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Besetztes Haus entzweit die Linke

In Flensburg halten Aktivist*innen ein Haus in der Burgstraße besetzt, das zuvor lange verwaist war. Diese Aktion ist in der Stadt so umstritten, dass die Linksfraktion sogar ein Mitglied rauswirft

Von Lukas Scharfenberger

Die Burgstraße 36 in Flensburg ist besetzt. Laken mit aufgepinselten Slogans wie „Wohnungsnot + Leerstand = Hausbesetzung“ hängen an Bindfäden aus der Fenstern. Anfang August ist Bado, so nennt er sich, hier eingezogen. Denn die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Flensburg ist prekär – und darauf will er, auch aus eigener Notlage heraus, aufmerksam machen. Laut „Sozialatlas 2019“, den die Stadt Flensburg herausgegeben hat,waren im Jahr 2018 mehr als 3.600 Einwohner*innen von Wohnungslosigkeit bedroht.

Und Bado selbst hat dieses Jahr seine Wohnung verloren, bis dahin lebte er mit einem ordentlichem Mietvertrag im Haus nebenan. „Ich wurde rausgeschmissen, da bin ich dann in das leere Haus neben meiner alten Wohnung gezogen“, sagt er. Zurzeit leben laut Bado zwölf Menschen in dem besetzten Haus in der Burgstraße, die seit 2005 zum Sanierungsgebiet Duburg gehört.

Bisher flossen insgesamt mehr als 7,8 Millionen Euro aus Städtebauförderungsmitteln in dieses Quartier und auf dem Nachbargrundstück mit der Nummer 38 soll ein Neubau mit Kindertagesstätte entstehen. Immer wieder kämen auch Wohnungslose in der besetzten Nummer 36 vorbei, um dort ein paar Nächte zu schlafen, sagt Bado. Das Haus, das saniert werden soll, solle wenigstens noch so lange besetzt bleiben, sagen die Hausbesetzer*innen, bis eine Lösung für die Wohnungslosen gefunden sei.

Es gibt schon länger Diskussionen um die Nummer 36 und um die Frage, ob die Besetzung nun das richtige Mittel ist, um auf den Leerstand und die Wohnungsnot hinzuweisen. Erst wollte die Stadt das Haus verkaufen, nun will sie es doch selbst sanieren lassen. Anfang Oktober kritisierten die Hausbesetzer*innen dann die Stadt. Die befeuere mit der geplanten Sanierung der Burgstraße die Gentrifizierung durch „Luxuswohnungen“ und lasse dringend benötigten Wohnraum bewusst leer stehen.

Nach Gesprächen mit der Stadt distanzieren sich die Hausbesetzer*innen von ihrer ersten Kritik. Der Sprecher der Stadt Flensburg, Christian Reimer, sagt, man habe sich getroffen und „die politischen und konkreten Anliegen“ und „das Projekt der Stadt“ in diesem „sehr angenehmen Gespräch“ erörtert. Ein weiteres Gespräch habe man für den 22. Oktober verabredet, dieses Mal mit Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD). „Die Stadt ist natürlich bereit, denen ohne Wohnung zu helfen“, sagt Reimer und verweist auf die Fachstelle für Wohnungshilfe in Flensburg.

Von den Angeboten der Fachstelle Wohnungshilfe, die laut „Sozialatlas 2019“ insgesamt rund 1.220 Haushalte in der Stadt betreut, ist Bado aber keineswegs überzeugt: „Da kann man höchstens mal schlafen. Eine Wohnhilfe, die nichts zum Wohnen hat, sollte man eher Schlafgelegenheitshilfe nennen“, sagt er.

Von ihrer harschen Kritik am Bebauungs- und Sanierungsplan der Stadt rücken die Aktivist*innen nach den Gesprächen aber ein wenig ab. „Die Stadt hat uns gesagt, dass das alles Sozialwohnungen werden sollen und ein Kindergarten kommt auch noch dazu“, sagt Bado.“ „Jetzt wollen wir mal sehen, wie weit das geht.“ Beenden werden sie die Besetzung darum jetzt noch nicht.

Auch im politischen Raum sorgt die Besetzung der Nummer 36 für Unruhe. Von den Grünen gibt es Lob für die Kooperation zwischen Behörden und Besetzer*innen, die CDU ist schwer empört und die Linken sind sich nicht einig, ob sie hinter der Besetzung stehen sollen oder nicht. Der Streit in der bis dahin dreiköpfigen Linksfraktion ging sogar so weit, dass am vergangenen Mittwoch die ehemalige Fraktionsvorsitzende, Gabriele Ritter, ausgeschlossen wurde, die sich hinter die Hausbsetzer*innen gestellt hatte.

Denn der jetzige Fraktionsvorsitzende Frank Hamann bezeichnete die Hausbesetzung in der vergangenen Woche als einen großen Fehler. „Es ist geplant, bezahlbaren Wohnraum entstehen zu lassen. Es ist schön, dass die Stadt an dieser Stelle alles richtig macht“, sagte Hamann der taz. Außerdem sollten die Hausbesetzer*innen lieber „eine 600.000-Euro-Wohnung“ besetzen“. Er vermutet, dass sie über die Pläne der Stadt einfach nur uninformiert waren.

Für Bado ist hingegen klar, dass die Besetzung sich schon jetzt gelohnt hat. „Auf einmal spricht die Stadt von Sozialwohnungen, da haben wir schon was erreicht“, sagt er. Reimer widerspricht: „Das Projekt ist schon lange vor dem Einzug der Besetzer geplant gewesen.“ Er räumt allerdings ein, dass die Stadt in Zukunft längere Phasen des Leerstandes vermeiden sollte.

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