Filme zur Reformation: Das fröhliche Gesicht der Wahrheit

Zweierlei Reformation zeigen der Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens“ über Joseph Ratzinger und das Biopic „Zwingli“.

Eine Frau im Mantel betet in einer dunklen Kirche.

Mit furchtsam beten ist bald Schluss: die Witwe Anna Reinhart (Sarah Sophia Meyer) in „Zwingli“ Foto: W-Film

Dass die Dinge sich ändern, sieht man schon mal daran, dass am 31. Oktober bundesweit auf den Straßen Halloween begangen wird. Aus Sicht der Kirche, pardon, aus Sicht der evangelischen Kirche, mag das ein Verlust sein, da der Feiertag an diesem Datum, der Reformationstag, darüber trotz seiner Wiederbelebung seit dem Lutherjahr 2017 etwas in Vergessenheit zu geraten droht. Doch es hat schon eine leichte Ironie, wenn man im Namen des Gedenkens an die Reformation, sprich Veränderung der Kirche, die säkulare Veränderung hin zu „Süßes oder Saures“ grundheraus verteufelt.

Pünktlich zum Reformationstag jedenfalls starten im Kino gleich zwei Filme, die sich dem Thema Erneuerung und Kirche aus sehr unterschiedlicher Perspektive und mit sehr unterschiedlichen Mitteln nähern: der Dokumentarfilm „Verteidiger des Glaubens“ von Christoph Röhl und Stefan Haupts Biopic „Zwingli“. Von den zwei ebenfalls heute anlaufenden Halloween-Beiträgen „Scary Stories to Tell in the Dark“ und „Halloween Haunt“ sei an dieser Stelle nicht weiter die Rede.

In „Verteidiger des Glaubens“ geht es nicht um Luther oder Konsorten, sondern um die andere Seite, die katholische Kirche und ihren Glaubensmann Joseph Ratzinger. Der nach eigenen Worten „einfache Arbeiter im Weinberg des Herrn“ brachte es vom Theologieprofessor zum Bischof von München und Freising, später dann als Kardinal im Vatikan zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre und schließlich, als Benedikt XVI., zum Papst. Bis er 2013 von seinem Amt zurücktrat.

Mit der feierlichen Verkündung der geglückten Wahl eines Nachfolgers für Johannes Paul II. im April 2005 setzt der Film ein. Das „Habemus papam“ ist zu hören, man sieht den amtsfrischen Benedikt XVI. in die Menge blicken, mit einer Mischung aus Stolz, Gefasstheit und Entsetzen. So als hätte er schon geahnt, dass die Sache für ihn und die Kirche nicht so gut ausgehen sollte.

„Verteidiger des Glaubens“. Regie: Christoph Röhl. Deutschland 2019, 92 Min.

„Zwingli – Der Reformator“. Regie: Stefan Haupt. Mit Max Simonischek, Sarah Sophia Meyer u. a. Schweiz/ Deutschland 2018, 128 Min.

Man reibt sich ein wenig die Augen, wenn der Film dann erst einmal ins Jahr 1962 und, mit reichlich Archivbildern illustriert, zum Zweiten Vatikanischen Konzil springt. Damals begleitete Ratzinger, als Theologieprofessor, die deutsche Delegation. Seine Schriften, so Röhl im sparsam eingesetzten, vom Schauspieler Ulrich Tukur gesprochenen Kommentar, waren „maßgeblich für die angestrebte Reform der katholischen Kirche“. Er galt als einer der fortschrittlichsten Vertreter seines Fachs, sein progressiver Kollege Hans Küng holte ihn, da er in Ratzinger einen Verbündeten sah, nach Tübingen an die Universität.

Kerberos der reinen Glaubenslehre

Mit 1968 war allerdings Schluss mit Fortschritt. Wie sein ehemaliger Schüler und langjähriger Vertrauter Wolfgang Beinert zusammenfasst, ist Ratzingers Denken klar geordnet, und die Ordnung kommt darin von Gott. Die Revolution sei für ihn folglich die Katastrophe gewesen, denn die mache die Ordnung „kaputt“. In einer langen Folge von sprechenden Köpfen rekonstruiert Röhl dann die konservative Wende Ratzingers hin zum Kerberos der reinen Glaubenslehre.

Man könnte dieser Entwicklungsgeschichte vorhalten, dass sie dramaturgisch vorhersehbar ist und im Wesentlichen das Bild von Kardinal Ratzinger und Benedikt XVI. als einem weltfremden Fundamentalisten bestätigt. Röhl, der in Brighton geboren ist und zu Beginn der neunziger Jahre als Englisch-Tutor an der Odenwaldschule arbeitete, lenkt seinen Film jedoch nach und nach auf ein Thema, das die Kirche bis heute nicht loslässt und bei dem Ratzinger, gelinde gesagt, kapituliert zu haben scheint: die Missbrauchsskandale.

So sind unter den Stimmen, die Ratzingers Weg aus der Rückschau kommentieren, viele Katholiken, die sich für die Aufklärung der Missbrauchsfälle in der Kirche engagieren. Die Theologin Doris Wagner etwa, die einige Jahre zur geistlichen Familie „Das Werk“ gehörte und später ein Buch über ihren sexuellen Missbrauch dort veröffentlichte, formuliert die vernichtendste Zusammenfassung zu Ratzingers Pontifikat: „Wenn man fragen würde, welche Person ist die richtige Person für dieses Amt, dann ist Ratzinger sicher nicht die richtige Person für dieses Amt. Wenn man aber fragt, wo ist Ratzinger am besten vor der Wirklichkeit beschützt, dann ist das Papstamt erst einmal das richtige.“ Denn da könne ihm niemand reinreden.

Die Wirklichkeit hat Benedikt XVI. bekanntlich eingeholt. Besonders verheerend ist daran, wie Röhl nachzeichnet, dass Ratzinger, sowohl als Kardinal als auch im Papstamt, die Missbrauchsopfer selbst im Grunde „opferte“, um sich als „Verteidiger des Glaubens“ zu bewähren und die Macht der Kirche zu schützen, wie der US-amerikanische Priester und Kirchenrechtler Thomas P. Doyle kommentiert. Wichtiger als die Opfer waren für Ratzinger die 800 Millionen, die nicht vom Glauben abfallen sollten. Die Kirche ist eben heilig und im Zweifel wichtiger als die oder der Einzelne. Dagegen steht stellvertretend und unaufgelöst der Vorwurf des Missbrauchsopfers Marie Collins: „Mein Körper hätte genauso heilig sein sollen.“

Rundere Erfolgsbilanz

Einen geglückten Reformansatz schildert hingegen der Schweizer Filmemacher Stefan Haupt in „Zwingli“. Dessen Protagonist, Ulrich Zwingli, hat in seinem Leben gegenüber Ratzinger eine rundere Erfolgsbilanz vorzuweisen. So legte er nicht bloß die erste vollständige deutsche Übersetzung der Bibel vor, sondern war einer der Väter der reformierten Kirche, einer der großen christlichen Konfessionen.

Für ihn war Gott weder zürnend noch rachsüchtig, vielmehr galt für ihn: „Die Wahrheit hat ein fröhliches Gesicht.“ Zwingli brachte mit seiner 1519, mithin vor 500 Jahren begonnenen Zürcher Reformation zudem einige soziale Innovationen auf den Weg. Auf seine Initiative hin wurden in Zürich die Klöster säkularisiert und die Abgaben stattdessen für die Armenfürsorge genutzt. Und er engagierte sich öffentlich gegen das Söldnerwesen, mit dem Menschen aus wirtschaftlicher Not in Kriegen in den Tod geschickt wurden.

Haupt erzählt das alles pflichtschuldig nach. Zwingli, lernt man, war ein verständiger und ruhiger Mann, kein mit dem Satan ringender Polterer wie Luther. Zugleich verfügte Zwingli über genug politische Sensibilität, um die Grenzen des kirchlich Machbaren zu erkennen. So richtig spannend ist die Figur, die der Schauspieler Max Simonischek daraus macht, allerdings nicht. Eine Erneuerung des Kinos sollte man von diesem sicherlich informativen Film daher nicht unbedingt erwarten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.