Das wird schon!

2020 ist noch jung an Tagen, aber es wird ein wirklich bedeutendes Jahr werden.
Da darf man sich sicher sein: weil doch nämlich in diesem Jahr der BER eröffnen wird. Aber da passiert noch mehr.
Fünf Ausblicke

Schon so eine Art Abschied: Michael Müller macht ein Foto von sich mit dem Flughafen Tegel, der dann ja Ende 2020 Geschichte sein soll Foto: Fabian Sommer/dpa

Am 31. Oktober 2020 muss es dann richtig funktionieren: Gepäckaufgabe, noch probeweise, im November 2019 am BER Foto: Tobias Schwarz/afp

Ein wohlklingendes Zeichen

Neu in diesem Jahr: Die Ausländerbehörde heißt nun Landesamt für Einwanderung und sollte eine „echte Willkommensbehörde“ sein – eigentlich

Von Susanne Memarnia

Ausgerechnet in Zeiten, in denen die Furcht vor einer imaginierten Bedrohung durch Migranten und andere „Fremde“ grassiert, setzt Rot-Rot-Grün ein wohlklingendes Zeichen: die Ausländerbehörde – Ort des Schreckens für alle, die eine Aufenthaltserlaubnis brauchen oder mit Abschiebung rechnen müssen – wird umbenannt: Seit 1. Januar heißt sie Landesamt für Einwanderung.

Doch um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Hintergrund ist weniger ein ideologisches Bekenntnis von Rot-Rot-Grün zur multikulturellen Einwanderungsgesellschaft als handfestes Eigeninteresse: „Berlin braucht Fachkräfteeinwanderung vor allem aus wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gründen“, erklärte Innensenator Andreas Geisel (SPD) vor knapp zehn Monaten, als er die Umwandlung der Ausländerbehörde „zu einer echten Willkommensbehörde“ bekannt gab.

Das Amt, das 2019 rund 400.000 „Kundenkontakte“ hatte, rund 170.000 Titel und Bescheinigungen ausgestellt hat und für rund 700 Ausweisungen verantwortlich war, soll demnächst auch jene 6.000 zusätzlichen Einwanderer pro Jahr willkommen heißen, mit denen die Innenverwaltung aufgrund des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes rechnet, das im März in Kraft tritt. Dafür wird personell kräftig aufgestockt – von 460 Stellen auf 533.

Es könnte sich allerdings bald herausstellen, dass die Erwartungen zu hoch geschraubt sind. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung etwa kritisiert am Fachkräftegesetz, dieses werde kaum zu nennenswerter Einwanderung beitragen – die Hürden bei Berufsanerkennung und Sprachkenntnissen seien weiterhin zu hoch, das Prozedere viel zu kompliziert.

Das Gute daran: Die vielen neuen MitarbeiterInnen könnten dann ihren offenbar überforderten KollegInnen unter die Arme greifen. Sowohl „KundInnen“ als auch Anwälte, die sie begleiten, berichten der taz immer wieder über teils massive Probleme der Behörde: Termine könnten oft nur für Monate im Voraus gebucht werden, bei Vorsprachen ohne Termin müsse man stundenlang warten. Zum Teil erzählen Betroffene, dass sie schon nachts angestanden hätten, um überhaupt die Chance auf eine Wartenummer zu haben – ganz zu schweigen von unfreundlichen und herablassenden MitarbeiterInnen.

Angesichts solcher Erfahrungen könnte sich eine weitere Neuerung im neuen Landesamt als sehr nützlich erweisen: eine zentrale Beschwerdestelle und eine ehrenamtliche Ombudsperson, die den Beschwerden nachgehen soll.

Nur mit einem Jahr Verspätung

Ab September 2020 soll das Humboldt Forum die neue Touristenattraktion der Stadt sein und dem Schloss auch endlich einen Inhalt geben

Von Susanne Messmer

Ursprünglich sollte es wenigstens etappenweise zum 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt eröffnen, am 14. September des vergangenen Jahres also. Dann hieß es, es würde wohl eher November. Und als im Juni 2019 die Nachricht kam, das Humboldt Forum in der Attrappe des Hohenzollernschlosses werde erst ein ganzes Jahr später und weiterhin nur Schritt für Schritt an den Start gehen, nämlich im September 2020, und außerdem werde es auch noch schlappe 50 Millionen Euro teurer, da hatten die Berliner mal wieder einen schönen Anlass, sich die Augen zu reiben. Nicht zuletzt jene, die – egal ob von Anfang an oder auch als Quereinsteiger in der Debatte – mit dem Wiederaufbau des Schlosses hadern.

Doch seit den ersten Werbekampagnen Wilhelm von Boddiens für den Wiederaufbau sind drei Jahrzehnte vergangen, seit dem Abriss des Palasts der Republik 13 Jahre. Und die Organisatoren des Humboldt Forums wie die Vertreter der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der die beiden größten Museen gehören, deren Sammlungen im Schloss ihren neuen Platz finden, haben auch durch die bissigen Berliner dazugelernt. Sie wissen, dass an der kolonialen Raubkunst ihrer Sammlung noch viel Provenienzforschung betrieben werden muss. Auch wenn sie den Widerspruch zwischen königlicher Form und postkolonialem Inhalt nie werden auflösen können: Die Kritik hat sie aufgeweckt.

Was wird uns also erwarten, wenn das Humboldt Forum im Herbst wirklich eröffnet? Sicher werden nach wie vor viele Objekte aus dem Museum für Asiatische Kunst und dem Ethnologischen Museum zu sehen sein, deren Herkunft weiterhin ungeklärt ist – was dann Initiativen wie Berlin Postkolonial zu Recht kritisieren werden. Es wird aber auch Räume geben, die durch eine produktive Zusammenarbeit von Berliner Museumsmachern und Experten aus den Herkunftsländern der Objekte entstanden sind. Schlicht und ergreifend wird es für viele Besucher ein echtes Erlebnis, Kultobjekte wie die Südseeboote wiederzusehen, die seit ihrem Auszug aus Dahlem in großen Kisten schlummern.

Die größte Sorge gilt eigentlich vor allem den Touristen, die das Humboldt Forum anziehen wird. Ein Museum für die ganze Stadtgesellschaft, die sich hier wie im Centre Pompidou in Paris verabreden und auch immer neu zusammenraufen kann, wird das Humboldt Forum nicht werden. Da wird man schon eher seine Hoffnungen auf das Museum der Moderne neben der Philharmonie setzen müssen. Das aber kommt frühestens 2026.

Wer wird denn gleich in die Luft gehen?

Tatsächlich, wirklich, richtig und ganz und gar: Am 31. Oktober 2020 eröffnet der BER,
die Verkehrsprobleme können beginnen

Von Bert Schulz

Stellen Sie sich mal vor, wenn Sie vom Hauptbahnhof … mit zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen … am … am Hauptbahnhof starten Sie Ihren Flug.“ Krass, dass solche Stammelsätze wie dieses legendäre Geholpere von Edmund Stoiber bei seiner auf München gemünzten Transrapid-Rede 2002 Ende kommenden Jahres auch in Berlin zu hören sein könnten.

Denn wenn tatsächlich, wirklich, richtig und ganz am 31. Oktober 2020 der BER eröffnet werden sollte – was Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup Ende November des vergangenen Jahres versprochen hat –, dann wird die Anbindung an den Pleiten-Pech-und-Pannen-Flughafen wieder in den Mittelpunkt der Debatte rücken.

Wer ab und an zum Flughafen Schönefeld rausmuss, weiß, dass dieser mit Bahn oder S-Bahn eigentlich gar nicht so schlecht zu erreichen ist. Allerdings wird derzeit der Großteil der Flugreisen in Berlin noch über Tegel abgewickelt. Wenn Tegel planmäßig dann wenige Wochen nach der BER-Eröffnung schließt, müsste der BER in Schönefeld allein die mehr als 30 Millionen Passagiere jährlich abfertigen, die in Berlin starten und landen.

Laut der Flughafengesellschaft und dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg werden ab der geplanten Eröffnung insgesamt 14 Züge pro Stunde in dem neuen Bahnhof unterhalb von Terminal 1 halten – eingeschlossen in diese Rechnung sind S-Bahnen, Regionalbahnen und ICs. Auch Busse von Rudow aus, dem Endpunkt der U-Bahn-Linie 7, wird es geben, weitere Busanbindungen sind versprochen. Das klingt imposant, doch ob die Kapazitäten reichen, wird sich zeigen müssen. Denn zum einen lehrt die Geschichte des BER, dass alle Ankündigungen und vermeintlichen Gewissheiten erst einmal infrage gestellt werden müssen. Und genau wie der Bau des Flughafens verzögert sich auch eine geplante Bahnstrecke nach Schönefeld.

So hat erst Anfang 2019, nach vielen Jahren Debatte, der Bau der sogenannten Dresdner Bahn im Südosten Berlins begonnen, die den BER vor allem schneller anbinden soll. Laut der Deutschen Bahn kann der geplante Flughafen­shuttle zwischen dem Hauptbahnhof und dem BER nur über diese Strecke im 15-Minuten-Takt eine Fahrzeit von 20 Minuten erreichen und gut 10 Minuten schneller sein als die derzeitigen Verbindungen. Allerdings sollen erst Ende 2025 auf der 16 Kilometer langen Trasse Züge fahren.

Auch wer es nicht lassen kann und mit dem Auto zum BER fährt, sollte rechtzeitig vor dem Abflug aufbrechen. Denn die baufällige Elsenbrücke an der Grenze zwischen Treptow und Friedrichshain soll ab diesem Jahr abgerissen werden; auf der wichtigen Spreeüberquerungen in der südöstlichen Innenstadt stehen deshalb weniger Fahrspuren zur Verfügung.

Vielleicht bringt also im Laufe des Jahres wieder ein geltungshungriger Politiker den Bau einer Magnetschwebebahn ins Gespräch (Pläne für eine Berlin–Hamburg-Verbindung gab es übrigens schon mal). Mögliches Argument: Die Dinger fahren in China ja auch.

Natürlich ist aber auch nicht völlig unwahrscheinlich, dass der BER doch nicht schon Ende Oktober so ganz zur Eröffnung bereit ist. Und dann beginnt wieder eine andere, allerdings schon nach vielen früheren Nichteröffnungen geführte Debatte.

Wie kann Großstadt gelingen?

Am 1. Oktober 1920 wurde Berlin mit dem Groß-Berlin-Gesetz zur Weltstadt. Die Feierlichkeiten 2020 zum Hundertjährigen sind auch Anlass, die Stadt weiterzudenken

Von Uwe Rada

Als „Prenzlauer Tor“ 1920 zum vierten Berliner Bezirk wurde, wurde auch das Bezirksjugendamt gegründet. Stadtrat Walter Friedländer kümmerte sich fortan um Kriegswaisen und Kinder aus verarmten Familien. „Die Arbeit in diesem Bereich kann als Pionierleistung der modernen Sozialarbeit bezeichnet werden“, sagte der Leiter des Pankower Museums, Bernt Roder, vor Kurzem der Berliner Woche. Im Herbst wird das Museum in der Heynstraße in der Ausstellung „100 Jahre Groß-Berlin“ an Friedländer und sein Bezirksjugendamt erinnern.

Mit dem „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ wurde die deutsche Hauptstadt am 1. Oktober 1920 auf einen Schlag zur Weltstadt. Die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner stieg von 1,9 Millionen auf 3,8 Mil­lionen, Berlin war nach London und New York die größte Stadt der Welt. Und es bekam eine ­Verwaltung, deren Besonderheit mit der Doppelstruktur bis heute Gültigkeit hat. Um die vorwiegend wohlhabenderen anderen sechs kreisfreien Städte, 29 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke von der Eingemeindung nach Groß-Berlin zu überzeugen, wurden 20 Bezirke geschaffen. Die meisten behielten ihren Namen bis zur ­Bezirksgebietsreform von 2001. Nur aus Prenzlauer Tor war zuvor schon Prenzlauer Berg geworden.

Berlin begeht das stadtgeschichtliche Jubiläum angemessen und kritisch. Bereits am 26. April öffnet die zentrale Ausstellung „Chaos und Aufbruch. Berlin 1920/2020“ im Märkischen Museum. Die Stiftung Stadtmuseum Berlin hat sich mit der Ausstellung einiges vorgenommen, heißt es in der Ankündigung: „Mit Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart geht sie der Frage nach, wie aus einem chaotischen Umbruch ein konstruktiver Aufbruch gestaltet werden kann: Wie kann Großstadt gelingen?“ Zeitgleich finden auch in allen Bezirksmuseen Ausstellungen zum Thema Groß-Berlin statt.

Selten hat ein historisches Ereignis einen so hohen Gegenwartsbezug wie die große Eingemeindung vor 100 Jahren. „Die große Chance für das Jubiläum ist nicht unbedingt, dass wir Berlin feiern, bis wir umfallen“, sagt der Stadthistoriker und Planer Harald Bodenschatz, „sondern dass wir Dinge besprechen, die wir im Alltag nicht besprechen können. Die tabuisiert sind, für die wir sonst keine Zeit haben.“ Zusammen mit dem Architekten- und Ingenieur-Verein (AIV) organisiert Bodenschatz deshalb nicht nur eine Ausstellung im Herbst unter dem Titel „Auf dem Wege zu einer nachhaltigen Hauptstadtregion“. Es soll auch einen städtebaulichen Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070 geben. „Der Planungsraum endet nicht an der Stadtgrenze“, sagt dazu Bodenschatz.

Die Zusammenarbeit über die Ländergrenze hinweg hat sich auch die Stiftung Zukunft Berlin zum Ziel gesetzt. Sie organisiert unter der Überschrift „100 Jahre Groß-Berlin und 30 Jahre Brandenburg“ Initiativen, die sich mit der Verbesserung der grenzüberschreitenden Kooperation beschäftigen.

Nur an ein Erbe von 1920 will sich niemand so recht herantrauen: die eben doppelt genähte Berliner Verwaltung aus Senat und Bezirken. Die hätte nur bei einer Länderfusion auf dem Prüfstand gestanden. Doch diese radikalste Konsequenz für die Zukunft steht derzeit nicht mehr zur Debatte.

Vor dem Führungswechsel

Im Mai ist Landesparteitag der SPD, und der Vorstand wird neu gewählt. Es scheint dabei schon logisch, dass Michael Müller danach nicht mehr Landeschef ist

Von Stefan Alberti

Facts first: Michael Müller hat keineswegs selbst angekündigt, dass er nach dem nächsten Landesparteitag am 16. Mai nicht mehr Landesvorsitzender der Berliner SPD sein will. Bisher jedenfalls nicht.

Aber zum einen ist ein Führungswechsel gerade eines der Lieblingsthemen der Berliner Sozial­demokraten. Und zum anderen ist es eine Frage der Logik, dass die Partei nicht mit ihm weitermacht, wenn sie jemals wieder Wahlen gewinnen will.

Diese Logik hat nicht zwingend mit Fehlern von Müller zu tun. Es ist wie bei Trainerwechseln im Fußball: Der gefeuerte Coach ist längst nicht immer daran schuld, dass seine Mannschaft so schlecht spielt – aber er hat es eben nicht mehr geschafft, seine Leute zu motivieren oder mit seinem Spielsystem durchzudringen. Der Spruch „Neue Besen kehren gut“ ist zwar so alt wie falsch – aber er steht immerhin für die Hoffnung, dass sich etwas zum Besseren wenden könnte.

Müller ist wie dieser Coach: Er hat Qualitäten, er hat erst jüngst im Parlament als Redner geglänzt, er dringt, gemessen daran, dass sein Landesverband eher klein ist, durchaus auch bundesweit mit seinen Themen durch. Aber die Umfragewerte für ihn persönlich und für die SPD insgesamt sind immer weiter nach unten gegangen. In den Köpfen einer großen Mehrheit der Berliner hat sich festgesetzt, dass Müller blass ist und nicht gut regiert. Die Unzufriedenheit mit der zu viel streitenden gesamten Landesregierung spiegelt das, und sie geht zwangsläufig am meisten zulasten des Koalitionspartners, der den Regierungschef stellt, Müllers SPD.

Will die SPD wirklich aus dem Keller und bei der Abgeordnetenhauswahl im nächsten Jahr eine Chance haben, dann muss sie genau auf jenem Parteitag wechseln und ein neues Gesicht an die Spitze wählen, denn mit diesem Vorstand geht sie dann 2021 in die Abgeordnetenhauswahl. Dafür kommen nach jetzigem Stand nur zwei infrage: Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Innensenator Andreas Geisel. Beide sind alles andere als Ikonen des linken Parteiflügels, der den Landesverband dominiert – mancher sagt, es gebe gar keinen konservativen Flügel, sondern höchstens noch eine Mitte um Müller herum.

Nur einmal hat der im vergangenen Jahr selbst etwas zu seiner politischen Zukunft gesagt: Natürlich gebe es auch andere schöne politische Aufgaben, antwortete Müller, als ihn der Tagesspiegel im Oktober fragte, ob er sich vorstellen könne, aus der Landespolitik in den Bundestag zu wechseln.

Aber wie soll das gehen? Der Nochregierungschef auf einem hinteren Platz auf der SPD-Kandidatenliste, weil vorne eine Frau stehen soll? Da ist höchstens denkbar, dass Müller als Direktkandidat im frei werdenden Spandauer Wahlkreis antritt.