Spenden – aber wofür?: Kein Bild von traurigen Kindern
Im Wort „spenden“ liegt das Wort „enden“. Auf der Suche nach der Frage, was hinter dem Bedürfnis steckt, Leid zu mildern, und wie man es am besten tut.
V iele Leute haben das Gefühl, dass alles immer schlimmer wird: Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Rechtsextreme im Aufwind. Die USA mit einem durchgedrehten Präsidenten. Der Klimawandel, eine existenzielle Bedrohung für alle.
In der Tat, das ist schlimm, dabei aber fällt oft unter den Tisch: Vieles wird auch besser. Und zwar sehr viel besser.
Den Berichten des schwedischen Gesundheitsforschers Hans Rosling zufolge weiß kaum jemand, dass sich etwa die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, seit 1990 weltweit mehr als halbiert hat.
Als ich Roslings Buch „Factfulness. Ten reasons we’re wrong about the world – and why things are better than you think“ las, merkte ich: Ich will daran teilhaben. Ich will, dass die Dinge besser werden, und ich dachte, dass ich monatlich auf jeden Fall 50 Euro übrig habe, die ich für eine gute Sache einsetzen kann.
Kai Fischer, Fundraising-Berater
Im Sommer 2017 bin ich nach vielen Jahren Studium mit der Uni fertig und beginne mein Volontariat. Nicht nur habe ich erstmals ein ausreichendes, regelmäßiges, selbstverdientes Einkommen, ich muss mir auch nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie es im Beruf weitergeht. Zumindest ein paar Monate lang nicht.
Zaghafter Aktivismus reicht nicht
Ich habe in den Jahren zuvor immer wieder über Privilegien nachgedacht und gesprochen, auch über Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung. Ich habe viel zu diesen Themen gelesen und geschrieben. Ich bin Vegetarierin und gehe auf Demonstrationen wie Fridays for Future. Es ist nicht so, als hätte ich mich während meiner Ausbildung nicht damit beschäftigt, Gutes zu tun – aber eben sehr halbherzig.
Mir reicht mein zaghafter Aktivismus der vergangenen Jahre nicht mehr. Ich beginne in jener Zeit, einem Obdachlosen, der in der Berliner Friedrichstraße steht, immer wieder eine Straßenzeitung abzukaufen. Anfangs lächeln wir uns nur an, irgendwann bleibe ich stehen. Ich gebe ihm eine Zigarette, wir reden über das Wetter. Ich fühle mich gut dabei.
Um eine regelmäßige Spende für die Obdachlosenarbeit, Flüchtlinge aus Syrien oder Kriegsopfer im Jemen schleiche ich jedoch herum. Über allem steht die Frage: Was bringt eine Spende überhaupt? Wem ist damit wie geholfen? Befriedige ich nur mein Bedürfnis, irgendwas Gutes zu tun?
Und: Wie zur Hölle soll ich meine Spendenentscheidung treffen?
Laut der repräsentativen „Bilanz des Helfens“, die das Meinungsforschungsinstitut GfK im Auftrag des Deutschen Spendenrats jährlich veröffentlicht, kamen allein zwischen Januar und September dieses Jahres 15,7 Millionen Privatpersonen in Deutschland Spendenaufrufen nach. Sie spendeten 3,3 Milliarden Euro an gemeinnützige Organisationen oder Kirchen. Das klingt viel, ist aber, was die Zahl der Spendenden angeht, ein historischer Tiefstand: Dieselbe Befragung kam 2005 auf fast doppelt so viele Spender*innen. Auffallend übrigens: Menschen über 70 Jahren tragen zu mehr als 40 Prozent des Spendenvolumens bei. Der Anteil der unter 40-Jährigen, zu denen ich zähle, liegt dagegen bei etwa 11 Prozent.
Warum spenden wir nicht? Liegt es daran, dass jüngere Menschen andere Themen in ihrem Leben haben? Dass sie weniger Geld haben? Dass die Qual der Wahl sie lähmt; so wie mich? Oder sorgen sie sich, dass ihre Spende sowieso „nicht ankommt“?
Fast jeder Fünfte nannte in der GfK-Erhebung als Spendenanstoß den persönlich adressierten Werbebrief – das ist nicht gerade das typische Medium der Mittdreißiger. Deshalb werden soziale Medien auch für Spendenorganisationen wichtiger: Facebook sammelte nach eigenen Angaben seit 2015 2 Milliarden US-Dollar durch Spendenaktionen. Diese gehen aber nicht immer an seriöse Organisationen, sondern können auch von Privatpersonen für eigene Zwecke gesammelt werden.
Die SOS-Kinderdörfer gaben laut Facebook an, über das Netzwerk insgesamt mehr als 700.000 Euro gesammelt zu haben. Gemessen an den 72,8 Millionen Euro, die die Organisation allein im Jahr 2018 an Spenden erhalten hat, ist das nicht sehr viel.
Mehrere Initiativen in Deutschland wollen die Spendenentscheidung erleichtern. Dazu gehört der Deutsche Spendenrat, ein Verband von fast 70 gemeinnützigen Organisationen. Der Spendenrat listet auf seiner Seite zahlreiche Spendentipps auf. So rät er etwa davon ab, ohne konkreten Aufruf Sachspenden wie Kleidung zu geben. Dort heißt es, dass viele Menschen gern das Gefühl haben wollen, „direkt“ zu helfen – dass aber Organisationen im Zweifelsfall mit Geld mehr anfangen können.
Außerdem stellt der Spendenrat Anforderungen an seine Mitglieder: Diese müssen ihre Finanzen und Strukturen offenlegen. Die Organisationen werden alle drei Jahre von einem Wirtschaftsprüfer kontrolliert, jährlich führt zudem die Spendenrats-Geschäftsführung eine Prüfung durch.
Max Mälzer ist Geschäftsführer des Spendenrats. Der 36-jährige Jurist sitzt an einem Donnerstag um acht Uhr morgens in einem Café in Berlin. Er will ein paar Sachen klarstellen. Vielen Menschen sei es wichtig, dass die Verwaltungskosten so niedrig wie möglich sind – auch Hilfsorganisationen selbst werben häufig mit niedrigen Verwaltungskosten. Das regt Mälzer auf. „Ich plädiere für brutale Ehrlichkeit: Ja, wir haben Verwaltungskosten. Unsere Leute müssen angemessen bezahlt werden. Nur dann machen sie auch eine gute Arbeit“, sagt er. Außerdem benötige man eine gute und transparente Infrastruktur, die koste eben Geld.
Dieselbe Einstellung hat auch das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen, welches das begehrte DZI-Siegel an Organisationen vergibt. Damit werben zahlreiche bekannte Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Save the Children.
Das DZI informiert auf seiner Seite darüber, welche Fragen sich Spendenwillige im Vorhinein stellen sollten. Beispielsweise raten DZI, Spendenrat wie auch viele einzelne Organisationen davon ab, zweckgebunden zu spenden; also etwa nach einem Erdbeben in Indonesien eine Spende mit dem Überweisungszweck „Erdbeben Bali“ zu überweisen. Das Problem nämlich sei, dass viele Organisationen, besonders bei medienwirksamen Katastrophen wie etwa dem Tsunami 2004, extrem viel Geld erhalten – während es zahlreiche Regionen mit Schwierigkeiten gibt, die unter dem Radar laufen. Sobald eine Spende jedoch explizit zweckgebunden überwiesen wird, dürfen Organisationen sie für nichts anderes mehr verwenden.
Max Mälzer, Geschäftsführer des Spendenrats
Auch Spendenrat-Geschäftsführer Mälzer rät von zweckgebundenen Spenden ab, sofern nicht explizit dazu aufgerufen wurde. Er fügt grundsätzlich hinzu, dass es auch nicht gleich die Dauerspende von 100 Euro im Monat sein muss – kleine und einmalige Beträge seien ebenso willkommen.
Aber woher soll ich überhaupt wissen, wofür ich spenden will? Soll ich nach meinen Interessen gehen? „Die Entscheidung kann und möchte ich niemandem abnehmen, das würde ich schon fast als übergriffig empfinden“, antwortet Mälzer. „Jeder sollte seinem Herzen folgen und jeder muss damit im Reinen sein.“
Ich verstehe seinen Impuls, mich stellt die Antwort jedoch nicht zufrieden. Soll ich nun täglich einem Obdachlosen einen Euro geben oder dem UNO-Flüchtlingswerk 365 Euro im Jahr? Genau das rät mir nämlich Frederik* (Name geändert), mit dem ich in Berlin-Mitte bei einem UNHCR-Stand ins Gespräch komme. Ich spreche ihn an, weil ich im Rahmen der Recherche wissen will, wie er versuchen wird, mich von einer Spende zu überzeugen.
Der Student zeigt sich überwältigt, dass ich auf ihn zukomme. „Ich mache diesen Job seit Monaten, und noch nie wurde ich angesprochen – eigentlich muss ich die Leute immer dazu überreden, stehen zu bleiben“, sagt er. Von überrascht wechselt er schnell in professionell-übermotiviert: Der junge Mann will innerhalb von zwei Minuten einen Vertrag mit mir abschließen; er erzählt im Schnelldurchlauf von der Flüchtlingssituation in Bangladesch, wo immer noch Hunderttausende aus Myanmar vertriebene Rohingya in Flüchtlingslagern leben. Er erzählt vom Leid in Nordsyrien, dem Stellvertreterkrieg im Jemen. „Und wir sind überall dort vor Ort“, sagt er. Das UNHCR würde bei all diesen Katastrophen helfen; wie genau, bleibt vage. Als ich um etwas Bedenkzeit bitte, erzählt er mir von der Widerrufsmöglichkeit – erst mal unterschreiben, ich kann ja immer noch einen Rückzieher machen.
Aber klar: Er muss auch Geld machen. Angestellt ist er bei einem Unternehmen, das seine Mitarbeiter regelmäßig für unterschiedliche Organisationen auf die Straße schickt. Laut der Internetseite seines Arbeitgebers DialogDirect verdienen Mitarbeitende im Durchschnitt zwischen 2.200 bis mehr als 2.500 Euro im Monat. Der Druck, täglich Verträge abzuschließen, ist hoch.
Ich bezweifle nicht, dass die UNO an vielen Stellen wichtige und gute Arbeit macht. Ich habe bloß bei Frederiks Vortrag keine Beweise dafür gehört; er hat ausschließlich an mein Mitleid appelliert. Ich sehe Fotos trauriger Kinder und spüre, wie ich diese Spendenentscheidung nicht bewusst und informiert treffen würde, sondern rein emotional. Das widerstrebt mir zutiefst.
Die US-Organisation GiveWell mit Sitz in Kalifornien sieht das genauso. Sie sucht und untersucht besonders effektive Hilfsorganisationen. Anders als beim Spendenrat und dem DZI geht es ihr neben der finanziellen Transparenz zusätzlich um Inhalte und die Effektivität von Maßnahmen. GiveWell folgt dabei immer der Frage: Wie kann ich mit dem Geld, das ich spenden will, am meisten Gutes bewirken?
Seit ihrer Gründung 2007 untersucht GiveWell immer wieder neue Hilfsorganisationen; unter anderem geht es darum, wie mit kosteneffektiven Maßnahmen für möglichst viele die Lebensbedingungen verbessert werden können. Jährlich veröffentlicht die Organisation die Ergebnisse ihrer Recherchen, die für alle einsehbar sind. Als besonders effektiv werden Jahr für Jahr Organisationen zur Malaria-Prävention, der Entwurmung von Kindern und für den direkten Bargeld-Transfer an besonders arme Menschen empfohlen. Auf der Webseite von GiveWell sind kaum Fotos mit traurig dreinblickenden Menschen; die Organisation wirbt mit Inhalten.
Einer der Wirtschaftsnobelpreisträger 2019, der Armutsforscher Michael Kremer, führte mehrere Studien zu dem Thema durch: Unter anderem wies er nach, dass Kinder in Kenia, die Entwurmungsmedikamente bekommen haben, seltener in der Schule fehlen. Das Ergebnis einer anderen Studie war gar, dass Männer, die als Kinder diese Medikamente bekommen hatten, sich nach dem erfolgreichen Schulabschluss später besser auf dem Arbeitsmarkt schlagen; bei Frauen konnte eine höhere Schulbildung nachgewiesen werden. Was für eine verlockende Kausalkette. Gemeinsam mit seiner Co-Nobelpreisträgerin Esther Duflo gründet Kremer die Organisation „Deworm the World Initiative“, die Entwurmungspillen an Kinder verteilt.
Spendenwirkung evaluieren
In Deutschland wird der Ansatz der strikten Effektivität bei Spendenentscheidungen bislang noch kaum genutzt; GiveWell verzeichnete 2018 nur 726 Spender*innen mit Wohnsitz in Deutschland und einem Spendenvolumen von ungefähr 470.000 Euro an ihre sogenannten Top Charities. Um das zu erhöhen, führt Sebastian Schwiecker seit diesem Frühjahr die deutsche Organisation „Effektiv spenden“. Der 40-jährige Schwiecker kommt wie GiveWell von der Bewegung des Effektiven Altruismus.
Effektive Altruist*innen wollen mit ihrem Geld so viel Gutes wie möglich tun; die Bewegung folgt der Annahme, dass Spenden an effektive Organisationen dafür der richtige Weg sind.
Schwiecker arbeitete nach seinem VWL-Studium in der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. „Da hab ich mitbekommen, wie unterschiedlich wirksam Projekte sein können“, sagt er in einem Coworking-Space in Kreuzberg. Hier arbeitet er derzeit mit einem Praktikanten. Das industrie-schicke Gebäude ist voller junger hipper Menschen. Wir duzen uns sofort; der 40-Jährige passt oberflächlich perfekt in die Logik der Berliner Start-up-Szene. Nur, dass er im Gegensatz zu vielen tatsächlich etwas zu sagen hat.
Sein „Aha-Erlebnis“ bei der KfW-Entwicklungsbank hatte mit Mikrokrediten in Bangladesch zu tun: Als Mitarbeiter in der Evaluierung beobachtete er, wie zwei ähnliche Projekte mit ähnlichem Budget eine völlig unterschiedliche Anzahl an Menschen erreichten.
Als er selbst anfangen will zu spenden, merkt er, dass es gar nicht so einfach ist, diese Entscheidung zu treffen. „Bei den Spendensiegeln wird mehr drauf geachtet, dass das keine schwarzen Schafe sind – das ist natürlich wichtig. Ich wollte aber wissen: Wer sind die Besten? Ich wollte nicht wissen: Wer sind die Nicht-Verbrecher?“ So kam er zur Effektiver-Altruismus-Bewegung.
Bis November stellte er auf seiner Seite nur die GiveWell-Empfehlungen auf Deutsch vor, die sich auf Hilfsorganisationen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit beschränken. Seit Kurzem ist die Webseite um ein brandaktuelles Thema ergänzt: Klimaschutz. „Ich bin optimistisch, das Ende der Armut noch erleben zu können – beim Klimawandel bin ich weniger optimistisch“, begründet Sebastian Schwiecker die Entscheidung.
Bei einem Vortragsabend präsentiert Schwiecker seine neuen Empfehlungen zu Klimaschutz-Spenden vor etwa hundert Zuschauern und Zuschauerinnen. Das Publikum ist jung und hört motiviert zu; in dem Raum sind etwas mehr Männer als Frauen. Einige kommen selbst aus der Spendenbranche, wieder andere studieren an der privaten Wirtschaftshochschule, in deren Hörsaal die Veranstaltung stattfindet.
„Ich hab vor ein paar Monaten angefangen, wild Bäume in Berlin zu pflanzen. Ich dachte, so tu ich was fürs Stadtklima und gegen die Erderwärmung“, erzählt Schwiecker und zeigt das Foto eines vertrockneten Pflänzchens auf einem Straßenmittelstreifen. „Das ist kein Beispiel für aktiven Klimaschutz, so viel sei verraten.“ Das Publikum lacht.
Mit derartigem blinden Aktionismus sei er aber nicht allein, versichert er und verweist auf eine Umfrage der Unternehmensberatung A. T. Kearney vom September 2019: Diese befragte Menschen in Deutschland, was sie für sinnvolle Maßnahmen zur CO2-Vermeidung halten. 22 Prozent gaben an, keine Plastiktüten zu kaufen – dabei trägt das Vermeiden von Plastiktüten nur zu 3 Kilo CO2-Ausstoß weniger jährlich bei. Zum Vergleich: Eine vegetarische Ernährung führt der Erhebung zufolge zu 450 Kilogramm weniger CO2-Ausstoß. Plastiktüten zu vermeiden ist natürlich sinnvoll, um der Plastikflut in den Weltmeeren entgegenzuwirken – mit dem CO2-Ausstoß hat das aber so gut wie nichts zu tun.
„Es braucht eigentlich grundlegenden politischen und technologischen Wandel“, resümiert Schwiecker. Deswegen stellen zwei Redner im Hörsaal drei Organisationen vor, die ihrer Ansicht nach besonders effektiv gegen Klimawandel vorgehen und die Schwiecker auf seiner Internetseite empfiehlt. Thematisch geht es um den Schutz der Regenwälder, die Erforschung CO2-armer Energien und politischen Wandel.
Ein Mitarbeiter des Netzwerks Founders Pledge stellt die Coalition for Rainforest Nations vor, eine zwischenstaatliche Organisation von mehr als 50 Regenwaldländern, die sich für den Schutz der Regenwälder einsetzt. „Wir haben uns von Sebastian inspirieren lassen, der ja Bäume pflanzen wollte“, erläutert er lächelnd. Den Berechnungen zufolge kompensiert die Organisation für weniger als 1 Euro Spende den Ausstoß von etwa 1 Tonne CO2, indem armen Ländern finanzielle Anreize geboten werden, Entwaldung zu vermeiden. Der Betrag von weniger als 1 Euro pro CO2-Tonne kam dadurch zustande, dass die in der Vergangenheit bereits eingesparten Tonnen CO2 mit dem Budget und den Ausgaben verrechnet wurden. Founders Pledge gibt aber auch an, dass eine solche konkrete Summe nur eine theoretische Berechnung ist.
Bei der Veranstaltung wird klargestellt, dass diese Empfehlungen keineswegs davon abhalten sollen, gleichzeitig weniger Fleisch zu konsumieren und weniger zu fliegen – aber sie sollen eine Möglichkeit aufzeigen, darüber hinaus auf einer größeren Ebene etwas gegen die schädlichen Folgen des Klimawandels zu tun.
Ich bin vom effektiven Spenden überzeugt. Ich finde den Gedanken toll, mit meinem Geld messbar helfen zu können. Es beruhigt mich, die Spendenentscheidung mit Fakten unterlegen zu können und nicht einfach wild drauflos meinem Herzen zu folgen.
Dann rufe ich Kai Fischer an. Er ist mir als Kritiker des Effektiven Altruismus empfohlen worden. Vor dem Gespräch bin ich skeptisch, weil ich mir kaum vorstellen kann, dass meine Begeisterung für den Ansatz getrübt werden kann. Ich lerne dann einen Menschen kennen, der offensichtlich sehr viel Ahnung von der Branche hat – und die überzeugendste Kritik am Effektiven Altruismus liefert, die ich bisher gehört habe.
Der Fundraising-Berater ist in Hamburg ansässig und nimmt sich Zeit, aus seinem Erfahrungsschatz in der Arbeit und Beratung von Non-Profit-Organisationen zu berichten. „Ich komme aus ’ner linken Ecke, ist ja klar“, stellt der 56-Jährige sofort heraus. Die Fragestellung hinter seiner Arbeit ist eindeutig altruistisch: „Wie ist eine bessere Gesellschaft möglich? Wie kriegen wir die vielen Probleme in den Griff? Da geht es um Armut, um Ungerechtigkeit und Rassismus, um sexualisierte Gewalt.“ Fischer hält es für eine fundamentale Aufgabe von Fundraising, Sozialkapital aufzubauen. „Hier haben Organisationen die unglaubliche Aufgabe, Menschen auf Basis gemeinsamer Werte und Ideen zusammenzubringen.“
Auf die Frage, wofür Menschen denn nun spenden sollen, antwortet er genau das, was ich ablegen wollte: „Ganz platt gesagt: Hör' auf dein Herz. Es geht um die Frage: Welches Problem triggert mich am meisten? Was ist die größte Schweinerei auf dem Erdball?“, sagt er. Schließlich gehe es immer um verletzte Werte – um Ungerechtigkeit, die ich persönlich richtigstellen will, weil sie meine eigenen Werte verletze.
Fischer selbst spricht in dem Zusammenhang viel von Diskriminierung – für ihn die Wurzel vielen Übels. Immer wieder betont er, dass es beim Spenden um eine persönliche Entscheidung gehe. Hier setzt auch seine grundsätzliche Kritik am Effektiven Altruismus und dem Ansatz von GiveWell an. Er zweifelt nicht an, dass die von GiveWell empfohlenen Organisationen ihre Versprechen halten – für ihn handelt es sich aber nicht um eine massentaugliche Herangehensweise an das Thema Spenden.
„Das ist eine neoliberale Ideologie“, regt er sich auf. „Das ist zwar verführerisch, weil es in einem unübersichtlichen Feld Handlungsanleitung verspricht, aber es hilft am Ende nicht.“ Weil für die Mehrheit der Menschen das verloren ginge, was Spenden eigentlich ausmacht – nämlich, dass es eben keine rationale Entscheidung ist, sondern auf der Ebene von Werten und Erfahrungen funktioniert.
Die Gründe fürs Spenden sind vielfältig
Kai Fischer erzählt auf eine ebenso aufbrausende wie intelligente Art. Leidenschaftlich wird er, als ich ihn mit einer älteren Studie konfrontiere, in der Menschen erläutern sollen, warum sie nicht spenden, und viele dies auf ihre finanzielle Situation zurückführen. Eine völlig unsinnige Frage, findet er. Die Frage nach dem Nicht-Spenden sei nichtig, weil kaum jemand sich aktiv entscheide, nicht zu spenden. „Die Entscheidung zum Spenden oder auch zum Nicht-Spenden wird in einem vorbewussten Raum getroffen, der sprachlich nicht zugänglich ist“, sagt er. Deshalb könne man sie nicht beantworten. Wenn jedoch im Nachhinein in einer Studie gefragt wird, ist schnell ein Grund zusammengebastelt. Fischer spricht von nachträglicher Rationalisierung, was ein bekanntes Konzept in der Psychologie ist. Die Gründe, die Menschen angeben, zeigen ihm zufolge also mehr soziale Konventionen als tatsächliche Entscheidungen.
Der Fundraising-Berater stößt einen Gedankenprozess bei mir an. Welche Frage beantworte ich mit dem Spenden? Was triggert mich? Wenn ich mich täglich mit dem Obdachlosen unterhalte, dem ich auf meinem Arbeitsweg begegne, und ihm ein wenig Geld gebe – warum tue ich das? Das ist keine Spende, die strukturell etwas gegen Obdachlosigkeit bewirkt; soll sie aber auch gar nicht. In dem Moment schaffe ich eine einfache menschliche Verbindung zwischen ihm und mir, die mit Effektivität absolut nichts zu tun haben muss.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Ähnliches gilt, wenn ich eine Dauerspende an die Flüchtlingsorganisation in meiner unmittelbaren Nachbarschaft entrichte oder mich ehrenamtlich engagiere – es gibt Wege, Gutes zu tun, direkt in meinem Wohnumfeld. Aber die Motivation bei einer solchen Spende wäre womöglich auch eher, die neuen Nachbar*innen zu unterstützen und einen Beitrag für ein lokales gutes Miteinander zu leisten.
Das Gespräch erinnert mich an das Buch des israelischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Daniel Kahneman „Schnelles und langsames Denken“ über die Psychologie menschlicher Entscheidungen, in dem es auch um das von Kai Fischer angesprochene Phänomen geht, dass die meisten Entscheidungen nicht bewusst getroffen werden. Kahneman argumentiert, häufig würden Menschen eigentlich eine andere Frage beantworten als die, die ihnen gestellt wurde. Als Beispiel nennt er eine Studie, in der es um Aussagen zur eigenen aktuellen Zufriedenheit geht. Weil die Frage „Wie glücklich bist du zurzeit mit deinem Leben?“ eine sehr komplexe und in ihrer Gänze kaum beantwortbare Frage ist, wird sie gern durch die Frage „Wie fühle ich mich gerade in diesem Moment?“ ersetzt.
Wie fühle ich mich? Fakt ist: Wenn mir ein Standwerber einer Wohltätigkeitsorganisation auf der Straße Fotos trauriger Kinder zeigt oder wenn ich einem Obdachlosen Geld gebe, werde ich direkt mit meinen eigenen Privilegien konfrontiert. Diese kann ich auch mit einer Spende nicht teilen.
Darüber spreche ich mit Sara Dehkordi, die an der Freien Universität Berlin als Gastdozentin zu postkolonialen Theorien lehrt. Sie nennt den White Savior Complex eine „Form von Gewalt“. So wird das Phänomen bezeichnet, wenn weiße Menschen People of Color als Unmündige darstellen, die gerettet werden müssen. Dehkordi gibt mir ein paar Tipps an die Hand, um manche Privilegien beim Spenden nicht außer Acht zu lassen.
Sie schlägt vor, bei Organisationen darauf zu achten, dass die Anliegen der NGOs mit vor Ort Lebenden gemeinsam entwickelt wurden und diese auch in die Projekte einbezogen sind. Sie übt außerdem scharfe Kritik daran, wenn Organisationen „ständig irgendwelche hungernden Kinder ablichten“. „Als wäre es so, dass im globalen Süden alle Menschen hungern würden und als gäbe es keinen Grund für den Hunger“, sagt die 36-Jährige.
Erstens wird durch solche Fotos also vermittelt, dass es im globalen Süden nur unterernährte, unmündige Menschen gibt. Zweitens müssen Weiße auch immer mitdenken, woher die ungleiche Verteilung von Ressourcen und Geldern kommt. Konkret macht Dehkordi auf das Problem der Kapitalflucht aufmerksam: Vielen Ländern geht massig Geld verloren, weil Großunternehmen zu wenig Steuern zahlen.
Dagegen kann ich mit meiner Spende nicht unbedingt etwas ausrichten. Mit einer Spende mache ich keine einzige der Ungerechtigkeiten wett, für die westliche Politik und Unternehmertum seit Jahrzehnten in ärmeren Ländern verantwortlich ist.
Dennoch gibt es tausend Möglichkeiten, Gutes zu tun – ich könnte ein Ehrenamt beginnen, in eine linke Partei eintreten oder mich einer Ortsgruppe von Fridays for Future anschließen. Oder eben Geld spenden. Trotz aller Ungerechtigkeit und schlimmen politischen Verhältnisse ist das eine ziemlich gute Möglichkeit, Gutes zu tun, wie ich finde. Meine Hoffnung ist, dass effektive und ethisch handelnde Organisationen für bessere Gesundheit, bessere Bildung und auf lange Sicht gesehen gesellschaftlichen und politischen Wandel sorgen können.
Ich habe mich während meiner Recherche entschieden, monatlich 50 Euro an die „Deworm the World Initiative“ zu überweisen, die in Kooperation mit den jeweiligen Regierungen Entwurmungspillen an Schulkinder verteilt. Für mich wurde schnell klar, dass ich an eine der von GiveWell empfohlenen Organisationen spenden möchte. Denn was triggert mich am meisten?
Ausgelöst wurden mein Interesse und meine Recherche davon, dass ich gesehen habe, wie viele Dinge sich zum Guten verändern. Davon möchte ich ein Teil sein. Mir persönlich ist es wichtig, faktenbasiert und transparent nachvollziehen zu können, was die von mir unterstützte Maßnahme bringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen