Proteste in Polen: „Wir werden siegen!“​

Zehntausende gehen in über 200 Städten gegen die geplante Disziplinierung von Richtern auf die Straße. Doch die PiS will die Reform durchziehen.

Demonstration vor dem Parlamentsgebäude am Mittwoch in Warschau. Im Vordergrund ist eine große polnische Flagge

Demonstration vor dem Parlamentsgebäude am Mittwoch in Warschau Foto: Slawomir Kaminski/reuters

WARSCHAU taz | Die Trillerpfeifen und Sprechchöre sind schon vom Warschauer Dreikreuzeplatz zu hören. Vor dem Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, sind eine Bühne und eine große Videoleinwand aufgebaut. „Heute die Richter, und morgen Du“ – mit diesem Schlagwort hatte das Komitee der Demokratie-Verteidigung (KOD) zur Großdemonstration gegen Polens regierende Nationalpopulisten aufgerufen.

Zehntausende Bürger folgten am Mittwochabend diesem Appell. In rund 200 polnischen Städten demonstrierten aufgebrachte Bürger vor den Gerichten. „Erst langsam verstehen wir, dass wir die Richter verteidigen müssen, wenn wir uns verteidigen wollen“, ruft die Star-Regisseurin Agnieszka Holland der Menge in Warschau zu. „Wenn die Richter erst ihre Unabhängigkeit verloren haben, dann verlieren auch wir unsere Freiheit. Vor Gericht werden wir im Streit mit dem Staat keine Chance mehr haben. Heute die Richter, und morgen wir!“

Die Menge skandiert im Dunklen „Hanba! Schande!“ und drängt näher an die gut ausgeleuchtete Bühne heran. Wer neben dem hell angestrahlten 30 Meter hohen Obelisken für die Heimatarmee AK steht, die im Zweiten Weltkrieg gegen die deutschen Besatzer kämpfte, kann zwar von den „traurigen Herren“, wie die Agenten des polnischen Geheimdienst im Volksmund genannt werden, gut gefilmt werden, sieht aber selbst kaum, was auf der Bühne abgeht.

Als Richter Igor Turleya das Mikrofon in die Hand nimmt, wird es so still, dass man nur noch die leisen Klänge eines Weihnachtsliedes hört. Turleya, der seit Beginn des Justiz-Umbaus durch die nationalpopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Jahre 2016 immer wieder das Wort ergriffen hat, um die Rechtsstaatlichkeit in Polen zu verteidigen, wirkt am Mittwochabend niedergeschlagen. „Heute erleben wir einen schweren Tag. Wieder einmal stehen die freien Gerichte zur Disposition. Ich kann Euch nicht versprechen, dass wir diese Schlacht gewinnen werden, aber wir Richter – wir sind rund 10.000 – werden bis zum Schluss kämpfen.“

Ringen nach Worten

Er steht hager und leicht gebeugt vor dem silbern leuchtenden Schriftzug „Konstytucja – Verfassung“ und stockt immer wieder. Das Reden fällt ihm dieses Mal schwer. „Am Ende wird das Gute über das Schlechte triumphieren“, setzt er neu an, und die Menge skandiert: „Wir werden siegen! Wir werden siegen!“

Doch er winkt ab und bitte um Ruhe: „Man bewirft uns nicht nur mit Dreck, sondern gipst uns auch den Mund zu, setzt uns auf die Anklagebank, und wenn das neue Gesetz durchkommt, werden wir auch im Gefängnis landen.“ Die Demonstranten werden unruhig. Weiß Turleya möglicherweise mehr als sie?

Ein älterer Mann verteilt aus seiner Aktentasche Kopien des „Richter-Repressionsgesetzes“, mit dem die PiS die polnischen Richter auf Linie bringen will. Vor einigen Tagen erst hatte das Oberste Gericht in Polen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg umgesetzt und sowohl die Legitimität der neuen Disziplinar-Kammer als auch des Neo-Landesjustizrates bestritten.

Der Landesjustizrat war bislang ein politisch unabhängiges Richter-Gremium, das unter anderem über Berufungen von Richtern Berufungen und deren Versetzungen entschied. Der an seine Stelle getretene Neo-Landesjustizrat wird vom Parlament (also von der PiS) gewählt und ist damit von der Legislative abhängig.

Neues „Maulkorb“-Gesetz

Nach Ansicht des Obersten Gerichts verletzt er damit das Prinzip der Gewaltenteilung, die in Polens Verfassung wie in den EU-Verträgen festgelegt ist. Doch weder die PiS-Regierung noch das PiS-beherrschte Abgeordnetenhaus denken auch nur daran, das Urteil des Obersten Gerichts umzusetzen. Vielmehr soll mit dem neuen „Maulkorb“- Gesetz allen Richtern in Polen verboten werden, sich politisch zu betätigen und die Legitimität von Richterkollegen in Frage zu stellen.

Die Disziplinarstrafen sehen Degradierungen, Versetzungen, Einkommenseinbußen und Berufsverbot vor. Die PiS, die sich weder an das Urteil des Obersten Gerichts noch des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg gebunden fühlt, will das neue Richter-Repressions-Gesetz noch vor Weihnachten durch das Parlament bringen.

Turleya aber sagt am Mittwochabend in Warschau: „Wenn es uns einmal nicht mehr geben sollte, sagt euren Kindern, dass es in Polen einmal freie Gerichte gab. Man kann alles wieder aufbauen. Auch unabhängige Gerichte“.

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