Beschluss für das „Recht auf Vergessen“: Eine einleuchtende Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Das Internet muss auch mal vergessen können. Aber der Beschluss birgt auch eine Gefahr.

Ein Richterhammer liegt auf einem Holztisch

Verurteilt, bestraft – und ein Recht auf Resozialisierung Foto: Ronald Wittek/dpa/picture-alliance

Das Internet vergisst nicht, heißt es ja immer. Doch nun wird es quasi zum Vergessen gezwungen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat am Mittwoch das „Recht auf Vergessen“ auch bei schweren Straftaten gestärkt. Die Richter*innen gaben damit der Verfassungsbeschwerde eines 1982 wegen Mordes zu lebenslanger Haft Verurteilten statt, der sich dagegen gewehrt hatte, dass sein vollständiger Name noch immer im Spiegel-Archiv nachzulesen war.

Eine gesellschaftlich hochspannende Entscheidung, in dem die Grundrechte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Pressefreiheit gegeneinander abgewogen werden mussten. Die Verfassungsrichter*innen entschieden hier, dass Ersteres Vorrang habe, und begründeten ihre Entscheidung mit dem zeitlichen Abstand zur Tat.

Das leuchtet ein: Der Doppelmord ist 38 Jahre her, der Täter hat seine Haftstrafe abgesessen. Doch wirklich frei kann er nicht sein, wenn bei jeder Web-Suche mit seinem vollständigen Namen von neuen Nachbar*innen oder Arbeitgeber*innen das Wort „Mord“ prominent auftaucht.

Dass Menschen nach der Verbüßung ihrer Strafe ein Recht auf Resozialisierung haben, ist ein wichtiger Grundsatz unser Gesellschaft. Es ist ein Grundsatz, der nicht nur die Unfehlbarkeit von Menschen infrage stellt und die Menschenwürde hochhält.

Eine Frage wurde nicht eindeutig beantwortet

Doch die Entscheidung birgt auch eine Gefahr. Es darf nicht als Schablone für alle Fälle umgesetzt werden. Gerade in einem Land wie Deutschland, in dem gut und gerne vergessen und verdrängt wird, ist es wichtig, zu erinnern.

Doch wer hat im Zeitalter des Internets noch ein Recht auf Vergessen? Eine Frage, die auch in Karlsruhe nicht eindeutig beantwortet wurde. Ausschlaggebend ist dafür auch ein „öffentliches Interesse“ an dem Fall. Dieses ist jedoch juristisch nicht klar definiert, es verweist ganz allgemein auf Vorgänge, die die Gesellschaft betreffen.

Es ist wichtig – so wie es auch das Verfassungsgericht in seiner Argumentation deutlich macht –, dass Betroffene nicht allein darüber entscheiden dürfen, was vergessen wird und was nicht. Vor allem bei politisch relevanten Straftaten ist der Zugang zu Informationen und Namen auch nach vielen Jahren noch wichtig, um Menschen zu erinnern, zu mahnen und weitere Straftaten zu verhindern. In Fällen wie beispielsweise dem der NSU-Terroristin Beate Zschäpe darf ein „Recht auf Vergessen“ niemals gelten.

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Ressortleitern bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

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