gesellschaftssystem konsequent verändern. Denn zu arbeiten, etwas zu gestalten, sich selbst zu verwirklichen, liegt in der Natur des Menschen. Von neun bis fünf in einem Büro zu sitzen und dafür Lohn zu bekommen nicht!

  • Na da bin ich ja froh, dass die Turbokapitalisten sich ein grammatikalisches Trostpflästerchen für ihre Auswüchse zusammengeschwurbelt haben und wir natürlich wie immer zu wenig geistreich sind, selbst darauf zu kommen.



    Von dem ganzen Mist der da herüberschwappt, sorry, dass „die“ Deutschen, gerade dafür nicht mal einen eigenen Begriff parat haben. Die sind aber auch wieder, tststs.



    Einen solchen und der passt ganz gut zur Einleitung des vorliegenden Werkes, nutzt auch der Angelsachse hin und wieder, Kindergarten.

  • "Es ist kein Zufall, dass es für die englischen Begriffe Downshifting und auch Sabbatical – ein unbezahltes arbeitsfreies Jahr – keine brauchbaren deutschen Wörter gibt."

    Downshifting - Arbeitszeitreduzierung. Sabbatical - Sabbatjahr. Durchaus brauchbare Begriffe, und schon lange im Gebrauch.

    • @HanM:

      Vor allem Sabbatical! Ist ja zum Glück keine eine Entlehnung aus dem Hebräischen. Man man man, manchmal....

  • Wer mag schon beurteilen, wie die Deutschen "ticken" oder nicht. Es stehen doch der Bevölkerung alle demokratischen Wege offen, sich für den Aufbau einer kleinen und freien Sozialwirtschaft mit einer Sozialökonomie der Mitarbeiter/innen Unternehmen einzusetzen, mit einer 24 Stunden Arbeitswoche von Montag bis Donnerstag einzusetzen.



    "Friday for Familie" warum eigentlich nicht. Die derzeitige Kapitalwirtschaft ist doch nicht eine von Gott gegebene Tatsache, genauso wenig wie die Parteien die nicht bereit sind, die Beendigung der Ausbeutung des Menschen, der Tiere und der Natur einzuleiten.

    • @Frank Mögling:

      Da beurteilen Sie mE die tatsächlichen Machtverhältnisse leicht, aber dafür entscheidend fehlerhaft.

    • @Frank Mögling:

      Ich habe den Eindruck, dass die Leute hierzulande eine große Scheu vor Veränderungen haben. Bus und Bahn / Car Sharing statt eigenes Auto, weniger Arbeit statt Doppelvollzeit, Kommunikation qualitativ pflegen statt mit Social Media usw. quantitaiv aufblasen..

      • @Bunte Kuh:

        Die Leute sollte mal den Mut finden, bewußt (und möglichst sonnvoll) anders zu sein als die breite Masse und nicht jeden noch so unsinnigen Trend mitmachen, weil man ja dazugehören will..